Welche Lehren ziehen wir aus dem 2. Weltkrieg? Es ist nicht lange her, da lautete die von den Regierenden ausgegebene Losung: Von deutschem Boden soll niemals wieder ein Krieg ausgehen. Doch keine Lehre und keine Losung ist fuer die Ewigkeit gedacht. Vom politisch-pragmatischen Pazifismus haben wir uns in Gestalt unserer Kanzlerin langsam aber sicher auf ein eher philosophisches Niveau aufgeschwungen. Nunmehr hiess die Lehre, verkuendet vor der Danzigreise unserer Kanzlerin: „Wir werden Ursache und Wirkung niemals verkehren.“ Oder doch?
Am Freitag vergangener Woche bombardiert die North Atlantic Treaty Organisation, kurz NATO, ein Ziel IN ZENTRALASIEN (Kundus, Afghanistan) ganz ganz weit oben im Norden des Nordatlantiks.
Ursache: ein deutscher General hatte bemerkt, dass zwei Tanklastwagen sich im Sand festgefahren hatten. Einheimische Terroristen verteilten die Ladung gerade an die terroristische Bevoelkerung der Umgebung: Wasser? Benzin fuer Molotowcocktails? Nach dem Bombenangriff auf die Lastwagen und die Menschentrauben, die sich um die Wagen geschart hatten, um ihren Anteil von der Ladung abzuzapfen, laesst sich das wohl nicht mehr so leicht sagen. Alles ist verkohlt, kaputt, unkenntlich. Nicht nur die Lastwagen.
Das Oberkommando in Deutschland sagt: alles Terroristen. Ein Beitrag zur Stabilisierung des Landes. Wir fuehren keinen Krieg. Es ist kein Krieg. Es ist ein Stabilisierungseinsatz, der den Maennern und vor allem den unterdrueckten Frauen in diesem armen Land am Rande des Mittelalters etwas Erleichterung bringen soll. Alles Terroristen.
Der franzoesische Aussenminister Kouchner: Wir sollten das afghanische Volk unterstuetzen, nicht bombardieren.
Die Mehrheit der in Stockholm versammelten EU-Aussenminister teilt eher die Meinung von Herrn Kouchner. Taktische Siege koennen leicht zu strategischen Niederlagen werden, wenn zu viele Zivilisten getoetet werden.
Wenn der Kriminologe Stanley Cohen recht hat, dann wird es nicht lange dauern, bis aus der Verleugnungsstrategie der Bundesregierung eine dreistufe Legitimationsstrategie wird.
Nach Cohen funktioniert das so:
Erste Stufe: man verleugnet das Geschehen, nicht nur die eigene Verantwortung, sondern alles – Ursache und Wirkung.
Zweite Stufe: das Geschehen laesst sich nicht mehr leugnen. Man gibt zu: es waren einige, mehrere, viele Zivilisten, die ums Leben kamen. Aber es war eine notwendige militaerische Operation. Kein Massaker, sondern eine strategisch unabweisbare Notwendigkeit. Und keine Verletzung des Rechts, sondern alles im Rahmen.
Dritte Stufe: Es war vielleicht eine Verletzung von Voelkerrecht und nationalem Recht. Aber es war zumindest moralisch gerechtfertigt, da es sich gegen Feinde des Rechts, der Modernitaet (und der westlichen Kleidungsgewohnheiten, moechte man anfuegen) richtete. Am Rande unseres Kulturraums gelten halt andere Gesetze, die man nicht unbedingt im Gesetzbuch findet.
Ursache und Wirkung. Ein komplexes Kapitel, das ohne die Beruecksichtigung der watzlawickschen Interpunktionsmetapher nicht erschoepfend behandelt werden kann. Ein wahrhaft weites Feld.
Wie waere es mit einer Rueckkehr zur alten Losung, der vom Krieg, der niemals mehr von Deutschland ausgehen sollte? Das ist eher operationalisierbar. Und man wuesste genau, was zu tun waere: Raus aus Afghanistan. Afghanistan ist Asien. Asien gehoert zu Asien, nicht zum Nordatlantik. Und gut.
Ich sehe den Bundestagswahlen mit Grausen entgegen. Keine Partei fuer das Voelkerrecht weit und breit. Keine Partei fuer den sofortigen Abzug unserer Besatzungstruppen. Ausser einer etwas merkwuerdigen, die zu waehlen sich alles in mir straeubte. Bisher. Aber diesmal geht es wohl nicht mehr um Haarestraeuben und andere Befindlichkeiten. Diesmal geht es um das Recht. Um den unter Bush und Merkel verlorenen Respekt vor dem Voelkerrecht. Diesmal muss es wohl sein. Diesmal mache ich mein Kreuz bei der LINKEN.
[…] erinnere sich. Gestern stellte ich anlaesslich des Tanklastzug-Massakers von Kundus im Post ueber Ursache und Wirkung das deskriptive Modell der Legitimation staatlicher Rechtsbrueche durch die Taktik der […]