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Virtuelle Gefangenenbefreiung

Am 17. September 2010 gepostet von Sebastian

Rechtzeitig zum Beginn der weltweit größten Orgie mit Suchtmitteln, zu der mehr als sechs Millionen Drogengebraucher in München erwartet werden, wo die Rettungsdienste rund um die Uhr ein massives Aufgebot an Hilfskräften in Bereitschaft halten und die Kliniken Notfallbetten aufstellen, um für akute Intoxikationen, rauschbedingte Psychosen und Körperverletzungen vorbereitet zu sein – rechtzeitig zum Beginn des 200. Münchner Oktoberfestes also – kommt eine freundliche Einladung zum Selber-Mal-Anfangen-Anders-Über-Drogen-Nachzudenken.

Der Autor Mathias Bröckers, der schon 1993 mit Jack Herer ausgesprochen erfolgreich über „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf“ und 2002 ganz schön versponnen, aber doch auch mit Mut und nicht ganz ohne Grund über  „Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11. September“ geschrieben hatte, schreibt diesmal über die Geschichte der Prohibition, über die Gefängnisindustrie, die Drogenökonomie des Terrors, den geheimen, aber staatlich sanktionierten Drogen- und Waffenhandel, das Ende des Schamanismus und den Beginn des Drogenhandels, über seinen (kürzlich verstorbenen) Freund Jack Herer und dessen Wiederentdeckung des Hanfs – mit „Fakten über Cannbinoide“ – und er vergleicht die Drogenrituale des Oktoberfests mit denen von Goa-Parties in der norddeutschen Tiefebene. Schließlich skizziert er Wege ins Drogenparadies der Legalisierung, mit Beipackzetteln und „großen Drogenkaufhäusern wie dem in Berlin-Mitte“, wo das gesamte Erdgeschoss der Drogenberatung durch freundlich-fachkundiges und (in München oder Goa?) perfekt geschultes Personal gewidmet ist, während es in der ersten Etage dann Fair-Trade-Haschisch und in der zweiten die beliebten Stimulanzien (z.B. Meerträubel; die Inhalatoren gibt es auf demselben Geschoss in der Geräteabteilung) per Kundenkarte und immer nur in bestimmten Mengen (verdammte Planwirtschaft!) zu kaufen gibt. – Wie viele Geschosse das Kaufhaus haben wird? Nur die Phantasie – und die Architektur – können da Grenzen setzen (der recht stabil wirkende Q 1 Tower in der australischen Stadt Goldcoast hat zum Beispiel 80 Etagen).

Das Buch erinnert nicht nur an die vor Jahren von Henning Schmidt-Semisch angestoßene Diskussion um die Entkriminalisierung von Drogen („Drogen als Genussmittel“), es birgt auch zahlreiche kriminologische Forschungsthemen aller Art, wie z.B. die These, dass der Kampf gegen den Terrorismus nur Erfolg haben kann, wenn der Kampf gegen Drogen aufgegeben wird. Oder anders herum gesagt: „Solange der ‚War on Drugs‘ dafür sorgt, dass mit Heroin und Kokain mehr Profit gemacht werden kann als mit jedem anderen Produkt dieser Erde, so lange bleibt jeder Kampf gegen Terrorismus aussichtslos.“ Diese Art der Perspektivenumkehr und des unkonventionellen Denkens ist nicht mehr und nicht weniger als die freundliche Einladung an die Leserschaft, sich für die Flucht aus dem Gedankengefängnis des hegemonialen Diskurses vorzubereiten. Aus der Sicht der Bundesdrogenbeauftragten wäre das also sicher nicht zu billigen und fast schon eine Art Gefangenenbefreiung und die bekannte Literaturrezensentin Angela Merkel würde zu der Neuerscheinung sicher nur sagen: „Nicht sehr hilfreich.“

Mathias Bröckers (2010) Die Drogenlüge. Warum Drogenverbote den Terrorismus fördern und Ihrer Gesundheit schaden. Frankfurt und München: Westend Verlag in der Piper Verlags GmbH, € 15,95.

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Kategorie: Devianz und Kriminalität, Drogen(-politik), Terrorismus Stichworte: Buchbesprechung, Drogen, Drogenpolitik, Prohibition, Terrorbekämpfung

Leser-Interaktionen

Kommentare

  1. hanfstaat schreibt

    20. Oktober 2010 um 01:49

    GG 🙂

  2. hanfstaat schreibt

    20. Oktober 2010 um 02:02

    Die gegenwärtige bundesrepublikanische – konservative, liberale
    wie auch radikale – Diskussion der Drogenfrage wird durch eine
    Grundeinstellung beherrscht, die lediglich die sogenannten illegalen
    Drogen sieht und diese nur unter dem ‚Sünden-Paradigma’ wahrnimmt,
    und die dementsprechend nur nach deren schlechten Ursachen wie nach
    deren schlechten Folgen sucht.

