Seit heute steht die zweite Ausgabe der im Januar gestarteten Working Paper Series des Instituts für Kriminologische Sozialforschung online:
In diesem IKS Working Paper stellt der Autor einige Überlegungen an, inwieweit ein Verhandlungsverbot mit terroristischen Akteuren – wie es sich die allermeisten Staaten selbst auferlegt haben – aus zweck- und wertrationaler Perspektive zu beurteilen ist.
In der Einleitung schreibt Herr Dr. Scheerer zur Einordnung seiner Überlegungen:
Je länger sich gewaltförmige Auseinandersetzungen hinziehen und je weniger durch einseitige Aktionen entschieden werden kann, desto stärker rückt die Kommunikation mit dem Gegner als Möglichkeit zu einer Beendigung des Konflikts ins Blickfeld. Paradoxerweise ist das bei großen Kriegen zwischen zwei oder mehr Staaten oft leichter als bei den „kleinen Kriegen“ (Carl von Clausewitz), die heute den Großteil aller bewaffneten Konflikte ausmachen. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass bei den neuen Formen der Auseinandersetzung mindestens eine der Parteien nicht militärisch organisiert ist und schon deshalb irregulär operiert, was es zumindest leicht macht, sie (bei aller Unschärfe des Begriffs) als terroristisch zu definieren (vgl. Hess 2006). Das hat weitreichende Konsequenzen. Denn während sich die Parteien eines Staatenkriegs gegen Ende des Kräftemessens more often than not in Verhandlungen begeben, sind diejenigen eines asymmetrischen Konflikts mangels normativer Metaebene zu einer Art Selbstgenügsamkeit verdammt: sie kämpfen zwar gegeneinander, existieren aber im Hinblick auf die Codierungen Recht/Unrecht, richtig/falsch, moralisch/unmoralisch, gut/böse usw. in unverbundenen Wirklichkeiten, d.h. in einer Situation, die man im Gegensatz zu Wilhelm Mühlmanns (1961) agonaler Partnerschaft als agonalen Autismus bezeichnen könnte. Dieser generiert zwar neue Möglichkeiten (insbesondere verleiht er der staatlichen Seite in diesem juristischen Grauzone die ungewohnte Freiheit, fast nach Belieben mal innerstaatliches, mal zwischenstaatliches und mal gar kein Recht zur Grundlage ihres Handelns zu machen), doch bringt er auch Restriktionen mit sich, von denen die wichtigste darin bestehen dürfte, dass er Verhandlungen als Weg zur Beendigung der Gewalt erheblich erschwert.
Ob eine kommunikative Strategie im Fall von Terrorkonflikten überhaupt möglich und gegebenenfalls darüber hinaus auch wünschenswert wäre, hängt allerdings von einer Reihe von Vorfragen ab, die in der Diskussion nicht immer explizit gemacht und noch seltener klar voneinander getrennt werden. Das ist angesichts der praktischen Relevanz dieses Problems eine wenig befriedigende Situation. So wäre zum Beispiel der bewusste Verzicht auf Verhandlungsversuche auf jeden Fall dann vorzuziehen – und sogar die einzig rationale Strategie – wenn es gesichertes Wissen darüber gäbe, dass Befriedungsversuche bei Terroristen aus diesem oder jenem Grunde prinzipiell keinen Erfolg haben könnten; denn dann wäre es naiv und letztlich kontraproduktiv, diesen Weg überhaupt in Betracht zu ziehen. Mehr noch: es wäre die moralische Pflicht der Staatengemeinschaft, diejenigen ihrer Mitglieder, die sich aus Schwäche oder Naivität anders verhalten wollten, vor dem Beschreiten dieses unter Umständen ja auch für andere kostspieligen Holzweges zu bewahren. – Andererseits wäre aber auch genau so denkbar, dass gezeigt werden könnte, dass es durchaus möglich und sogar ethisch vertretbar, wenn nicht geboten wäre, nach Möglichkeit auch Terrorkonflikte auf dem Verhandlungswege zu lösen – und dass man sich bei einem eventuellen Irrtum über diesen Sachverhalt ohne Not einer wichtigen Ressource begäbe.
Dass Verhandlungen als ein Instrument anzusehen sind, das man nicht ohne zwingenden Grund aus der Hand gibt, zeigt sich bereits an der Kluft zwischen Worten und Taten, die heute mehr denn je den politischen Umgang mit dem Thema „Verhandlungen mit Terroristen“ charakterisiert. Staatsführungen erklären bei entsprechenden Gelegenheiten pflichtgemäß, dass sie mit Terroristen nicht verhandelten. Wie es der Sprecher des Weißen Hauses Scott McClellan im Jahre 2006 anlässlich der Erklärung Osama bin Ladens formulierte, zu einem Waffenstillstand bereit zu sein: „We don’t negotiate with terrorists. We put them out of business“ (vgl. Buncombe 2006). Das ist freilich leichter gesagt als getan. Denn nicht jede Notsituation lässt sich durch einseitige Aktionen klären und nicht jede Regierung ist mit der in Washington in jeder Hinsicht vergleichbar. Vor allem aber: mit Terroristen wird verhandelt. Und zwar so häufig, dass einige Regierungen und nicht zuletzt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich über die wachsende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit beunruhigt zeigten (vgl. Reuters 2010). Das International Institute for Applied Systems Analysis (2009: 2) brachte die Situation folgendermaßen auf den Begriff: “Governments routinely declare that they will not negotiate with terrorists, and regularly (if not routinely) do so nonetheless.“ – Wenn ein Prinzip aber so häufig unterlaufen wird, dann taucht früher oder später die Frage auf, ob die Begründungen, auf denen es beruht, noch halten können, was man sich einst von ihnen versprach – und ob es nicht an der Zeit sein könnte, sich nach Alternativen umzusehen.
Das komplette Working Paper kann kostenfrei hier heruntergeladen werden.
Christian Wickert schreibt
Karl-Theodor zu Guttenberg bei seiner Abtrittsrede
alternativ auch: „Star Trek II: Der Zorn des Khan“ (Danke Hergen für den Hinweis)
Aus gegebenem Anlass erfolgt der Verweis auf die jüngsten politischen Ereignisse: Ich habe beim Layouten des Dokuments 100% der Fußnoten außer Acht gelassen. Der Fehler ist behoben und das komplette Working Paper – inklusive der 14 Fußnoten – steht jetzt online.
Frühe Vögel müssten sich den Wurm bitte erneut fangen:
Download.