Das in diesem Blog schon erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Unvereinbarkeit der Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz enthält auch eine implizite Aufwertung des Vergeltungsgedankens als Begründung für die Freiheitsstrafe in der heutigen Bundesrepublik.
In dem Maße nämlich, in dem das Gericht einen qualitativen „Abstand“ zwischen der Strafhaft und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einfordert („Abstandsgebot“), legitimiert es die Vergeltung als Leitidee für die Gefängnisstrafe. In Randnummer 101 des Urteils heißt es:
„Nach der Konzeption, die dem zweispurigen Sanktionensystem des Strafgesetzbuchs zugrunde liegt, dient der Freiheitsentzug des Sicherungsverwahrten nicht der Vergeltung zurückliegender Rechtsgutsverletzungen, sondern der Verhinderung zukünftiger Straftaten“.
Und dann (Rn. 105):
„Der Zweck der Freiheitsstrafe besteht dementsprechend vornehmlich in einer repressiven Übelszufügung als Reaktion auf schuldhaftes Verhalten“.
In dem Maße, in dem für die Sicherungsverwahrten das Recht auf menschenwürdige Unterbringung begründet wird, wird dasselbe Recht unter Rückgriff auf den Vergeltungsgedanken für diejenigen, die im Gefängnis ihre Freiheitsstrafe verbüßen, unterminiert. Ganz so, als seien die Lebensverhältnisse in der Haft ein Nullsummenspiel: wenn es den einen besser gehen soll, muss es den anderen schlechter gehen …. Oder wie?
Andreas Prokop schreibt
Ist aber der offene Rekurs auf Vergeltung nicht besser, als die doch etwas verlogene Präventionslogik, die den Betroffenen demütigt, indem sie ihn entmündigt und die ihm zugefügten Leiden ignoriert? Das hatte doch Hassemer auch schon mal so ähnlich formuliert. Besser, ein Problem ist offen sichtbar, als mit irgendwelchem Zierat unkenntlich gemacht.
Achim schreibt
Offen zu sagen, man strafe um zu vergelten, ist sicherlich richtig. Denn über Ziele, die es angeblich ja gar nicht gibt, kann man nicht diskutieren und sie daher auch nicht verändern (in z.B. ein Resozialisierungsziel).
Es ist doch aber so, dass dieser Hinweis auf den vergeltenden Charakter des Strafrechts ziemlich überraschend kommt, denn als Vollzugsziel wird dies nirgends erwähnt, soweit ich weiß.
Anders ausgedrückt: Der obige Gerichtsbeschluss spricht den Aspekt der Vergeltung ganz offen aus und distanziert sich damit von den sonst so hoch beschrieenen Zielen des Strafvollzugs.
Ein gewünschtes Strafvollzugsziel, welches nicht erreicht wird und hinter dem sich ein anderes verbirgt, ist immernoch besser als ein ungewünschtes ehrliches Strafvollzugsziel. Denn in ersterem Fall steht trotz allem noch der VERSUCH im Vordergrund, eben doch das gewünschte Ziel mit seinen Konzepten durchzusetzen.
Wenn jetzt aber schon das Bundesverfassungsgericht offen und „als wäre nichts dabei“ vom unerwünschten Vollzugsziel spricht, muss davon ausgegangen werden, dass das gewünschte Vollzugsziel zum Scheitern verurteilt ist.
Es bleibt nun aber die Frage: Vielleicht IST die Vergeltung ja das gewünschte Ziel geworden!?!