    Nirgendwo vermochte eine Planwirtschaft zu existieren, die nicht von
    einem komplexen System illegaler Tauschbeziehungen flankiert oder
    überlagert gewesen wäre.

    Tatsächlich liegt der wichtigste Grund für das Verbot der Drogen in
    der Überzeugung, dass sie – anders als Alkohol und Tabak – nicht nur
    eine Minderheit von KonsumentInnen zerstörten, sondern im Normalfall
    so wirkten. Während es einige heroische Individuen geben mag, die
    sich trotz des Kontakts mit den Rauschgiften vor einem Abgleiten in
    die Sucht bewahren könnten, siege in der Regel bei diesen dangerous
    drugs die Droge über den Menschen. Deshalb die Notwendigkeit – selbst
    der liberalsten Gesellschaften –, die Entscheidung über den Kauf und
    Konsum von Drogen nicht jedem Bürger selbst zu überlassen, nur um
    dann passiv der Zerstörung seines Willens, seiner Arbeitskraft und
    seiner Existenz zuzusehen. Im folgenden geht es um nicht mehr und
    nicht weniger als den Versuch, diese Grundannahme als den größten und
    entscheidenden Irrtum der Drogenpolitik zu problematisieren.

    Alle Drogen sind domestizierbar

    Wenn es als der wichtigste Unterschied zwischen Genussmitteln und
    Rauschgiften angesehen wird, dass Genussmittel im Regelfall dem Markt
    überantwortet werden können, während Rauschgifte so stark sind, dass
    sie im Regelfall auch von „normalen erwachsenen Bürgern“ nicht
    selbstverantwortlich benutzt werden können, dann steht und fällt die
    Legitimation der geteilten Drogenpolitik mit der Frage, ob die
    verbotenen Drogen tatsächlich „normalerweise“ diese Folgen zeitigen.

    Sollte man also die weichen Drogen in irgend einer Form legal
    zugänglich machen? Ideen und so manche politischen Initiativen
    existieren bereits. In den Niederlanden ist der Konsum faktisch
    entkriminalisiert. Und nichts ist passiert. Weder hat sich der Konsum
    ausgebreitet – noch gibt es einen besonders hohen Anteil von
    „Problemkonsumenten“. Im Regelfall beherrscht der Mensch die Droge.

    Machen Suchtgifte süchtig? – Neue Antworten

    Der Stand des Wissens hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten
    grundlegend verändert. Heute weiß man: Die These, dass Rausch- bzw.
    Suchtgifte ihre Konsumenten gleichsam per se und im Regelfall süchtig
    machen, ist zu schlicht und schlicht falsch. Das gilt für Cannabis
    und Heroin, aber auch für Kokain und vermutlich sogar für Crack.

    Die Schlussfolgerung

    Es führt kein Weg an der Schlussfolgerung aus diesen Befunden vorbei.
    Wenn wir es für richtig halten, die heute schon legalen Genussmittel
    auch weiterhin legal zu halten – und wenn wir dieser Ansicht sind,
    weil wir uns einem freiheitlichen Menschenbild verpflichtet fühlen,
    das jede unnötige Bevormundung der Bürger als einer offenen
    Gesellschaft nicht würdig ablehnt, sondern statt dessen auf die
    Mündigkeit der Bürger, in unserem Fall: die Drogenmündigkeit (Gundula
    Barsch), also die Einsichts- und Lernfähigkeit des einzelnen als
    einer unverrückbaren Grundprämisse unserer Gesellschaft setzen, –
    dann gibt es keinen Grund mehr dafür, die Spaltung der Drogen in
    legale und illegale aufrecht zu erhalten. Die Drogenpolitik darf
    nicht nur, sie muss dann wiedervereinigt werden (sie war es ja bis in
    das späte 19. Jahrhundert hinein schon gewesen). Sofern die
    Konsequenzen des Konsums von Crack nicht prinzipiell andere sind als
    die des Konsums von Alkohol, dann gelten die Freiheitsgrenzen, die
    für Alkohol gelten, im Prinzip (nicht im Detail) auch für die heute
    (ungerechtfertigterweise noch) verbotenen Drogen.

    Man könnte dann endlich auch ohne Reue auf die heutige Planwirtschaft
    im Drogensektor verzichten – einen Fremdkörper in unserem
    Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, der zugunsten einer hehren,
    aber auf falschen Voraussetzungen aufbauenden Illusion viel unnötiges
    Leid – von den materiellen Kosten ganz zu schweigen – verursacht hat.
    Das Scheitern der Planwirtschaft

