In Großbritannien wurde kürzlich die DVD-Box Video Nasties. The Definitive Guide (Jake West, 2010) veröffentlicht.
Die DVD-Box enthält den Dokumentarfilm Video Nasties: Moral Panic, Consorship and Videotape des britischen Regisseurs Jake West sowie Trailer und Kommentare zu 72 (zumeist amerikanischen und italienischen) Filmen der späten 70er und 80er Jahre.
Der Begriff Video Nasties bezieht sich auf eine Klassifikation von Filmen durch die britische Organisation British Board of Film Censors (später: British Board of Film Classification) bzw. die Durchsetzung von Verbots- und Zensurmaßnahmen durch die britische Staatsanwaltschaft (Director of Public Prosecutions (DPP)).
Mit der massenhaften Verbreitung von VHS Videorekordern wurde der Markt seit den späten siebziger Jahren mit günstig produzierten Horror- und anderen gewaltverherrlichenden Filmen überschwemmt. Da diese Produktionen in England nicht unter bestehende Jugendschutzbestimmungen fielen (die bezogen sich bis dato ausschließlich auf pornographische Darstellungen) erließ die britische Regierung 1984 den Video Recordings Act. Im Zuge dieser Gesetzesinitiative wurden 72 Filme benannt, die als besonders moralisch verwerflich und jugendgefährdend galten. Der Vertrieb aber auch Besitz dieser Filme wurde unter Strafe gestellt und somit eine staatliche Zensur durchgesetzt, die in dieser Form bis heute ihresgleichen sucht.
Der Fall der Video Nasties dient im englischen Sprachraum als ein viel zitiertes Beispiel für eine Moralpanik und eine Illustration der Durchsetzung von Normen- und Wertevorstellungen.
Alle von Stanley Cohen beschriebenen Elemente einer moral panic finden sich hier vereint: Der moralische Kreuzzug gegen die Produzenten, Verkäufer und Konsumenten der Filme wurde maßgeblich von einigen wenigen gesellschaftlichen Akteuren (Peter Kruger, der Scotland Yards Obscene Publications Unit vorstand und der Präsidentin der National Viewers‘ and Listeners‘ Association, Mary Whitehouse) initiiert. Als das entscheidende initiales Ereignis für die moralische Entrüstung gilt die Veröffentlichung einer Printanzeige für den amerikanischen Horrorfilm The Driller Killer (Abel Ferrara, 1979) in verschiedenen Zeitschriften. Die gesellschaftliche Entrüstung über die Gewaltdarstellung im Film wurde maßgeblich durch Presseberichte in britischen Tageszeitungen geschürt. Die Sunday Times titelte etwa im Mai 1982 How high street horror is invading the home und lieferte damit der Daily Mail eine Vorlage für einen regelrechten Kreuzzug gegen Gewaltvideos. In den Medienkampagnen wurde immer wieder auf einen Zusammenhang von zunehmender Gewalttätigkeit Jugendlicher und der Verbreitung von Gewaltvideos verwiesen. Diese Form der medialen Meinungsmache führte schließlich 1984 zur Verabschiedung des Video Recording Act.
Auch wenn die Liste der zensierten Filmtitel aus heutiger Sicht (zumindest für Kino- und Fernseh-erprobte Menschen) eher zum Schmunzeln ist, muss man dennoch nicht lange überlegen, um zeitgenössische, äquivalente Beispiele zu finden, die für einen vergleichbaren Sturm der Entrüstung sorgen.
Da die DVD-Box auf kontinentaleuropäischen Abspielgräten nicht ohne Weiteres lauffähig ist, muss sich die Welt außerhalb Großbritanniens derzeit mit dem Trailer zu Video Nasties: Moral Panic, Consorship and Videotape begnügen:
fridge schreibt
Der Region Code ist doch 2, ich glaube eher, dass außereuropäische Player damit Probleme kriegen. Hier sollte es doch eigentlich laufen.
Christian Wickert schreibt
Hallo fridge, vielen Dank für den Hinweis. Du hast natürlich Recht. Die DVD wird sich problemlos abspielen lassen und einem Kauf steht jetzt nichts mehr im Wege 😉