Rechtzeitig zum Beginn der weltweit größten Orgie mit Suchtmitteln, zu der mehr als sechs Millionen Drogengebraucher in München erwartet werden, wo die Rettungsdienste rund um die Uhr ein massives Aufgebot an Hilfskräften in Bereitschaft halten und die Kliniken Notfallbetten aufstellen, um für akute Intoxikationen, rauschbedingte Psychosen und Körperverletzungen vorbereitet zu sein – rechtzeitig zum Beginn des 200. Münchner Oktoberfestes also – kommt eine freundliche Einladung zum Selber-Mal-Anfangen-Anders-Über-Drogen-Nachzudenken.
Der Autor Mathias Bröckers, der schon 1993 mit Jack Herer ausgesprochen erfolgreich über „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf“ und 2002 ganz schön versponnen, aber doch auch mit Mut und nicht ganz ohne Grund über „Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11. September“ geschrieben hatte, schreibt diesmal über die Geschichte der Prohibition, über die Gefängnisindustrie, die Drogenökonomie des Terrors, den geheimen, aber staatlich sanktionierten Drogen- und Waffenhandel, das Ende des Schamanismus und den Beginn des Drogenhandels, über seinen (kürzlich verstorbenen) Freund Jack Herer und dessen Wiederentdeckung des Hanfs – mit „Fakten über Cannbinoide“ – und er vergleicht die Drogenrituale des Oktoberfests mit denen von Goa-Parties in der norddeutschen Tiefebene. Schließlich skizziert er Wege ins Drogenparadies der Legalisierung, mit Beipackzetteln und „großen Drogenkaufhäusern wie dem in Berlin-Mitte“, wo das gesamte Erdgeschoss der Drogenberatung durch freundlich-fachkundiges und (in München oder Goa?) perfekt geschultes Personal gewidmet ist, während es in der ersten Etage dann Fair-Trade-Haschisch und in der zweiten die beliebten Stimulanzien (z.B. Meerträubel; die Inhalatoren gibt es auf demselben Geschoss in der Geräteabteilung) per Kundenkarte und immer nur in bestimmten Mengen (verdammte Planwirtschaft!) zu kaufen gibt. – Wie viele Geschosse das Kaufhaus haben wird? Nur die Phantasie – und die Architektur – können da Grenzen setzen (der recht stabil wirkende Q 1 Tower in der australischen Stadt Goldcoast hat zum Beispiel 80 Etagen).
Das Buch erinnert nicht nur an die vor Jahren von Henning Schmidt-Semisch angestoßene Diskussion um die Entkriminalisierung von Drogen („Drogen als Genussmittel“), es birgt auch zahlreiche kriminologische Forschungsthemen aller Art, wie z.B. die These, dass der Kampf gegen den Terrorismus nur Erfolg haben kann, wenn der Kampf gegen Drogen aufgegeben wird. Oder anders herum gesagt: „Solange der ‚War on Drugs‘ dafür sorgt, dass mit Heroin und Kokain mehr Profit gemacht werden kann als mit jedem anderen Produkt dieser Erde, so lange bleibt jeder Kampf gegen Terrorismus aussichtslos.“ Diese Art der Perspektivenumkehr und des unkonventionellen Denkens ist nicht mehr und nicht weniger als die freundliche Einladung an die Leserschaft, sich für die Flucht aus dem Gedankengefängnis des hegemonialen Diskurses vorzubereiten. Aus der Sicht der Bundesdrogenbeauftragten wäre das also sicher nicht zu billigen und fast schon eine Art Gefangenenbefreiung und die bekannte Literaturrezensentin Angela Merkel würde zu der Neuerscheinung sicher nur sagen: „Nicht sehr hilfreich.“
GG 🙂
Die gegenwärtige bundesrepublikanische – konservative, liberale
wie auch radikale – Diskussion der Drogenfrage wird durch eine
Grundeinstellung beherrscht, die lediglich die sogenannten illegalen
Drogen sieht und diese nur unter dem ‚Sünden-Paradigma’ wahrnimmt,
und die dementsprechend nur nach deren schlechten Ursachen wie nach
deren schlechten Folgen sucht.
Nirgendwo vermochte eine Planwirtschaft zu existieren, die nicht von
einem komplexen System illegaler Tauschbeziehungen flankiert oder
überlagert gewesen wäre.
