In den vergangenen Wochen und Tagen habe ich die Regierungs- und Wahlprogramme der fünf größten Parteien auf kriminal- und sicherheitspolitische Aussagen hin untersucht und die jeweiligen Kernaussagen zusammengefasst:
- kriminalpolitischer Parteien-Check zur Bundestagswahl 2009 (Teil 2) – Regierungsprogramm der CDU/CSU
- kriminalpolitischer Parteien-Check zur Bundestagswahl 2009 (Teil 3) – Regierungsprogramm der SPD
- kriminalpolitischer Parteien-Check zur Bundestagswahl 2009 (Teil 4) – Wahlprogramm der FDP
- kriminalpolitischer Parteien-Check zur Bundestagswahl 2009 (Teil 5) – Wahlprogramm von Bündnis 90/ die Grünen
- kriminalpolitischer Parteien-Check zur Bundestagswahl 2009 (Teil 6) – Wahlprogramm von die Linke
Ungefähre 560 Seiten und zahllose Stunden später, möchte ich nun im letzten Teil dieser Serie die zentralen Aussagen gegenüberstellt und eine abschließende Betrachtung der kriminalpolitischen Programme vornehmen.
Formales
Formal bestehen zwischen den hier betrachteten Regierungs- und Wahlprogrammen keine großen Unterschiede. Alle Parteien bieten die Programme auf ihren mehr oder weniger übersichtlichen Internetseiten zum Download an. Alle Parteien bieten eine Kurzfassung des jeweiligen Programms an, auf einigen Parteiseiten stehen ebenfalls Audioversionen oder bebilderte Versionen zur Erleichterung des Verständnisses zur Verfügung.
Der Umfang der Programme variiert zwischen 57 (Die Linke) und 112 (Bündnis 90/ Die Grünen) Seiten. Alle Programme sind in serifenloser Schrift ein- oder zweispaltig gesetzt und verzichten weitestgehend auf den Einsatz von Farbe. Abbildungen oder Fotos enthält keines der analysierten Wahlprogramme.
Dem Thema Kriminalpolitik ist jeweils ein eigenständiges Kapitel gewidmet. Der Umfang der Ausführungen zu kriminalpolitischen (und sicherheitspolitischen) Themen variiert allerdings erheblich.
Wortnennungen
Große Überraschungen bleiben bei einer Analyse der kriminal- und sicherheitspolitischen Positionen der Parteien aus. Alle Parteien sind sichtbar darum bemüht, ihre „Kernkompetenzen“ auch in Hinsicht auf kriminalpolitische Forderungen deutlich zu machen. Von diesen Positionierungen zeugt die Häufigkeitsverteilung von Wortnennungen in den verschiedenen Parteiprogrammen, die auf sicherheitspolitische Aussagen schließen lassen. Gezählt wurde jeweils das Vorkommen eines Wortstammes (z.B. „terror“ – terroristische Vereinigung aber auch Terror, Terrorgefahr usw.). Wortvorkommen in den Inhaltsverzeichnissen der Wahlprogramme wurden nicht mit berücksichtigt. In der letzten Tabellenzeile ist die Seitenzahl der Wahlprogramme vermerkt.
Begriff | CDU/ CSU | SPD | FDP | Bündnis 90/ Die Grünen |
Die Linke |
Freiheit | 52 | 21 | 94 | 103 | 14 |
Sicherheit | 85 | 52 | 72 | 46 | 24 |
Gefahr | 14 | 10 | 13 | 10 | 2 |
Terror | 8 | 8 | 15 | 8 | 3 |
Bekämpfung | 14 | 5 | 17 | 10 | 4 |
Krieg | 3 | 5 | 10 | 14 | 25 |
Kriminalität, Verbrechen |
15 | 9 | 9 | 8 | 7 |
Straftäter, kriminell |
8 | 4 | 3 | 4 | 1 |
Droge | 3 | 1 | 0 | 13 | 9 |
Datenschutz | 5 | 8 | 26 | 19 | 10 |
Seitenumfang (Din A4) |
92 | 95 | 77 | 112 | 57 |
CDU/ CSU positioniert sich als Partei, welche „die Sicherheit in unserem Land gegen innere und äußere Gefahren [bewahrt]“ (S. 10) und widmet dem Thema Sicherheit eines von vier Hauptkapiteln des Wahlprogramms. Daher verwundert es kaum, dass die Begriffe „Sicherheit“ und „Gefahr“ am häufigsten im Regierungsprogramm von CDU/ CSU erwähnt werden (85 bzw. 14 Mal). Allerdings werden die Begrifflichkeiten annähernd ebenso häufig im Wahlprogramm der FDP genannt (72 bzw. 13 Mal).
