Im Zentrum des dritten Teils des Kriminalpolitischen Parteien-Checks zur Bundestagswahl 2013 steht das Wahlprogramm der SPD.
Am 14. April hat die SPD ihr Wahlprogramm mit dem Titel „DAS WIR ENTSCHEIDET. DAS REGIERUNGSPROGRAMM 2013-2017″ verabschiedet, welches in unterschiedlichen Versionen unter der Adresse http://www.spd.de/95466/regierungsprogramm_2013_2017.html verfügbar ist. Neben den PDF-Dateien unterschiedlichen Umfangs gibt es auch eine, als Kurzversion ausgewiesene, 28:27 minütige Hörvariante des Wahlprogrammes „Unser Regierungsprogramm gelesen von Wolfgang Thierse und Aydan Özoguz“.
Die nachfolgenden Ausführungen und Zitate beziehen sich, sofern nicht anderweitig gekennzeichnet, auf die 1,5 MB große Langfassung des Regierungsprogramms.
Einführend werden auf der Webseite unter Verweis auf eine aktive Mitarbeit von Bürger/innen am Wahlprogramm im Rahmen des „SPD-Bürger-Dialogs“ die wesentlichen Forderungen der Partei formuliert. Jene Schwerpunktthemen sind ebenfalls in Form kurzer Zusammenfassungen auf der Seite verfügbar. Ein kriminalpolitischer Bezug hinsichtlich der hier formulierten zentralen Positionen, denen mehrheitlich die Formulierung „Wir wollen ein Land, (…)“ vorangestellt ist, ist nicht zu erkennen.
Allgemeines und Gestaltung
Die Langversion des Regierungsprogramms der SPD umfasst 119 Seiten. Das Titelblatt ist durch die zentralen Farben des Programms gekennzeichnet: einem Farbverlauf von Violett in ein, dem Parteilogo entsprechenden, Rot. Im oberen violetten Drittel befindet sich das rot-weiße Logo der Partei, während sich der weiße Titel des Programms „DAS WIR ENTSCHEIDET. DAS REGIERUNGSPROGRAMM 2013-2017″ in der Bildmitte linksbündig vor dem roten Hintergrund absetzt.
Diese grell wirkende Farbkombination von Violett-Rot auf dem Titelbild wird regelhaft im Programm zu Zwecken der Hervorhebungen der ansonsten schwarzen Schrift vor weißem Hintergrund aufgenommen: Die Fußzeile „Das Regierungsprogramm 2013-2017“, Unterkapitelüberschriften sowie ein dieses einleitender Absatz sind (teilweise) in violett gehalten. Kapitelüberschriften, Seitenzahlen und Aufzählungszeichen hingegen sind in rot dargestellt. In der Kombination mit scheinbar uneinheitlich verwendeten Fett-Hervorhebungen im Text, und durch weitere (meist sehr ähnliche) Farbzuweisungen zu jedem der 11 Kapitel in Inhaltsverzeichnis und Text (als seitenweise wechselndes kleines Quader am Blattrand) wirkt die Gesamtgestaltung sehr unharmonisch und unübersichtlich.
Ein weiteres, in unregelmäßigen Abständen verwendetes Stilmittel ist der Verweis auf von Bürgerinnen und Bürgern eingebrachten Vorschlägen für das Wahlprogramm im Kontext des Projektes „SPD Bürger-Dialog“, auf das bereits auf der zweiten Seite des Programms, und damit abgehoben vom Programm selbst, hingewiesen wird. In verschiedenen Kapiteln werden jeweils in einem, ca. ein Drittel der Seite einnehmendem, rot umrandeten Kasten die „interessantesten Anregungen“ (S. 2) präsentiert. In diesem Kasten sind zunächst Ort und Datum sowie das Thema in Form eines Zitates vermerkt, dem dann die daran orientierten wahlpolitischen Forderungen folgen.
Alle weiteren, auf der oben angegebenen Webseite ebenfalls abrufbaren alternativen Versionen des Wahlprogrammes folgen dem dargestellten Farbschema, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Länge und Verwendung weiterer Stilmittel (z.B. das „DAS WIR ENTSCHEIDET. DAS WAHLPROGRAMM DER SPD FÜR DIE BUNDESTAGS-WAHL IN LEICHTER SPRACHE„), die Broschüre „EINFACHE SPRACHE. SPD. DAS WIR ENTSCHEIDET. KURZ UND KLAR: WAS WIR WOLLEN“)1.