    Fast überall auf der Welt konnte man in den letzten Jahrzehnten das
    Scheitern der Planwirtschaft beobachten. Merkwürdigerweise zeigte man
    aber nur mit dem Finger auf andere Staaten und Systeme, ohne
    naheliegende Parallelen zu den eigenen Wirtschaftssystemen zu
    entdecken. Der Bevölkerung westlicher Staaten ist nicht einmal
    bewusst, dass es vor allem eine planwirtschaftliche Enklave auch in
    ihren Gesellschaften gibt, die nicht besser funktioniert als die
    Planwirtschaft sowjetischen Stils – und die auf Dauer ebenso wenig zu
    retten sein wird wie diese.
    Offenbar haben wir es hier mit einem ultrastabilen
    „Gedankengefängnis“ der von Stephan Quensel begrifflich geprägten
    (sowie von ihm und z.B. auf wunderbare Art auch von Christian Marzahn
    analysierten) Art zu tun. Man sitzt im Gefängnis der Planwirtschaft
    und bemerkt es nicht einmal. Man lebt mit den fulminanten und
    verheerenden Nebenwirkungen dieser Kommandowirtschaft und begreift es
    nicht einmal. Dabei ist das System, das von seinen Erfindern selbst
    ganz öffentlich als Planwirtschaft gepriesen wurde, damals wie heute
    dasselbe.

    Im Prinzip, so glaubt man, ist das Kontrollsystem […] perfekt. Man
    feiert ausdrücklich „die lückenlose Regelung einer ganzen Industrie
    und eines Handels, der sich über die ganze Erde erstreckt“. Man
    feiert ausdrücklich ein System, das man, wie es in der Broschüre des
    Völkerbundes von 1934 hieß, „gewöhnlich ‚Planwirtschaft’ nennt.“

    Der Völkerbund heißt heute UNO. Das Opium-Zentralkomitee heißt heute
    International Narcotics Control Board. Statt in Genf sitzt man in
    Wien. Der Name Planwirtschaft ist aus dem Vokabular gestrichen.
    Betrieben wird sie freilich wie eh und je. Wie bei jeder
    Planwirtschaft, so hilft auch hier eine Art rhetorischer
    Selbstsuggestion über mögliche Zweifel und Anfechtungen hinweg. Man
    gratuliert sich dauernd selbst zu den schönsten Erfolgen und freut
    sich auf den nahen Sieg.

    Wie auch die sowjetische, so funktioniert die Drogenplanwirtschaft
    auf dem Papier auf bewundernswerte Weise. Die Globalzentrale
    ermittelt den Bedarf eines jeden Staates und genehmigt den
    berechtigten Bedarf. Gerechnet wird in Gramm. So hatte z.B.
    Deutschland einen Bedarf von 10. 000 Gramm Kokain (und Null Gramm
    Cannabis) angemeldet. Das Zentralkomitee hat den Bedarf bestätigt und
    sorgt für Anbau und pünktliche Lieferung. Alles funktioniert zur
    Zufriedenheit.
    Doch wie in der Sowjetunion, wo auch immer alles zur Zufriedenheit
    funktionierte, und wo doch neben dem Bedarf immer noch ein weiterer –
    und weitaus größerer – Bedarf an Schuhen und Fleisch, an Hüten und
    Hühnern, an Jeans und an Joghurt bestand, den ein riesenhafter und
    schwungvoller Schwarzhandel freilich völlig unkontrolliert von den
    Behörden zu befriedigen suchte, so hat auch die Drogenplanwirtschaft
    schon lange einen großen Bruder, der den legalen Handel um ein
    Vielhundertfaches, wenn nicht um ein Tausendfaches überragt. Es ist
    wie in der Sowjetunion. Denn je weiter sich die bürokratische
    Bedarfsfeststellung von den Bedürfnissen der Bevölkerung entfernt,
    desto mächtiger werden Schwarzhändler, Schmuggler und Mafiosi.

    Der Drogenschwarzmarkt kann sich mit dem Schwarzmarkt, der in den
    letzten Jahren des Sowjetimperiums herrschte, durchaus messen.

    Was ist heute Drogenpolitik? Der martialische, aber hilflose, der für
    die Menschen gedachte, aber gegen sie wirkende Versuch, mit den
    Folgen der fehlgeschlagenen Planwirtschaft zurechtzukommen.

    Eine künftige Drogengesetzgebung sollte sich wie die alte am
    bestmöglichen Kenntnisstand über den Normalfall des Konsums
    orientieren. Da sich gerade dieses Wissen radikal geändert hat,
    können die Regeln nicht dieselben bleiben. Drogen sind – neben
    anderen Verwendungsweisen, die sie dann auch zu etwas anderem werden
    lassen – vor allem eines: Genussmittel. Wenn wir für die Anerkennung
    der Legitimität der Bedürfnisse einstehen, stehen wir auch für unsere
    eigenen Rechte ein. Einem gesellschaftspolitischen Engagement
    gegenüber, das hingegen immer nur verbissen für die Anderen kämpft
    (und das Recht auf Genuss normalerweise nicht zum Kernbereich der
    Persönlichkeitsrecht zählt), ist größte Vorsicht angebracht. Der
    Rioja, den diese Leute allenfalls mal trinken, sei ihnen missgönnt.

    Wie kann man Wein genießen, wenn sich in derselben Gesellschaft die
    Freunde eines Joints oder einer Opiumpfeife wie Aussätzige verstecken
    müssen?

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