Gibt es biographische Faktoren, die die Anbindung an „ideologisch orientierte Umfelder“ sowie die Begehung politisch motivierter Straftaten begünstigen? Bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Karrieren von Linksextremen, Rechtsextremen und Islamisten? Diese und weitere Fragen waren Gegenstand einer qualitativ-empirischen Studie der Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus im Bundeskriminalamt (FTE) und der Universität Duisburg-Essen, deren Ergebnisse nun im Luchterhand-Verlag unter dem „Die Sicht der Anderen. Eine qualitative Studie zu Biographien von Extremisten und Terroristen“, hrsg. von Saskia Lützinger, veröffentlicht wurden.
Datengrundlage der Studie bildeten 39 narrative Interviews mit Männern, die dem „extremistischen“ Umfeld zugeordnet wurden (24 rechts, 9 links, 6 islamistisch). Dabei handelte es sich zum Einen um Inhaftiere, die in der polizeilichen INPOL-Fall-Datenbank als politisch motivierte (Gewalt)-Täter ausgewiesen waren. Zum Anderen wurden Interviewteilnehmer außerhalb von Haftanstalten nach dem Schneeballprinzip rekrutiert.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die situativen Bedingungen und Prozessverläufe der Hinwendung zu „extremistischen“ Milieus sowie auch die maßgeblich durch Gruppenprozesse geprägten Entwicklungsverläufe innerhalb eines Milieus bei allen drei Extremismusformen ein ähnliches Muster aufweisen. Für die untersuchten Fälle wird die Hinwendung zu „extremistischen“ Milieus als Folge einer defizitären Bewältigung adoleszenzspezifischer Problemlagen und damit als ein durchaus jugenddelinquenztypisches Phänomen erklärt. Maßgebliche Bedingungsfaktoren seien ungünstige familiäre Rahmenbedingungen, fehlende soziale Stützsysteme und Erfahrungen sozialer Ausgrenzung. Der Einstieg in ein „extremistisches“ oder „extremismusnahes“ Milieu erfolge daher auch primär „emotions- und erlebnisorientiert“ und weniger aus politischen Motiven. Für die Beteiligung an organisiertem Gewalthandeln seien v.a. gruppendynamische Prozesse ausschlaggebend.
Das Anliegen der Studie, biographische Verläufe in unterschiedlichen „extremistischen“ Milieus zu vergleichen, kann durchaus als innovativ bezeichnet werden. Die Befunde zu linken und islamistischen (Gewalt)-Aktivisten scheinen jedoch empirisch nur wenig fundiert und daher eher von heuristischem Wert zu sein. Nicht nur ist die Datenbasis hier äußerst schmal (9 linke, 6 islamistische Interviewte). Auch handelt es sich um kein theoretisch-systematisch, fallkonstrativ gebildetes Sample. So bleibt unklar, welchen Typus bzw. welche Typen biographischer Verläufe die untersuchten Fälle überhaupt repräsentieren könnten. Eine phänomenologische Einordnung der Befunde ist so – auch aufgrund weitestgehend fehlender Vergleichsuntersuchungen im Unterschied zur ‚fremdenfeindlichen‘ Gewalt – schwierig. Den Forschern der Universität Duisburg-Essen, die für die Durchführung der Interviews verantwortlich waren, kann jedoch zu Gute gehalten werden, dass sie große Schwierigkeiten hatten, überhaupt Aktivisten zu finden, die sich zu einem Interview bereit erklärten. Der Umstand, dass eine Sicherheitsbehörde an der Studie mitwirkte, hatte sich offenkundig negativ ausgewirkt.