Tatsächlich liegt der wichtigste Grund für das Verbot der Drogen in
der Überzeugung, dass sie – anders als Alkohol und Tabak – nicht nur
eine Minderheit von KonsumentInnen zerstörten, sondern im Normalfall
so wirkten. Während es einige heroische Individuen geben mag, die
sich trotz des Kontakts mit den Rauschgiften vor einem Abgleiten in
die Sucht bewahren könnten, siege in der Regel bei diesen dangerous
drugs die Droge über den Menschen. Deshalb die Notwendigkeit – selbst
der liberalsten Gesellschaften –, die Entscheidung über den Kauf und
Konsum von Drogen nicht jedem Bürger selbst zu überlassen, nur um
dann passiv der Zerstörung seines Willens, seiner Arbeitskraft und
seiner Existenz zuzusehen. Im folgenden geht es um nicht mehr und
nicht weniger als den Versuch, diese Grundannahme als den größten und
entscheidenden Irrtum der Drogenpolitik zu problematisieren.
Alle Drogen sind domestizierbar
Wenn es als der wichtigste Unterschied zwischen Genussmitteln und
Rauschgiften angesehen wird, dass Genussmittel im Regelfall dem Markt
überantwortet werden können, während Rauschgifte so stark sind, dass
sie im Regelfall auch von „normalen erwachsenen Bürgern“ nicht
selbstverantwortlich benutzt werden können, dann steht und fällt die
Legitimation der geteilten Drogenpolitik mit der Frage, ob die
verbotenen Drogen tatsächlich „normalerweise“ diese Folgen zeitigen.
Sollte man also die weichen Drogen in irgend einer Form legal
zugänglich machen? Ideen und so manche politischen Initiativen
existieren bereits. In den Niederlanden ist der Konsum faktisch
entkriminalisiert. Und nichts ist passiert. Weder hat sich der Konsum
ausgebreitet – noch gibt es einen besonders hohen Anteil von
„Problemkonsumenten“. Im Regelfall beherrscht der Mensch die Droge.
Machen Suchtgifte süchtig? – Neue Antworten
Der Stand des Wissens hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten
grundlegend verändert. Heute weiß man: Die These, dass Rausch- bzw.
Suchtgifte ihre Konsumenten gleichsam per se und im Regelfall süchtig
machen, ist zu schlicht und schlicht falsch. Das gilt für Cannabis
und Heroin, aber auch für Kokain und vermutlich sogar für Crack.
Die Schlussfolgerung
Es führt kein Weg an der Schlussfolgerung aus diesen Befunden vorbei.
Wenn wir es für richtig halten, die heute schon legalen Genussmittel
auch weiterhin legal zu halten – und wenn wir dieser Ansicht sind,
weil wir uns einem freiheitlichen Menschenbild verpflichtet fühlen,
das jede unnötige Bevormundung der Bürger als einer offenen
Gesellschaft nicht würdig ablehnt, sondern statt dessen auf die
Mündigkeit der Bürger, in unserem Fall: die Drogenmündigkeit (Gundula
Barsch), also die Einsichts- und Lernfähigkeit des einzelnen als
einer unverrückbaren Grundprämisse unserer Gesellschaft setzen, –
dann gibt es keinen Grund mehr dafür, die Spaltung der Drogen in
legale und illegale aufrecht zu erhalten. Die Drogenpolitik darf
nicht nur, sie muss dann wiedervereinigt werden (sie war es ja bis in
das späte 19. Jahrhundert hinein schon gewesen). Sofern die
Konsequenzen des Konsums von Crack nicht prinzipiell andere sind als
die des Konsums von Alkohol, dann gelten die Freiheitsgrenzen, die
für Alkohol gelten, im Prinzip (nicht im Detail) auch für die heute
(ungerechtfertigterweise noch) verbotenen Drogen.
Man könnte dann endlich auch ohne Reue auf die heutige Planwirtschaft
im Drogensektor verzichten – einen Fremdkörper in unserem
Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, der zugunsten einer hehren,
aber auf falschen Voraussetzungen aufbauenden Illusion viel unnötiges
Leid – von den materiellen Kosten ganz zu schweigen – verursacht hat.
Das Scheitern der Planwirtschaft
Fast überall auf der Welt konnte man in den letzten Jahrzehnten das
Scheitern der Planwirtschaft beobachten. Merkwürdigerweise zeigte man
aber nur mit dem Finger auf andere Staaten und Systeme, ohne
naheliegende Parallelen zu den eigenen Wirtschaftssystemen zu
entdecken. Der Bevölkerung westlicher Staaten ist nicht einmal
bewusst, dass es vor allem eine planwirtschaftliche Enklave auch in
ihren Gesellschaften gibt, die nicht besser funktioniert als die
Planwirtschaft sowjetischen Stils – und die auf Dauer ebenso wenig zu
retten sein wird wie diese.
