Zweck der Anti-Terror-Datei ist die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Gespeichert werden müssen gemäß ATDG § 2, Satz 1 u.a. Personen, die einer terroristischen Vereinigung angehören, derartige Vereinigungen unterstützen oder aber unterstützende Gruppen unterstützen. Nach Satz 1, Nr. 2 müssen ferner Personen erfasst werden, „die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen“.
In seinem Urteil vom 24.04.13 hat das BVerfG u.a. beanstandet, dass durch die Vorschrift in Nr. 2 die Einbeziehung des „weitesten Umfelds terroristischer Vereinigungen“ ermöglicht werde, was gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoße und mit dem Übermaßverbot nicht vereinbar sei. So würde sich die Speicherungspflicht auch auf Personen erstrecken, „die weit im Vorfeld und möglicherweise ohne Wissen von einem Terrorismusbezug eine in ihren Augen unverdächtige Vereinigung unterstützen, wie zum Beispiel den Kindergarten eines Moscheevereins, den die Behörden jedoch der Unterstützung terroristischer Vereinigungen verdächtigen.“ Dem Gesetzgeber sei es jedoch freigestellt, auch die Unterstützer von Unterstützern zu speichern, wenn der subjektive Bezug zum Terrorismus im Sinne einer „willentlichen Förderung der den Terrorismus unterstützenden Aktivitäten“ in der Vorschrift klar zum Ausdruck komme.
Nach § 2, Satz 1, Nr. 2 ATDG müssen auch Personen erfasst werden, die politisch motivierte „rechtswidrige Gewalt“ durchführen, unterstützen, fördern oder befürworten. Hier sollen dem Ansinnen des Gesetzgebers folgend, Personen erfasst werden, „die möglicherweise in einer Nähe zum Terrorismus stehen“, die also ein mögliches Vorfeld des Terrorismus bilden. Während sich das Gericht einig darüber war, dass eine bloße Befürwortung „rechtswidriger Gewalt“ gegen das Übermaßverbot verstößt, gingen die Meinungen über die generelle Verfassungsmäßigkeit einer am Begriff „rechtwidrige Gewalt“ orientierten Personenerfassung auseinander. Die Hälfte des Senats, vier Mitglieder, hatten keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Da das Gesetz darauf abziele, terroristische Straftaten zu bekämpfen, sei es nicht naheliegend, den Begriff der rechtswidrigen Gewalt (der ja im Strafrecht sonst auch den Nötigungstatbestand umfasst) weit auszulegen. Des Weiteren hätten Sicherheitsbehörden bei der Anhörung bekundet, das Merkmal rechtswidrige Gewalt in der Praxis ohnehin eng auslegen zu würden. Im Kontext der Zielsetzungen der Anti-Terror-Datei sei der Begriff rechtswidrige Gewalt schließlich so auszulegen, dass „er nur Gewalt umfasst, die unmittelbar gegen Leib und Leben gerichtet oder durch den Einsatz gemeingefährlicher Mittel geprägt ist.“ Nach Auffassung der vier Richter ließe sich der für eine Qualifizierung als in der Nähe des Terrorismus stehend betroffene Personenkreis in einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügenden Weise eingrenzen. Dies sahen die anderen vier Senatsmitglieder anders. Die Verfassungswidrigkeit konnte aber wegen Stimmengleichheit im Senat nicht festgestellt werden.
Was bedeutet diese angeblich enge Auslegung des Begriffs „rechtswidrige Gewalt“ konkret? Welche Gewaltdelikte und damit verbundene Formen politischer Gewalt können Behörden auf dieser Basis als Indikatoren für eine Nähe zum Terrorismus heranziehen? Untermittelbar gegen Leib und Leben gerichtete Delikte sind Tötungsdelikte und Körperverletzungen. Delikte unter Verwendung „gemeingefährlicher Mittel“ sind solche, bei denen eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährdet werden können, da die Ausdehnung der Gefahr vom Täter nicht kontrolliert werden kann. Sprengstoff- und Brandanschläge dürften hier relevante Kandidaten sein, aber auch Sabotageakte ließen sich in bestimmen Fällen wohl dieser Kategorie zuordnen. Während derartige Delikte nur einen kleinen Teil der PMG abdecken, machen Körperverletzungsdelikte in allen Phänomenbereichen den größten Anteil der Gewaltdelikte aus. Im Ergebnis rücken die vier Richter mit ihrer weiten Auslegung des Begriffs rechtswidriger Gewalt nahezu das komplette Spektrum politisch motivierter Gewaltdelikte in die Nähe des Terrorismus und schießen damit sogar weit über entsprechend von den Sicherheitsbehörden vorgenommene Zuschreibungen hinaus. So differenziert die Statistik zur Politisch Motivierten Kriminalität zwischen „extremistischer“ und „nicht-extremistisch“ motivierter Kriminalität. Selbst das tun die besagten Verfassungsrichter nicht.