Ebenso wie auf der Webseite deuten sich in den jeweiligen Inhaltsverzeichnissen zunächst keine expliziten kriminalpolitischen Forderungen an.
So lauten die elf Kapitelüberschriften des Hauptteils der Langfassung des Wahlprogramms der SPD:
- Deutschland besser und gerechter regieren: Für ein neues soziales Gleichgewicht in unserem Land
- Finanzkapitalismus bändigen – Wirtschaft und Mittelstand stärken – Gute Arbeit schaffen
- Bildung, Gleichberechtigung und Zusammenleben in einer modernen Gesellschaft
- Für eine gerechte Steuerpolitik
- Soziale Sicherheit und Vorsorge
- Gute Nachbarschaft
- Umwelt und Verbraucherschutz
- Demokratie leben
- Für ein besseres Europa
- Unsere Idee der Globalisierung: Gerechtigkeit für alle statt Reichtum für wenige
- Deutschland besser regieren!
Erst ein Blick in die zahlreichen Unterkapitel gibt den Hinweis, dass sich unter Punkt VIII.3 „Für Freiheit in Sicherheit“ (S. 99-102) der Schwerpunkt zu sicherheits- und kriminalpolitischen Positionen findet. Dabei handelt es sich nicht nur um einen, mit 4 Seiten, verhältnismäßig kurzen Abschnitt. Das gesamte Kapitel VIII gehört mit einem Umfang von 7 Seiten zu den kurzen Textabschnitten – im Gegensatz zu Kapitel II. und III., welche mit 30 bzw. 24 Seiten, zumindest vom Umfang her, die Schwerpunkte des Programms darstellen.
Wortzählung
Die nachfolgende Auszählung von Schlagworten mit kriminal- und sicherpolitischer Konnotation im Wahlprogramm der SPD dient einer ersten Annäherung an dessen inhaltliche Ausrichtung. Die Darstellung der Häufigkeiten der Schlagworte bezieht sich jeweils auf den Wortstamm (d.h. Terror umfasst ebenfalls terroristisch, Terrorismus, Terrorismusabwehr etc.). Zum Vergleich mit dem vergangenen Wahlprogramm 2009-2013 der SPD befindet sich die damalige Häufigkeit der Wortnennungen in Klammern dahinter.
Begriff | Häufigkeit des Vorkommens |
Freiheit | 39 (21) |
Sicherheit | 64 (53) |
Gefahr(en) | 16 (10) |
Terror/Terrorismus/-abwehr etc. | 12 (8) |
Bekämpfung | 20 (5) |
Krieg | 9 (5) |
Kriminalität | 16 (7) |
Verbrechen | 4 (2) |
Straftäter | 1 (1) |
Kriminell | 4 (3) |
Droge | 1 (1) |
Datenschutz | 13 (8) |
Gesetz/gesetzlich | 15 (-) |
Verbot | 2 (-) |
Überwachung/überwacht | 2 (-) |
Kriminal- und sicherheitspolitische Positionen
Die explizit kriminalpolitischen Positionen der SPD finden sich auf den Seiten 99-102 des Regierungsprogramms dargestellt. Der Überschrift „Für Freiheit in Sicherheit“ (S. 99) folgend, lässt sich einleitend zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit folgendes lesen:
Wir spielen nicht Sicherheit und Freiheit gegeneinander aus, sondern sehen in einem umfassenden und sozialen Verständnis von Sicherheit das Fundament für demokratische Freiheit und Offenheit. In der Demokratie gehören Freiheit und Sicherheit zusammen. Frei sind nur Menschen, die nicht in ständiger Furcht vor Gewalt, Kriminalität und Terror leben. (S. 99)
Die einzelnen kriminalpolitischen Positionen und Forderungen sind zum Zwecke der Übersicht nachfolgend in Spiegelstrichen aufgeführt.
