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Sanft, aber bestimmt: Nils Christie (24.02.1928 – 27.05.2015)

Am 28. Mai 2015 gepostet von Sebastian

Nils Christie (rechts) mit Livio Ferrari, dem Autor des Buches "No Prison" (2015), in Padua im April 2015
Nils Christie (rechts) mit Livio Ferrari, dem Autor des Buches „No Prison“ (2015), in Padua im April 2015

Für diese Nachricht einen Anfang zu finden fällt mir schwer und was den Schluss angeht, sehe ich dieselbe Schwierigkeit voraus, aber es gibt einen Begriff, der mir sofort einfiel und der mir so beharrlich im Wege des Schreibens steht, dass er wohl den Anfang machen muss, soll überhaupt noch etwas folgen: Nils Christie umgab eine Aura.

Ein schwer zu fassendes und jedenfalls immaterielles Feld an Schwingungen und Einflüssen, das mich wie so viele, die das Glück hatten, ihm zu begegnen, wie mit einer Magnetkraft anzog, aber auch zugleich zu verwandeln und zu verbessern schien. Tage mit Nils Christie, in Berlin oder vor vier Wochen noch in Padua, waren eine eigene Art der Wellness-Kur.

Das Wort Aura passt allerdings auch insofern, als es ursprünglich die griechische Göttin der Morgenbrise bezeichnete, und genau diese Funktion kam auch dem Vortrag in Sheffield zu, der Nils Christie berühmt machen sollte: „Conflicts as Property“ (British Journal of Criminology 1977 17 (1) 1-15) brachte frischen Wind in die Kriminologie und die Rechtssoziologie und verlieh der Diskussion um Alternativen zur strafenden Gerechtigkeit neuen Schwung. Die gesamte Strömung der restorative justice – die er als Vordenker mit begründete und stets auch mit kritischem Blick auf den Begriff sowie vor allem auf die Gefahren der Institutionalisierung und Professionalisierung begleitete – wäre ohne ihn nie und nimmer das, was sie heute (immerhin schon oder noch) ist.

In jüngster Zeit sprach Nils Christie wieder öfter über sein Erstlingswerk aus dem Jahre 1952: seine Gespräche mit KZ-Wächtern und die Reflexion über die zahllosen damit verbundenen Fragen hatten vieles von dem, was sein Lehrer Andenaes ihm über die Rechtfertigung von Strafe beigebracht hatte, ins Wanken geraten lassen. Viele Kenner seines Werkes sehen denn auch einen roten Faden der Strafproblematisierung, der sich durch sein gesamtes Oeuvre zieht. Mal unter dem Gesichtspunkt von „Grenzen des Leids“ (1982), dann unter dem einer scharfen Kritik des prison-industrial complex („Kriminalitätskontrolle als Industrie“, 1995); und selbst die  five dangers ahead für restorative justice (2009) und sein letzter Aufsatz über die Figur der Justitia („Lady Justice“, 2015) warnten vor den Kräften der Entfremdung, die das Verstehen und Heilen so schwer und das Strafen so leicht werden lassen.

Scherzhaft hatte er in den vergangen Jahren den Gedanken an die Gründung einer Rückschrittspartei ins Spiel gebracht; das passte zu der Kritik, der er sich seitens Trutz von Trothas und anderer ausgesetzt gesehen hatte, dass seine Vorstellungen von alternativer Konfliktregelung mit den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft unvereinbar seien – und dass sie selbst dann, wenn sie machbar wären, nicht zu wünschen seien. Er hielt tatsächlich viel vom Dorf- und Gemeinschaftsleben, beklagte die Aushöhlung der Infrastruktur und den Verlust sozialen Lebens auf dem Lande und verbrachte ja auch immer wieder längere Zeit in Vidarasen, einer therapeutischen Gemeinschaft auf der Grundlage einer sanften und menschenfreundlichen Weltanschauung.

Der nötigende Zwang politischer Korrektheit konnte ihn nicht unterkriegen: sanft, aber bestimmt wies er jede Einmischung der Polizei zurück, als er als Institutsdirektor einmal mit einem größeren Betrugsfall zu tun hatte – das machte Schlagzeilen und frustrierte die Strafverfolgungsbehörden; sanft, aber bestimmt vertrat er seine nicht immer hinreichend „linken“ Ideen auch noch vor kurzer Zeit bei der Osloer Jubiläumstagung der European Group for the Study of Deviance and Social Control.

Als der 87-jährige Nils am Dienstag dieser Woche in den Morgenstunden in Oslo wie immer auf seinem Fahrrad unterwegs war, führte ein Unfall mit einer Straßenbahn zu schweren Kopfverletzungen, denen er tags darauf erlag.

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Kategorie: Kontrolle und Sanktionen, Kriminalpolitik, Kriminologen, Recht und Gesetz, Strafjustiz Stichworte: Nachruf, Nils Christie, Restorative Justice, Strafe

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Kommentare

  1. Arthur Hartmann schreibt

    30. Mai 2015 um 22:15

    Besser und schöner als mit Aura, der Morgenbrise kann man wohl nicht zum Ausdruck bringen, was „Conflicts as Property“ für viele Menschen – mich eingeschlossen – bedeutet.

    Arthur Hartmann

  2. Christian Wickert schreibt

    30. Juni 2015 um 19:28

    Der Artikel „Conflicts as Property“ wird vom Journal of British Criminology kostenlos zur Verfügung gestellt: http://bjc.oxfordjournals.org/content/17/1/1.full.pdf+html

    In Memoriam

    It was with great sadness that the criminological community learned of the death of Nils Christie (1928-2015) recently. His work has left a profound mark on criminology across a wide range of debates within the discipline. His article, ‚Conflicts as Property‘, first published in the BJC in 1977 has consistently featured in the most read and most cited lists of articles in the journal since those lists began. It is available here, free to view as a mark of respect of his presence in the discipline. The journal is proud to be part of his legacy.

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