Ein Hinweis zur häuslichen Konfliktregelung aus dem Jahre 1893:
Nichts stört den häuslichen Frieden mehr, als heftig sich äußernde Meinungsverschiedenheiten; besitzen doch die wenigsten Menschen jenen Grad ethischer Kultur, der sie in den Stand setzt, die Ansichten Anderer ruhig anzuhören, ruhig zu erwidern, und leidenschaftslos zu würdigen. Es giebt ein gutes Mittel, solche sich gegenseitig steigernde Auseinandersetzungen zu vermeiden: man schreibt seine Wünsche oder Ansichten in Briefform nieder, übergiebt sie dem Anderen zu einer Zeit, wo dieser allein ist und Muße hat ruhig zu lesen, zu überlegen und zu antworten, und setzt die Correspondenz fort, bis die Gemüther sich genug beruhigt haben, um mündlich die endgültige Entscheidung treffen zu können. Die Meinungsverschiedenheiten werden durch die Darlegung und Erwägung ihrer Gründe weniger empfindlich; die gegenseitige Gereiztheit, die oft zu tiefen Conflicten führt, kommt nicht zum Ausdruck, denn das Schreiben an sich zwingt zu ruhigeren und klarerem Denken. – Natürlich ist dieses Hausmittel mit Vorsicht zu benutzen, denn „Worte verfliegen, Buchstaben bleiben“. –
Kretschman, Lily v.: Ein Mittel zum häuslichen Frieden, Ethische Kultur : Wochenschrift zur Verbreitung ethischer Bestrebungen, Bd. 1, Heft 1, 1893, Seite 5.
gefunden in: Bildungsgeschichte Online – Katalog der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung