Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat entschieden: Das deutsche Inzestverbot und damit die Bestrafung des Beischlafs unter engsten Verwandten verstoße nicht gegen die Menschenrechte. Der vorangegangene Urteilsbeschluss des Karlsruher Verfassungsgerichtes ist demzufolge gültig.
Klar ist jedoch: An einer überzeugenden Begründung, einvernehmlichen Sex zwischen engsten Verwandten zu verbieten, hapert es nach wie vor gewaltig.
Das Argument, Inzest erhöhe die Wahrscheinlichkeit von Behinderungen bei den Nachkommen, kann und darf nicht gelten, denn schließlich sperren wir auch schwangere Mütter, die rauchen etc. nicht ins Gefängnis ganz zu schweigen von behinderten Menschen, die selbstverständlich auch miteinander schlafen dürfen, bei denen die Wahrscheinlichkeit von Vererbung ihrer Krankheit aber oft sehr hoch ist.
Ebenso wenig ist das „Familienargument“ haltbar, nachdem durch Inzest die Institution Familie gefährdet wäre, da (1) nun niemand mehr wüsste, wer denn jetzt eigentlich Vater, Mutter, Bruder oder Großtante ist, und (2) ein intimes Verhältnis zwischen Familienmitgliedern negative Auswirkungen auf Zusammenhalt und Harmonie in der ganzen Familie haben könnte. Zum einen ist die traditionelle Vorstellung von Familie schon längst durch Patch-work-Familien abgelöst worden. Zum anderen ist es besonders albern, den Beischlaf unter Strafe zu stellen, nicht aber das partnerschaftliche Beziehungsführen von Familienmitgliedern. Asexuelle Partnerschaften wären demnach erlaubt, müssten sich doch aber noch negativer auf eine traditionelle Familienstruktur auswirken als bloßer Sex.
Schließlich ist auch das Argument zu verwerfen, Inzest würde schwerwiegend in Familie und Gesellschaft hineinwirken, denn das ist nur der Fall, weil es eben tabuisiert ist.
Somit bleibt eigentlich nur ein Grund, das Inzestverbot ohne Einschränkung beizubehalten: Die Bewahrung der guten Sitten. Sex zwischen Geschwistern oder zwischen Eltern und Kindern empfinden wir einfach als abartig, als eklig, als falsch und verwerflich. Wer mit seiner Schwester, seinem Vater oder seiner Mutter schläft, bei dem ist doch irgendetwas nicht in Ordnung, denken wir. Der oder die hat es doch nur nicht hinbekommen, sich anderweitig eine(n) Partner(in) zu suchen und muss jetzt irgendwie seinen Trieb befriedigen. Normal ist das jedenfalls nicht, fühlt man.
Doch kennen wir diese Sätze nicht alle auch schon aus der Diskussion bezüglich Homosexualität? Letztere galt lange Zeit auch als Abweichung von den guten Sitten, ist mittlerweile aber zu gesellschaftlicher Normalität geworden. Wäre das nicht auch bei (einvernehmlichem) Sex zwischen Familienmitgliedern denkbar?
Mutter schreibt
Hm, Menschengerichtshof! Besser als immer diese Maschinengerichtshöfe!
Christian Wickert schreibt
Da hat sich der Fehlerteufel eingeschlichen:
Der hier relevante Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat seinen Sitz in Straßburg, der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag.
Ich habe mir erlaubt, den Text entsprechend zu ändern und entschuldige mich für das Klugschei***.
Achim schreibt
ohje, man sollte seine Quellen doch nicht einfach so übernehmen… peinlich.
Danke fürs Überarbeiten!
Achim schreibt
Nachtrag zum Weiterlesen: http://www.juventa.de/zeitschriften/kriminologisches_journal/abstracts/Jahrgang2011/04201104289.html
sowie:
https://kataloge.uni-hamburg.de/DB=1/PPNSET?PPN=642326266