Mit dieser thematischen Ausrichtung lässt sich ebenso die Häufigkeit der Begriffe „Straftäter“ und „kriminell“ erklären, die insgesamt acht Mal im CDU/ CSU Regierungsprogramm Erwähnung finden. Auch die Worte „Kriminalität“ und „Verbrechen“ werden in keinem anderen Wahlprogramm häufiger verwendet.
Das Wort „Bekämpfung“ taucht am häufigsten im Wahlprogramm der FDP auf (17 Mal); dicht gefolgt vom Regierungsprogramm der CDU/ CSU, das ebenfalls auf die Bekämpfungsrhetorik setzt (14 Mal).
„Terror“ wird ebenfalls am häufigsten im Wahlprogramm der FDP thematisiert (15 Mal), hingegen taucht der Wortstamm in den Programmen von CDU/ CSU, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen jeweils acht mal auf.
Ein eindeutigeres Bild ergibt sich hinsichtlich der Thematisierung von datenschutzrechtlichen Themen. Mit 26 Nennungen wird „Datenschutz“ mit Abstand am häufigsten im FDP Wahlprogramm benannt; gefolgt vom 19 Erwähnungen im Programm von Bündnis 90/ Die Grünen.
Im Wahlprogramm von Bündnis 90/ Die Grünen ist insgesamt 103 Mal von „Freiheit“ die Rede; damit wird hier sowohl das Wahlprogramm der Freien Demokratischen Partei übertrumpft (94 Nennungen) als auch das Regierungsprogramm von CDU/ CSU (52 Nennungen).
Vergleichbar eindeutig ist die Verteilung hinsichtlich des Begriffs „Droge“. 13 Mal findet der Wortstamm im Wahlprogramm von Bündnis 90/ Die Grünen Erwähnung, hingegen nur dreimal im Regierungsprogramm von CDU/ CSU, einmal im Regierungsprogramm der SPD und gar nicht im Wahlprogramm der FDP.
Eines der Hauptwahlkampfthemen der Partei Die Linke besteht in der Forderungen des sofortigen Abzuges der Bundeswehr aus Afghanistan. Daher verwundert es nicht, dass das Wort „Krieg“ mit 25 Mal am häufigsten im Wahlprogramm von Die Linke benannt wird. Seitens der CDU/ CSU (3 Erwähnungen) und SPD (5 Erwähnungen) möchte man lieber nicht so gerne von Krieg sprechen (allenfalls vom Krieg gegen den Terrorismus).
Positionen
Die jeweiligen Einleitungen zu den kriminalpolitischen Forderungen in den Wahlprogrammen scheinen austauschbar. Alle Parteien skizzieren Bedrohungsszenarien durch den international agierenden Terrorismus aber auch die Folgen, die aus der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise erwachsen, als die gegenwärtig größten Herausforderungen.
Auch andere Themen wie etwa Gewalt gegen Kinder und Frauen oder das Vorgehen gegen rechtsextremistisch motivierte Straftaten werden von allen Parteien thematisiert.
Große Unterschiede bestehen hingegen aus den Folgerungen, die aus der aktuellen Bedrohungs- und Krisenlage gezogen werden. Vereinfachend ließe sich beschreiben, dass an den Rändern des politischen Spektrums lauter „gepoltert“ wird, während man in der politischen Mitte eher um Erklärungen bemüht ist.