Die Position der Polizei in der Gesellschaft stärken (S. 99)
- Polizisten und Polizistinnen „professionell“ ausbilden und ausrüsten
- Sicherheit durch Polizeipräsenz vor Ort schaffen
- Einbindung der Polizei in Sicherheitspartnerschaften und keine „Privatisierung von Sicherheitsaufgaben
- Gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit der Polizei
Die Ursachen von Jugendkriminalität und -gewalt verhindern und bekämpfen (S. 99)
- Jugendkriminalität durch „gezielte Bildungs- und Jugendarbeit“ verhindern
- Straftat und Strafe für jugendliche Straftäter erfahrbar werden lassen durch verbesserte Kooperation der beteiligten Behörden und zeitnahe Einleitung von Straf- und Erziehungsmaßnahmen
Wirtschafts- und Steuerkriminalität bekämpfen (S. 99)
- Mehr Steuerfahnder einsetzen
- Neue Sanktionsmöglichkeiten schaffen
- Möglichkeiten der Vermögensabschöpfung verbessern
- Einführung eines Unternehmensstrafrechts
- Einführung eines bundesweiten Korruptionsstrafregisters und eines gesetzlich verankerten Schutz von Hinweisgeberinnen und –gebern
- Scharfe Ahndung von Korruption und Bestechlichkeit
Cyberkriminalität (S. 99)
- Dem Know-how von „hochtechnisierten Kriminellen“ angepasste Ausrüstung der Ermittlungsbehörden
- Gewährleistung, Anpassung und Prüfung der Verhältnismäßigkeit der vorhandenen Sicherheitsarchitektur
- Neue Verantwortung für Unternehmen, Angriffe zur Gewährleistung rascher Ermittlungen zu melden, etablieren
- Schutz der Unternehmen und Volkswirtschaft vor Cyberkriminalität gewährleisten
- Prävention durch Förderung der Eigenverantwortung von Internetnutzerinnen und -nutzern durch die Vermittlung von Medienkompetenz
Überwachung und Datenschutz (S. 99-100)
- Gewährleistung der vertraulichen Kommunikation
- Beschränkung der Kommunikationsüberwachung z.B. von Verbindungsdaten auf „schwerste Straftaten“
- Regelungen zur differenzierten Erfassung von unterschiedlichen Datenarten und ihrer Speicherdauer schaffen
- Keine Speicherung von Bewegungsprofilen
- Effektiven Datenschutz auf EU-Ebene durch unabhängigen Datenschutzbeauftragten und Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ermöglichen
- Datenschutz durch etablierte Kooperation mit „Experten der Netz-Community“ und Bürgerrechtsorganisationen stärken
Gewalt gegen Frauen bekämpfen (S. 100)
- Entwicklung eines Aktionsplans II zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
- Entwicklung eines Konzepts zur Sicherstellung der Finanzierung von Beratungseinrichtungen in Bund-Länder-Kooperation
- Verbesserung des Ineinandergreifens von Gewaltschutzgesetz und Umgangsrecht
- Umsetzung der Europaratskonvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt
- Bekämpfung von Frauenhandel, „Ehrenmorden“ und Zwangsheirat durch Verbesserung rechtlicher Reglungen zum Zeuginnen- und Zeugenschutz und Opferschutz
- Schaffung eines eigenen Straftatbestandes und Aufnahme der Genitalverstümmelung in den Katalog für Auslandstaten im Strafgesetzbuch
Rechtsextremismus bekämpfen (S. 101-102)
- Aufarbeitung von Fehlern und Versäumnissen der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit den durch die „NSU“ begangenen Morde
- Institutionelle Reformen des Verfassungsschutzes zur frühzeitigen und umfassenden Bekämpfung von Rechtsextremismus und Wiederherstellung des Vertrauens in Sicherheitsbehörden
- Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden gegen Rechtsextremismus
- Verbot der NPD
- Stärkung der Zivilgesellschaft im Rahmen einer „Demokratieoffensive“ (Bildung, Antidiskriminierungsmaßnahmen, Aufklärung, Schulung)
- Entwicklung eines Aktionsplans gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus
- Abschaffung der „Extremismusklausel“
- Einrichtung einer „unabhängigen Monitoringstelle“ zur Bündelung zivilgesellschaftlicher Aufklärungs- und Präventionsprojekte
Reformierung des Verfassungsschutzes (S. 101)
- Einführung eines transparenten Verfassungsschutzgesetzes u.a. mit „klaren“ Regeln zum Umgang mit V-Leuten
- Verbesserung und Kompetenzneuschaffung in der Zusammenarbeit von Verfassungsschutz, Polizei und Justiz
Aber auch in den sich anderen Politikbereichen widmenden Kapiteln finden sich vereinzelt kriminal- und sicherheitspolitische Bezüge und Forderungen. Nachstehend sind die relevanten Stellen zitiert:
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik
Als ein wesentlicher Kern der wahlpolitischen Forderungen stellt sich der Bezug auf Aspekte der vergangenen und gegenwärtigen Wirtschaftspolitik dar. In der Argumentation knüpfen Positionen beispielsweise zur Sozial- oder Bildungspolitik an wirtschaftspolitische Forderungen an. Wie bereits der Titel des Kapitels II verrät – „Finanzkapitalismus bändigen“ – werden hier Neuorientierungen in Folge der Banken- und Finanzkrise formuliert, an die sich auch (zumindest indirekt) kriminalpolitische Forderungen knüpfen. So heißt es in Kapitel I., der Einleitung zu allen im Wahlprogramm formulierten Themen und Positionen:
Keine Kommodifizierung von Sicherheit
Bildung, Gesundheit, Kultur, private und öffentliche Sicherheit und Daseinsvorsorge wurden nicht mehr für alle garantiert, sondern sie wurden zum Marktprodukt, das man sich kaufen und leisten können muss. (S. 9)
Aber auch Datenschutz und Überwachung sind Themen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik:
Schutz vor Überwachung am Arbeitsplatz
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen am Arbeitsplatz einen besseren Schutz vor Überwachung und dem unkontrollierten Abspeichern sensibler Personaldaten. Für den besseren Persönlichkeitsschutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz ist ein eigenes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz notwendig. (S. 21)
Implizit gefordert wird in diesem Zusammenhang die Verantwortung von Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmern, potentielle Überwachung o.ä., öffentlich zu machen, worauf die Forderung, Hinweisgeberinnen und –geber vor negativen Folgen am Arbeitsplatz zu schützen, verweist:
Schutz von Whistleblowern
Gewerkschaftliche Vertrauensleute und so genannte Whistleblower brauchen verlässlichen Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz. (S. 21)
Finanz- und Steuerpolitik
Eine der wesentlichen kriminalpolitischen Positionen, die sich als einzige ebenfalls in den Kurzversionen der Wahlprogramme findet, bezieht sich auf das Thema „Steuerbetrug“. Dieses ist hinsichtlich der konkreten Maßnahmen vergleichsweise am konkretesten und umfangreichsten (S. 70-71) formuliert:
Steuerbetrug: Mehr Verantwortung für Finanzinstitute und Kooperationen mit Finanzämtern
Steuerbetrug ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, die das Vertrauen in den Rechtsstaat untergräbt und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet. Wir nehmen nicht hin, dass dem Gemeinwesen Milliarden Euro an Steuergeldern entgehen, weil einige Finanzinstitute nicht ausreichend mit den Finanzämtern kooperieren, Steuerbetrug dulden oder sogar im Rahmen ihrer Geschäftsmodelle durch das Angebot entsprechender Bankprodukte billigend unterstützen. Wir wollen deshalb alle in Deutschland tätigen Finanzinstitute verpflichten, keine Bankprodukte und -dienstleistungen anzubieten, mit denen ihre Kunden Steuern hinterziehen können, und mit den Finanzämtern zu kooperieren. (S. 70)
Steigende Strafbewehrung für Steuerbetrug
Leistet ein Finanzinstitut mit Sitz in Deutschland oder eine Zweigniederlassung eines ausländischen Instituts nachweislich Beihilfe zum Steuerbetrug oder verweigert sich der Kooperation mit den Steuerbehörden, soll dies bei zukünftigen Fällen stärker zur Rechenschaft gezogen werden können: Wir wollen eine sich steigernde Strafbewehrung, die mit Strafzahlungen beginnt und über die Möglichkeiten der Abberufung der Geschäftsführung und Berufsverboten bis zur Einschränkung der Banklizenz und als ultima ratio zum Entzug der Banklizenz führen kann. (S. 70)
Darüber hinaus sollen die Kooperation von Bundes- und Landesverwaltungen bei Ermittlungen grenzüberschreitender Steuerkriminalität verbessert werden und Befugnisse der bestehenden Staatsanwaltschaften gestärkt werden. Wie mit „Informationsangeboten privater Dritter über mutmaßlicher Steuerhinterzieher“ umgegangen, solle einheitlich geregelt werden.
Verjährungsfrist für Steuerbetrug ändern
Die Verjährungsfristen für Steuerbetrug werden wir anpassen. Verstöße gegen das Steuerrecht sollen künftig nicht mehr automatisch schon nach zehn Jahren verjähren, sondern zumindest die Laufzeit verdächtiger Finanzkonstrukte abdecken. Unsere Reform der Verjährungsfristen soll sich an der Praxis in den Vereinigten Staaten orientieren: Dort beginnt die Verjährungsfrist erst mit der Abgabe einer korrekten Steuererklärung. (S. 70)
Zwischenstaatlichen Informationsaustausch effektivieren
Wir wollen Steueroasen mindestens europaweit trockenlegen. Der zwischenstaatliche Informationsaustausch muss effektiver werden. Dazu wollen wir den Anwendungsbereich der EU-Zinsrichtlinie auf alle Kapitaleinkünfte und alle natürlichen und juristischen Personen ausdehnen und den automatischen Informationsaustausch zum Standard in Europa machen, auch im Verhältnis zu Drittstaaten wie der Schweiz. (S. 71)
Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges auch auf europäischer Ebene
Wir wollen uns intensiv für die Bekämpfung des Betrugs bei der Umsatzsteuer auf nationaler wie auf europäischer Ebene einsetzen. Die Bekämpfung von Steuerbetrug kann in einem gemeinsamen europäischen Markt nur europäisch gelingen. Wir werden uns in den europäischen Gremien für eine engere und koordinierte Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einsetzen und die Initiativen der Europäischen Kommission auch gegenüber Drittstaaten unterstützen. (S. 71)
Bildungs- und Gleichstellungspolitik
Mit 24 Seiten umfasst das Kapitel III zu Bildung und Gleichberechtigung eine Reihe unterschiedlicher kriminalpolitischer Forderungen, die sich in zwei Themenbereiche differenzieren lassen: zum einen den Schutz vulnerabler Personen in der Gesellschaft, wie auch die Eingangsformulierung des Kapitels deutlich macht:
Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft, in der Menschen ganz unterschiedliche Leben führen. Wir streben eine Gesellschaft an, in der jeder Mensch sich frei entfalten kann, ohne die Würde und Freiheit anderer zu verletzen. Wir widersetzen uns jeder Form der Diskriminierung. Jeder Form des Sexismus und allen Formen von frauenverachtendem Verhalten und Gewalt gegen Frauen sagen wir den Kampf an. (S. 49)
Jugendpolitik: Schutz der Kinderrechte
Gute Jugendpolitik hat die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und damit die Verwirklichung der Rechte von Kindern und Jugendlichen zum Ziel. Wir wollen jede politische Maßnahme, jedes Gesetz daraufhin überprüfen, ob sie vereinbar sind mit den international vereinbarten Kinderrechten. Außerdem wollen wir die Kinderrechte im Grundgesetz verankern. (S. 57)
Jugendpolitik: Schutz von Kindern und Jugendlichen vor (sexualisierter Gewalt)
Das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen soll frei von jeder Form von Gewalt, auch sexualisierter Gewalt stattfinden. Um sexualisierter Gewalt entschieden entgegenzutreten und ihr zum Schutz der Kinder und Jugendlichen möglichst frühzeitig vorzubeugen, fördern wir verstärkt Präventionskonzepte und -maßnahmen. Betroffenen wollen wir verbesserte Hilfen ermöglichen. Wir wollen die strafrechtliche Verfolgbarkeit von Kindesmissbrauch durch Verlängerung der strafrechtlichen Ruhens- und Verjährungsfristen ausweiten. Zudem ist für uns die unabhängige Aufarbeitung des Missbrauchgeschehens in der Vergangenheit eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die wir unterstützen werden. (S. 57)
Flüchtlingspolitik: Asyl für schutzbedürftige Flüchtlinge
Die SPD steht für eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik. Fluchtursachen – Verfolgung, Krieg und Bürgerkrieg, Diskriminierung und Armut in den Herkunftsländern – müssen bekämpft werden, um den Menschen in ihren Heimatländern Perspektiven zu eröffnen. Menschen, die dennoch fliehen müssen, wollen wir in Deutschland und der Europäischen Union Schutz gewähren. Schutz benötigen insbesondere Mädchen und Frauen, die Opfer von Menschenhandel oder Gewalt geworden sind. (S. 59)
Flüchtlingspolitik: Aufhebung des Flughafenverfahrens
Das sogenannte Flughafenverfahren hat heute angesichts sehr geringer Fallzahlen nur noch eine geringe Bedeutung. Deshalb wollen wir das Verfahren, das mit erheblichen Restriktionen verbunden ist, aussetzen. (S. 59)
Kultur-, Medien- und Netzpolitik
Zum anderen bildet das Thema Netzpolitik einen weiteren Schwerpunkt des Kapitels III, das hier, da auch im Programm als eigener Unterpunkt dargestellt, gesondert aufgeführt wird. Zu den daran orientierten Positionen gehören nicht nur datenschutzpolitische Forderungen, sondern ebenso Ausführungen zur Reformierung des Urheberrechts, welches der Übersicht halber nachfolgend ebenfalls gesondert dargestellt ist.
Zugang zum Internet als demokratisches Bürgerrecht
Netzpolitik ist für uns Gesellschafts- und Zukunftspolitik und ein Instrument der Gestaltung für die digitale Welt. Sie gehört in die Mitte der politischen Debatte. Uns ist zuallererst der Zugang zum Internet als demokratisches Bürgerrecht wichtig. (S. 62)
Datenschutz und Selbstbestimmung über persönliche Daten
Wir brauchen dafür die Stärkung der Bürgerrechte durch wirksamen Datenschutz und den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Wir wollen, dass digitale Chancen für die Gestaltung des täglichen Lebens, für Teilhabe und auch für soziale Dienste so genutzt werden, dass Bürgerinnen und Bürger auch künftig souverän über ihre persönlichen Daten bestimmen können. Im Internet und bei sozialen Netzwerken sind wir für einen rechtlichen Ordnungsrahmen, der die Verbraucher schützt, die Meinungsvielfalt gewährleistet und für einen fairen Wettbewerb sorgt. Dafür setzen wir uns auf nationaler Ebene und in Europa ein. (S. 62)
Gesetzliche Verankerung von Netzneutralität und WLAN-Betreiberhaftung
Wir werden die Netzneutralität gesetzlich verankern. Wir wollen dafür sorgen, dass in öffentlichen Räumen ein Zugang zum WLAN ermöglicht wird. Die SPD wird sich für eine Änderung der WLAN-Betreiberhaftung einsetzen, um mehr Rechtssicherheit für die Anbieter zu schaffen. (S. 62)
Urheberrecht
Reform des Urheberrechts und Schutz des geistigen Eigentums
Dafür braucht es erstens eine Reform des Urheberrechts, die das Recht der Urheber auf ihr geistiges Eigentum auch in der digitalen Welt anerkennt und die Interessen von Urhebern, Nutzern und Verwertern zum Ausgleich bringt. (S. 61)
Wie ein solcher Ausgleich der unterschiedlichen Interessen aus der Perspektive der SPD aussehen könnte, deutet sich im Folgenden an:
Wir wollen Geschäftsmodelle fördern, die eine legale Nutzung geschützter Inhalte rechtssicher ermöglichen. Dazu müssen wir die Erprobung neuer Geschäftsmodelle auch rechtlich ermöglichen, z.B. durch eine vereinfachte Lizenzierung. Das von Schwarz-Gelb beschlossene Leistungsschutzrecht lehnen wir ab. Wir werden nach der Regierungsübernahme ein neues Gesetz auf den Weg bringen. Wir wollen unter Einbeziehung aller Akteure einen Vorschlag entwickeln, der die Möglichkeiten der Presseverleger zur Rechtsdurchsetzung im Hinblick auf ihre bereits bestehenden Urheberrechte stärkt, dabei die Interessen der Urheber (hier insbesondere Journalistinnen und Journalisten) vollständig wahrt, den Grundsatz der Informationsfreiheit gewährleistet und die Auffindbarkeit von Informationen gewährleistet. Wir wollen die Position des Urhebers stärken. Dazu müssen die im Urhebervertragsrecht vorgesehenen Verhandlungs- bzw. Konfliktlösungsmechanismen effizienter ausgestaltet und ggf. um wirksame Kontroll- und Sanktionsinstrumente ergänzt werden. (S. 63)
Deutlich konkreter werden die Formulierungen der Sanktionsinstrumente hinsichtlich der, aus Sicht der SPD, eigentlichen Urheberrechtsproblematik:
Bekämpfung illegaler Plattformen
Wir wollen insbesondere gewerbsmäßig betriebene Urheberrechtsverletzungen konsequent unterbinden. Dazu bedarf es keiner flächendeckenden Inhaltefilterung des Datenstroms, keiner Internetsperren und auch keiner Androhung einer individuellen Sperrung des Internetzugangs. Derartig weitreichende Eingriffe in Grundrechte lehnen wir ab. Wir werden vielmehr gegen die illegalen Plattformen vorgehen, auf denen 90 Prozent aller Rechtsverletzungen stattfinden. Wir werden verhindern, dass sich diese Angebote künftig weiterhin auf allgemeine Haftungsprivilegien berufen können. Wir werden ihre Finanzierung unterbinden, indem wir ihre Kooperation mit Werbetreibenden und Zahlungsdienstleistern sanktionieren. (S. 63-64)
Verbraucherschutz
Kriminalpolitische Forderungen zum Verbraucherschutz beziehen sich zunächst auf Netzpolitik-nahe Aspekte.
Begrenzung des Streitwerts für Urheberrechtsverletzungen im Internet
Sie müssen sicher sein vor unlauteren Geschäftspraktiken, vor dem Missbrauch ihrer Daten. Ebenso müssen sie geschützt werden vor gefährlichen Produkten und vor existenzbedrohenden Fehlentscheidungen, zum Beispiel bei der Altersvorsorge, aber auch beim Immobilienkauf. Abmahnmissbrauch muss wirksam ein gedämmt werden, indem der Streitwert für Urheberrechtsverletzungen im Internet im privaten Bereich begrenzt wird. (S. 93)
Missbrauchsschutz wird auch für den Bereich der Lebensmittelbranche gefordert:
Lebensmittelüberwachung und Hinweisgeberschutzgesetz für Whistleblower
Die Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung müssen grundsätzlich auch unterhalb von Grenzwertüberschreitungen veröffentlicht werden. Zudem wollen wir Verbraucherinnen und Verbraucher mittels einer leicht verständlichen Form wie der Hygieneampel in Restaurants und sämtlichen Lebensmittelbetrieben vor Ort über Überwachungsergebnisse informieren. Mit einem Hinweisgeberschutzgesetz wollen wir erreichen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Hinweise über rechtswidrige Vorgänge in ihren Betrieben an die Behörden weitergeben können, ohne von Kündigung oder anderen Nachteilen bedroht zu sein. (S. 95)
Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität in der Lebensmittel- und Nahrungsmittelbranche
Die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Deutschland und Europa zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität in der Lebensmittel- und Nahrungsmittelbranche ist überfällig. Um Verbraucherrechte effektiv durchzusetzen, wollen wir Unrechtsgewinne einziehen. (S. 95)
Tierschutz
Unterbindung von Qualzucht und Einführung eines Verbandsklagerechts
Wir sind stolz darauf, dass es unter unserer Regierungsverantwortung gelungen ist, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern, und werden dieses Prinzip auch auf die Einzelgesetzgebung anwenden, z.B. in der Unterbindung von Qualzucht. Mit einem Verbandsklagerecht werden wir Tierschutzorganisationen die rechtliche Handhabe geben, wirkungsvoller gegen Tierschutz-Verstöße vorzugehen. Die landwirtschaftliche Nutztierhaltung muss sich stärker an den Bedürfnissen der Tiere ausrichten. Dafür müssen die Forschung für eine moderne Landwirtschaft gestärkt, entsprechende Haltungssysteme vorgegeben und der Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung drastisch vermindert werden. Die Intensivtierhaltung werden wir durch geeignete gesetzliche Maßnahmen zurückdrängen und insbesondere den Kommunen mehr Möglichkeiten zur baurechtlichen Steuerung geben. (S. 90)
Korruption
In Kapitel VIII finden sich über das bereits dargestellte dritte Unterkapitel hinaus, weitere kriminalpolitische Forderungen. Diese kreisen um das, häufig im Wahlprogramm aufzufindende, Thema Transparenz –hier im parlamentarischen Bereich.
