Nicht einen besseren Strafvollzug, sondern etwas Besseres als den Strafvollzug. Das erinnert natürlich an Gustav Radbruchs vielzitierte Sentenz über das Strafrecht, die von Maelicke vielfach zitiert wird – immer allerdings in der heute üblichen verkürzten Form, in der die von Radbruch benannte positive Zielsetzung unterschlagen wird.
Radbruch hatte ja seinerzeit nicht nur gesagt, dass das letzte Ziel der Kriminalpolitik nicht in einem besseren Strafrecht bestehe, sondern in etwas Besserem als dem Strafrecht, sondern er hatte sich ausdrücklich für die Ersetzung des Strafrechts durch ein Maßregelrecht ausgesprochen.
Das ist ein Punkt, der heute nicht mehr so leicht zu thematisieren ist: die Maßregeln der Besserung und Sicherung haben heute ein schlechteres Image als die Freiheitsstrafe.
Johannes Feest hatte sich in seiner Rezension eher zufrieden darüber gezeit. Ich hätte mir hingegen eine Thematisierung gewünscht. Denn wer das Gefängnis nur noch für die wirklich gefährlichen Täter beibehalten will, der tut dies ja nicht aus Gründen der Vergeltung, sondern aus Gründen der Vorbeugung vor den ansonsten drohenden Taten – mit anderen Worten: aus Gründen der Sicherungshaft, der Inhaftierung wegen Gefährlichkeit. Das aber ist die theoretische Basis der Sicherungsverwahrung.
Wie man mit den dangerous few umgehen sollte, wie man Rechtsstaat und Menschenwürde mit Sicherheit vereinbaren kann, das bleibt doch für Abolitionisten wie für Gradualisten, für Reduktionisten und alle sonstigen Schattierungen des Reformlagers in der Kriminalpolitik auf der Tagesordnung. Das ist das wahre Knast-Dilemma.
Maelicke schont die SPD, wo er nur kann. Seine Sympathie in Ehren. Sie ist angesichts einer langen Reformtradition dieser Partei (spätestens seit Gustav Radbruch) durchaus verständlich. Allerdings hat die SPD auch immer wieder historische Rückschritte in der Kriminal- und Strafvollzugspolitik mitzuverantworten gehabt. Oder auch nur populistische Dummheiten wie den Spruch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder aus dem Jahre 2001 („Wegsperren, aber für immer“). Wie geht Maelicke damit um? Er erwähnt und kritisiert den Spruch, aber nicht seinen Autor, rückt die zitierte Forderung stattdessen mutig auf Seite 11 in die Nähe der üblichen Verdächtigen, nämlich ausdrücklich „Roland Koch in Hessen oder Ole von Beust und Ronald Schill in Hamburg“: ganz so, als hätte nicht das SPD-Mitglied Schröder, sondern einer dieser Bösewichter den Appell von sich gegeben.
Zum Schluss also nur noch einmal das ungekürzte Radbruch-Zitat aus dem Kapitel „Strafrecht“ in seiner Einführung in die Rechtswissenschaft:
Aber das unendliche Ziel der strafrechtlichen Entwicklung bleibt die Einspurigkeit, bleibt das Strafgesetzbuch ohne Strafen, ist nicht die Verbesserung des Strafrechts, sondern der Ersatz des Strafrechts durch Besseres, durch ein ‚Besserungs- und Bewahrungsrecht‘.
Und noch einmal, weil es so unangenehm – und dennoch wahr – ist: Die Sicherungsverwahrung hat heute nicht mehr den Glanz der Utopie wie noch zu Radbruchs Zeiten. Das weiß Maelicke natürlich auch und deshalb will er dem Publikum dieses Thema vielleicht ersparen. Aber wer die Gefängnisse nur noch wegen der Rückfallgefahr für die wirklich gefährlichen Straftäter haben will, der sperrt ja in Wirklichkeit nicht wegen begangener Taten (als Strafe), sondern zur Vermeidung künftiger Taten (also präventiv motiviert) ein: der betreibt eigentlich nicht mehr Strafvollzug, sondern Sicherungsverwahrung. Sie menschenwürdig zu gestalten hat die Rechtsprechung – aus Europa kommend – inzwischen gefordert, hat aber die Praxis bislang nur völlig unzureichend begriffen.
Andreas P. schreibt
Die Sicherungsverwahrung hält auch der amerikanische Psychiater James Gilligan für den einzig zulässigen Haft-Zweck. Ich zitiere mal aus Wikipedia: „Gilligan wurde zum medizinischen Leiter des Massachusetts prison mental hospital in Bridgewater, wegen der hohen Selbstmord- und Mordrate. Nach den 10 Jahren im Amt waren beide Raten fast auf Null gesunken.“ Das würde doch darauf hindeuten, dass es sinnvolle Interventionsmöglichkeiten gibt.
Pierre Legendre meint, dass das Strafrecht als solches nur dann legitim ist, wenn es die psychosoziale Reife des Delinquenten befördert. Legendre meint damit aber das Verfahren als solches und nicht irgendwelche sukzessiven Routine-Therapien.
Thies T. schreibt
Es bleibt jedoch das bekannte Problem: Wie erkannt man den – zu verwahrenden – wirklich gefährlichen Täter…..?
Christian Wickert schreibt
i.A. von Herrn Maelicke veröffentliche ich nachstehenden Kommentar: