In Zeiten der immer abstrakter werdenden Überwachung durch den Staat, bedarf es einer Metapher mit der diese Vielzahl von Maßnahmen vereint dargestellt werden können. Seit der NSA Affäre können Deutschland und Europa nicht mehr in die Schublade einer Informationsgesellschaft gesteckt werden. Vielmehr befinden wir uns in einer Gesellschaft der Überwachung und Kontrolle. Nils Zurawski beschreibt in seinem Essay über „Geheimdienste und Konsum der Überwachung“, wie Gewohnheiten der Menschen bereits systematisch aufgezeichnet werden, um digitale Abbilder der Menschen im Internet zu erstellen. Dies geschieht zwar auf der einen Seite freiwillig, da auch die NSA Affäre in vielen Köpfen nicht zum Umdenken in Sachen Datenschutz geführt hat. Bereitwillig teilen sie alle Informationen ihres Lebens mit der restlichen Netcommunity. Wo sie gegessen haben, mit wem sie im Kino waren, wann sie das letzte Mal Sex hatten und welche Stellungen sie benutzen. Alles wird einer unüberschaubaren Anzahl von anderen Menschen unterbreitet. Es werden Kaufanalysen bei Onlineportalen erstellt, sodass Produkte, die in den Warenkorb gelegt werden, zur Verknüpfung mit anderen Produkten führen. Jeder Hersteller ist dadurch quasi im Vorfeld bestens auf potenzielle Anfragen vorbereitet und kann entsprechende Produkte produzieren. Dies führt zwar zu geringerem Abfall bei der Erzeugung von Produkten und kürzeren Lieferzeiten bei den Unternehmen, bringt aber auch die Menschen in Bredouillen, die nur einmalig Sexspielzeug im Versandhandel bestellen und von nun an mit den neuesten Angeboten von Vibratoren, errektionsfördernden Mitteln und SM-Spielzeugen überhäuft werden. Zusätzlich sind Verlinkungen zu den Socialnetworks vorhanden, ein schneller ungewollter Klick genügt und es wird bei den Arbeitskollegen ein bleibendener Eindruck hinterlassen.
Nicht, dass dieses Konglomerat an Darstellung des eigenen Lebensstils genügt. Was ist mit der Überwachung der geheimen Identität. Der Identität, die Freud das Es nennt, der große Teil des Eisbergs, der besser im Verborgenen bleiben sollte. Hier beginnt der zwielichtige Auftrag der Nachrichtendienste. Durch das Additum der Wahrscheinlichkeitsaussagen der o.g. „Konsumforschung“ und den eigenständig erhaltenen Informationsakkumulationen von Tempora und Prism, in Form von Mobildatenspeicherungen, Zugriffe auf private Webcams, Sicherung von Bildern, Auswertung von Chatverläufen, Emails und Suchanfragen, entsteht Zug um Zug der gläserne Mensch in einer überwachten und vom Staat kontrollierten Gesellschaft.
Der Kampf zwischen öffentlicher Sicherheit und individueller Freiheit wird nicht mehr geführt, es wird sich kampflos ergeben. Richtungsweisende Urteile seitens der „Blutroben des Bundesverfassungsgerichts“ werden aus Angst vermieden. Der gesamte digitale Diskurs wird schlichtweg banalisiert, sei es in Form von „notwendigen“ Sicherheitsdogmatiken al la 09/11 zur Terrorbekämpfung oder durch neue Polizeigesetze um dem Cybercrime auf die Schliche zu kommen. Derartige Argumente genügen, dem Bürger tiefe Eingriffe in seine Grundrechte schmackhaft zu machen.
Hobbes zeigte bereits im 17.Jahrhundert, dass die Dichotomie zwischen Freiheit und Sicherheit immer Probleme bereiten wird. Jedoch wurden viele Kämpfe im Verlauf der Jahrhunderte ausgefochten, um diese Freiheit zu wahren, zum Beispiel die Schlachten der Befreiungskriege von 1813-1815. Dieser Kampf wurde im Kontext der virtuellen Überwachung nie geführt. Der digitale Leviathan kann- legitimiert durch den Staat- in jeglichem Umfang walten. Sein Verhalten unterliegt keinen rechtlichen Beschränkungen, wie uns die fehlenden Konsequenzen der NSA Affäre deutlich machen. Solange er nur die Sicherheit der Bürger gewährleistet, ist alles in bester Ordnung. Die Ketten die John Locke für den Staat forderte, bestehen für den digitalen Leviathan (noch) nicht. Das Monster fließt durch die Router dieser Welt ungehindert und unkontrolliert und frisst alle Daten, die ihm in die Quere kommen. Geleitet wird der Leviathan nur von einer Frage: Weiß ich jemals genug?
Gerd schreibt
Echt jetzt? Hobbes als Kronzeuge für eine „Beschränkung des (digitalen) Leviathans“? Die Befreiungskriege als Mittel zur Wahrung des Vorrangs der Freiheit gegenüber der Sicherheit? Ein Leviathan, der sich für die dunklen Bereiche der menschlichen Psyche (das Freudsche „Es“) interessiert und es schafft, richtungsweisende Urteile seitens des Bundesverfassungsgerichts „aus Angst zu vermeiden“ (was auch immer das heißen mag)? Sowas lernt man im „Institut für kriminologische Sozialforschung (IKS) der Universität Hamburg“???