So fordert beispielsweise die CDU/ CSU, es dürfe „keine rechtsfreien, sondern nur angstfreie Räume geben“ und weiß, dass „das Rechtsbewusstsein […] erheblichen Schaden [nimmt], wenn Delikte nur deshalb nicht strafrechtlich verfolgt werden, weil sie massenhaft begangen werden“ (S. 79). Die Linke geht noch weiter und stellt die Rechtsstaatlichkeit des Gerichtswesens in Frage („den Gerichtssaal in Strafverfahren nicht zu einem Basar verkommen lassen: die Schuld des Angeklagten durch ein rechtsstaatliches Verfahren nachweisen“ S. 43).
Vor allem in den Wahlprogrammen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen finden sich Ansätze für eine sozialpolitisch fundierte Kriminalpolitik, die frei nach von Liszt Ursachen delinquenten Verhaltens beseitigen möchten.
In der nachfolgenden Tabelle sind die z.T. konträre Positionen der fünf Parteien hinsichtlich einiger kriminalpolitischer Themen gegenübergestellt. Die Übersicht beschränkt sich auf die von allen Parteien thematisierten Themenbereiche, Überwachung/ Datenschutz, (Jugend-) Strafrecht, Netzpolitik, Drogenpolitik und Einsätze der Bundeswehr im Ausland wie auch im Innern.
Berücksichtigt werden lediglich diejenigen Positionen der Parteien, die explizit in den Wahlkampfprogrammen zur Sprache kommen, wobei zwischen Zustimmung (), Ablehnung (
) und keine Angabe (k.A.) differenziert wird.
Meine persönliche abschließende Beurteilung der Wahlprogramm-Analyse lautet, dass es keine Partei gibt, die durchweg zu allen hier angesprochenen Themenbereichen überzeugende kriminal- und sicherheitspolitische Konzepte präsentieren kann. Das datenschutzrechtliche Konzept und Programm zum Schutz der Bürgerrechte der FDP finde ich beispielsweise sehr überzeugend, hingegen teile ich Vorstellungen zur Ausgestaltung des Jugendstrafrechts nicht.
Alleine die CDU/ CSU widerspricht mit ihren kriminalpolitischen Forderungen so ziemlich allen Ideen, die die (kritische) Kriminologie in den letzten paar Jahrzehnten hervorgebracht hat und beweist damit ein hohes Maß an Selbstähnlichkeit. Das ist konsequent und furchtbar zugleich.
Abschließend sei noch angemerkt, dass alle hier genannten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt sind, ich aber keinerlei Gewähr für die Richtigkeit der Angaben gebe. Und wer seine morgige Wahlentscheidung alleine auf meine Zusammenstellung begründet, ist ohnehin selber Schuld.
Danke vielmals, Christian, für Deine Bemühungen um die Demokratie und gegen die Politik- und Wahlverdrossenheit. Deine Zusammenfassungen sollte man sicherlich noch mal zu Rate ziehen, wenn die nächste Regierung bei der Arbeit ist.
Anlässlich der letzten Wahl in der DDR hatte übrigens jemand (der danach Besuch vom MFS bekam) an eine exponierte Stelle (Neubau) geschrieben: „Wer die Wahl hat, hat die Qual; wer nicht wählt, wird auch gequält.“ Letzteres bleibt uns zum Glück erspart. Trotzdem habe ich mich heute nicht ohne Bedenken aufgerafft. Das Wahllokal war eine katholische Schule. Die Wahlmanipulation ist also offensichtlich etwas subtiler geworden.
PS: Das mit der Graffiti zur Wahl war in Jena im Frühjahr ’89.
Eine tolle Gegenüberstellung Christian!
Was bleibt also jetzt nach der Wahl?
Auswandern, kriminalpolitisches Engagement,Verzweiflung, Revolution..
Herzlichen Dank für das Feedback.
Tja, was bleibt nach der Wahl? Freizeit? Von Revolution kann ich nur abraten, auszuwandern erscheint mir, wenn ich aus dem Fenster in den Regen schaue, langfristig eine gute Idee.
Kurz- und mittelfristig rate ich zu kriminalpolitischem Engagement und hoffe sehr, dass die FDP in dem Maße für den Schutz von Bürger- und Freiheitsrechten eintritt, wie es dem Wahlprogramm zu entnehmen ist.
Danke für die Arbeit – großartig, Christian.
Hast du nicht eventuell Lust bekommen, mit in die Politik zu gehen…!!! 😉