Offenbar haben wir es hier mit einem ultrastabilen
„Gedankengefängnis“ der von Stephan Quensel begrifflich geprägten
(sowie von ihm und z.B. auf wunderbare Art auch von Christian Marzahn
analysierten) Art zu tun. Man sitzt im Gefängnis der Planwirtschaft
und bemerkt es nicht einmal. Man lebt mit den fulminanten und
verheerenden Nebenwirkungen dieser Kommandowirtschaft und begreift es
nicht einmal. Dabei ist das System, das von seinen Erfindern selbst
ganz öffentlich als Planwirtschaft gepriesen wurde, damals wie heute
dasselbe.
Im Prinzip, so glaubt man, ist das Kontrollsystem […] perfekt. Man
feiert ausdrücklich „die lückenlose Regelung einer ganzen Industrie
und eines Handels, der sich über die ganze Erde erstreckt“. Man
feiert ausdrücklich ein System, das man, wie es in der Broschüre des
Völkerbundes von 1934 hieß, „gewöhnlich ‚Planwirtschaft’ nennt.“
Der Völkerbund heißt heute UNO. Das Opium-Zentralkomitee heißt heute
International Narcotics Control Board. Statt in Genf sitzt man in
Wien. Der Name Planwirtschaft ist aus dem Vokabular gestrichen.
Betrieben wird sie freilich wie eh und je. Wie bei jeder
Planwirtschaft, so hilft auch hier eine Art rhetorischer
Selbstsuggestion über mögliche Zweifel und Anfechtungen hinweg. Man
gratuliert sich dauernd selbst zu den schönsten Erfolgen und freut
sich auf den nahen Sieg.
Wie auch die sowjetische, so funktioniert die Drogenplanwirtschaft
auf dem Papier auf bewundernswerte Weise. Die Globalzentrale
ermittelt den Bedarf eines jeden Staates und genehmigt den
berechtigten Bedarf. Gerechnet wird in Gramm. So hatte z.B.
Deutschland einen Bedarf von 10. 000 Gramm Kokain (und Null Gramm
Cannabis) angemeldet. Das Zentralkomitee hat den Bedarf bestätigt und
sorgt für Anbau und pünktliche Lieferung. Alles funktioniert zur
Zufriedenheit.
Doch wie in der Sowjetunion, wo auch immer alles zur Zufriedenheit
funktionierte, und wo doch neben dem Bedarf immer noch ein weiterer –
und weitaus größerer – Bedarf an Schuhen und Fleisch, an Hüten und
Hühnern, an Jeans und an Joghurt bestand, den ein riesenhafter und
schwungvoller Schwarzhandel freilich völlig unkontrolliert von den
Behörden zu befriedigen suchte, so hat auch die Drogenplanwirtschaft
schon lange einen großen Bruder, der den legalen Handel um ein
Vielhundertfaches, wenn nicht um ein Tausendfaches überragt. Es ist
wie in der Sowjetunion. Denn je weiter sich die bürokratische
Bedarfsfeststellung von den Bedürfnissen der Bevölkerung entfernt,
desto mächtiger werden Schwarzhändler, Schmuggler und Mafiosi.
Der Drogenschwarzmarkt kann sich mit dem Schwarzmarkt, der in den
letzten Jahren des Sowjetimperiums herrschte, durchaus messen.
Was ist heute Drogenpolitik? Der martialische, aber hilflose, der für
die Menschen gedachte, aber gegen sie wirkende Versuch, mit den
Folgen der fehlgeschlagenen Planwirtschaft zurechtzukommen.
Eine künftige Drogengesetzgebung sollte sich wie die alte am
bestmöglichen Kenntnisstand über den Normalfall des Konsums
orientieren. Da sich gerade dieses Wissen radikal geändert hat,
können die Regeln nicht dieselben bleiben. Drogen sind – neben
anderen Verwendungsweisen, die sie dann auch zu etwas anderem werden
lassen – vor allem eines: Genussmittel. Wenn wir für die Anerkennung
der Legitimität der Bedürfnisse einstehen, stehen wir auch für unsere
eigenen Rechte ein. Einem gesellschaftspolitischen Engagement
gegenüber, das hingegen immer nur verbissen für die Anderen kämpft
(und das Recht auf Genuss normalerweise nicht zum Kernbereich der
Persönlichkeitsrecht zählt), ist größte Vorsicht angebracht. Der
Rioja, den diese Leute allenfalls mal trinken, sei ihnen missgönnt.
Wie kann man Wein genießen, wenn sich in derselben Gesellschaft die
Freunde eines Joints oder einer Opiumpfeife wie Aussätzige verstecken
müssen?