Ihnen deshalb böse Absichten zu unterstellen, wäre aber verfehlt. Es scheint eher so, als hätten sich besagte Richter von Sicherheitspolitikern einlullen lassen, von wegen wie wichtig eine Vorfelderfassung zur Bekämpfung des „internationalen Terrorismus“ sei – was sie ja aus polizeilicher Sicht ohne Frage auch ist. Dass Bundesverfassungsrichter es aber mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für vereinbar halten, politisch motivierte Körperverletzungsdelikte (mit internationalem Bezug) – gar noch deren Unterstützung – als ein mögliches Vorfeld des Terrorismus zu qualifizieren, lässt dann doch tief blicken. Selbst die konservativsten Kriminologen, Protestforscher oder Terrorismusexperten würden sich mittlerweile wohl hüten, jemandem, der auf einer Demonstration einen Polizisten geschubst oder eine Flasche geworfen hat, eine terroristische Karriere vorherzusagen. Letztlich scheint neben dem Einlullen mangelndes Fachwissen über den Gegenstandsbereich ausschlaggebend zu sein. Anders lässt sich nicht erklären, wie Richter gerade im Falle des Jihadismus davon ausgehen können, dass sich ein mögliches Vorfeld von Anschlägen über die Erfassung von Personen im Kontext sonstiger Gewaltdelikte eingrenzen ließe. Gerade im Falle des jihadistischen Terrorismus, auf den die Anti-Terror-Datei ja abzielt, gibt es außer den mithilfe der Datei zu verhindernden Anschlägen keine Gewaltdelikte, die ein irgendwie geartetes Vorfeld darstellen könnten. So gibt es im europäischen Jihadismus bzw. allgemein im Islamismus keine oder zumindest keine institutionalisierten Formen niedrigschwelliger Anschlags- oder Massenmilitanz wie man sie aus sozialen Bewegungen kennt. Somit gibt es auch keine Gewaltdelikte und Gewalttäter, die ein irgendwie geartetes Vorfeld terroristischer Gewalt darstellen würden. Das ist ja gerade das Problem der Sicherheitsbehörden, dass sie nicht wissen wo die Gefahr genau zu verorten ist.
Von Seiten des Gesetzgebers scheint die Absicht klar: Wenn man keine genauen Indikatoren zur Eingrenzung des Vorfelds hat und somit nicht weiß, welche Informationen wichtig sind, sammelt man eben alles was sich im Rahmen des rechtlich möglichen über entsprechende Risikogruppen (Islamisten, Salafisten) sammeln lässt. Je größer dabei der Freiraum bei der Erfassung von Kontexten und Personen, desto besser lässt sich die Sammlung an Praxisbedürfnisse und sich verändernde Bedrohungslagen anpassen, etwa sich möglicherweise im Bereich des Islamismus/Salafismus zukünftig herausbildende und etablierende Formen niedrigschwelliger Militanz (wie bei den Pro-NRW-Protesten). Es kann dahingestellt bleiben, inwiefern der Gesetzgeber beabsichtigt, die Datei langfristig nicht nur zur Bekämpfung des „internationalen Terrorismus“, sondern auch anderer Terrorismen oder Formen politischer Gewalt einzusetzen. In jedem Fall hat das BVerfG mit seinem Urteil willentlich oder unwillentlich Tür und Tor geöffnet für die Ausweitung der Anti-Terror-Datei auf Personen und Gewaltformen, die nichts mit Terrorismus – weder im Sinne einer strafrechtlichen Definition in Anlehnung an § 129a Abs. 2 StGB, noch im Sinne sonstiger Terrorismusdefinitionen – zu tun haben. Dass die Datei zunächst auf „internationalen Terrorismus“ beschränkt ist, kann dabei nur ein schwacher Trost sein. Ist die rote Linie einmal durchbrochen, was spätestens mit diesem Urteil der Fall ist, lässt sich eine entsprechende Vorfeldausweitung der im behördenübergreifenden Datenaustausch erfassten Personen auch auf andere Bereiche übertragen.
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