Im Merkur schreibt Michael Stolleis unter der Überschrift „Angst essen Seele auf“ über den Wandel des Rechtsstaates im Zuge verschärfter Sicherheitsgesetzgebung nach 9/11. Seine umfangreichen Erörterungen, wie viel Sicherheit die freiheitliche Gesellschaft verträgt, setzen sich mit vielen in der Strafrechtssoziologie diskutierten Fragen auseinander:
- Gibt es ein „Grundrecht auf Sicherheit“?
- Ist ein „bedingtes Recht auf Folter“ in Ausnahmefällen zu rechtfertigen?
- Wie ist das Luftsicherheitsgesetz aus der Perspektive einer präventiven Sicherheitsgesetzgebung zu beurteilen?
Ausführlich setzt sich Stolleis mit einem Essay des Kölner Staatsrechtslehrers Otto Depenheuer auseinander. Depenheuer kritisiert in seinem Essay „Selbstbehauptung des Rechtsstaates“ die im Grundgesetz verankerte Freiheitsrechte und -garantien als nicht mehr zeitgemäß und als Ausdruck einer politischen „Schönwetterperiode“. Die Zweifler und Kritiker der aktuellen Sicherheitsgesetzgebung seien
Vertreter der Spaßgesellschaft, der Integration, der offenen Verfassungsinterpretation, der Autopoiesis und der Selbstreferentialität, des wirklichkeitsblinden und verantwortungslosen »Verfassungsautismus«
Stolleis setzt sich kritisch mit den Argumenten Depenheuers auseinander und kommt zum Diskurs um das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit zu folgendem Fazit:
Wollen wir die faktisch und rechtlich perfektionierte Sicherheitsgesellschaft? Fallen wir nicht – von der eigenen Angst geleitet – auf das Expertenwissen der Sicherheitsapparate herein und übersehen dabei die Folgen für die gesamte Gesellschaft? Wie viel redlicher wäre es, sich einzugestehen, daß es keine perfekte Sicherheit geben kann, auch nicht im vollständig verrammelten Haus, daß die Rechtsordnung und besonders ein rechtsstaatlich verfaßtes Strafrecht notwendig lückenhaft bleiben muß, daß der Staat nicht auf alles eine Antwort bereithält, daß seine Mittel begrenzt bleiben müssen, wollen wir nicht unsere Rechtskultur verraten.
Sein Fazit erinnert mich an einen Vortrag zum Thema Freiheit und Sicherheit von Heribert Prantl, Chefredakteur des Ressorts Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, den er im November in Hamburg hielt. Prantl zog einen Vergleich zwischen den staatlichen Präventionsstrategien seit 9/11 und dem Ausspruch „…wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“.
Demnach sei Prävention ein zu befürwortender, positiver Ansatz, der Schaden vom Kind abzuwenden vermag. An der politischen Umsetzung einer geeigneten Präventionsstrategie mangele es hingegen. Hier schiene zur Zeit eher die Strategie vorzuherrschen, alle Brunnen von vornherein zu vernageln oder noch besser: die Kinder gar nicht mehr vor die Tür zu lassen.
[gefunden via netzpolitik.org]