Verpflichtendes Lobbyregister und Ratifizierung der UN-Antikorruptionskonvention
Damit Entscheidungsprozesse nachvollziehbar werden, wollen wir ein verpflichten des Lobbyregister auf gesetzlicher Grundlage beim Deutschen Bundestag einrichten. Deutschland hat als einzige parlamentarische Demokratie die UN-Antikorruptionskonvention noch nicht ratifiziert, da CDU/CSU und FDP die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung blockieren. Wir werden unmittelbar nach der Wahl erneut einen entsprechenden Gesetzentwurf im Bundestag einbringen. (S. 96)
Einführung einer „Legislativen Fußspur“ für externe Berater im Parlament
Auch der Einsatz von externen Beratern in Bundesministerien muss nachvollziehbar sein. Wir wollen deshalb eine „legislative Fußspur“ einführen, aus der hervorgeht, welchen signifikanten Beitrag externe Berater bei der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs geleistet haben. Über Umfang und Art der Tätigkeit von externen Beschäftigten in der Bundesverwaltung soll ein jährlicher Bericht Transparenz schaffen. (S. 96)
Erweiterung des Informationsfreiheits- um ein Transparenzgesetz auf Bundesebene
Damit mehr Partizipation in politischen Prozessen erreicht werden kann, müssen Politik und Verwaltung transparenter werden. Transparenz bedeutet dabei nicht gläserne Politiker, sondern konsequente Offenheit bei all jenen Daten, Verträgen und Verfahren, an denen ein öffentliches Interesse besteht. Wir setzen uns deshalb auch auf Bundesebene dafür ein, nach Hamburger Vorbild das Informationsfreiheits- um ein Transparenzgesetz zu erweitern. Ziel soll es sein, möglichst alle für die Öffentlichkeit relevanten Datenbestände, Statistiken, Dokumente und sonstige öffentlich finanzierten Werke frei im Internet zugänglich zu machen. Daneben wollen wir die Ministerien für mehr Bürgerbeteiligung an Gesetzentwürfen und anderen wichtigen Vorhaben öffnen. (S. 97)
Fazit
Im kriminalpolitische Programm der SPD 2013-2017 erscheinen drei Themenfelder dominant: Schutz der Schutzbedürftigen, Transparenz von Informationen und Entscheidungen und Bekämpfung des Steuerbetrugs.
Dabei ist auffällig, dass die Themen teilweise verstreut im Wahlprogramm zu finden sind – wenig Orientierung bietet dabei auch das Inhaltsverzeichnis. Die entsprechenden Forderungen sind überwiegend recht vage gehalten und lesen sich zumeist weniger als Maßnahmenkataloge als vielmehr als Haltungen und Positionen.
Im Vergleich zum Wahlprogramm der vergangenen Legislaturperiode zeigt sich hinsichtlich der Bedeutung der Polizei für die öffentliche Sicherheit und entsprechender Forderungen zu Sicherheitspartnerschaften sowie zu Jugendkriminalitätsprävention und -bekämpfung eine Kontinuität in der Formulierung von Positionen. Ähnlich verhält es sich für die Bereiche des Opferschutzes, des Arbeitsnehmerdatenschutzes oder die Thematisierung von Wirtschaftskriminalität und Korruption. Wesentlich neuer sind netzpolitische Themen, vor allem auch das Thema „Cybercrime“ und der spezifische Fokus auf den Straftatbestand des Steuerbetruges.
Terrorismusthematisierungen – neben „NSU“ und Rechtsextremismus – und daran orientierte Forderungen für Sicherheitsbehörden fehlen dagegen in diesem Programm vollständig.
Ein ausführliches Fazit der kriminal- und sicherheitspolitischen Forderungen der SPD sowie ein parteiübergreifender Vergleich der Forderungen folgt im letzten Teil dieser Artikelserie.
Weitere Kurzfassungen unter dem Titel „Gute Gründe für die SPD in sechs verschiedenen Sprachen“ finden sich auf der Webseite in arabischer, englischer, polnischer, russischer, serbischer und türkischer Sprache. ↩