Hans Schmid ist Journalist und schreibt für Telepolis, zudem ist Herr Schmid Filmliebhaber und -kenner und erklärter Fan von Horrorfilmen. An Horrorfilmen reizt ihn die Subversivität des Genres und
dass dort eine andere Art von Wirklichkeit gezeigt und verhandelt wurde als in den „realistischen“ Genres (auch der Realismus ist nur eine Konvention). Sie sind ein wichtiger Gedächtnisspeicher unserer Kultur, weil man in ihnen finden kann, was die Menschen umtrieb und in anderen Filmgenres lieber ausgeblendet wurde. Das, was sie zeigen, ist nicht immer schön und schon gar nicht beruhigend. Die Verstümmelungen, die der Erste Weltkrieg an Körper und Seele des Menschen angerichtet hatte, durften im Film nicht thematisiert werden – es sei denn, es geschah auf dem Umweg über ein aus Leichenteilen zusammengesetztes Monster (Boris Karloff) wie in Frankenstein (1931) von James Whale. Dieses Monster trägt die Kleidung eines Arbeiters, weil es nur vordergründig durch eine bayerische Gebirgslandschaft irrt, tatsächlich aber – auch ein Tabu – durch ein von der Weltwirtschaftskrise gezeichnetes Land.
[Quelle: Wie ich einmal versuchte, einen indizierten Film zu kaufen (Telepolis, 01.05.2008)]
Als Herr Schmid über den italienischen Regisseur Mario Bava einen Beitrag verfasste, wurde er gewahr, dass eines der Hauptwerke Bavas, der Film Ecologia del delitto, seit 1983 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien als jugendgefährdend eingestuft ist und somit Deutschland weder beworben noch verkauft werden darf.
In einer dreiteiligen (Teil 1, Teil 2, Teil 3 Teil 3 zum jetzigen Zeitpunk noch nicht erschienen [Update: 05.05.2009]) Serie setzt sich Herr Schmid nun mit der Indizierungspraxis der Bundesprüfstelle auseinander und fragt sich, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit die Bundesbehörde eine Eignung von Träger- und Telemedien attestiert, die
die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden […]. Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien sowie Medien,
in denen
1. Gewalthandlungen, insbesondere Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert dargestellt werden oder
2. Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahe gelegt wird.
[§ 18 Abs. 1 JuSchG, zitiert nach: Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien]
Dabei interessieren ihn
die Risiken und Nebenwirkungen eines Systems, das, einmal etabliert, ein Eigenleben entwickelt und zu dem es keine Packungsbeilage gibt
[Quelle: Einmal gefährdungsgeneigt, immer gefährdungsgeneigt (Telepolis, 02.05.2008)]
Obwohl Herr Schmid betont, weder Jurist noch Kriminologe zu sein, halte ich seine Artikel geradezu für eine Pflichtlektüre für alle Sozial- und Geisteswissenschaftler. Ohne Weiteres ließen sich die geistreichen Ausführungen auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen, in denen staatliche Kontrollbestrebungen in einem generellen Verbot Ausdruck finden. Die nicht-intendierten Folgen einer Prohibition sind ebenso wie die beabsichtigte Beeinflussung gesellschaftlicher Diskurse vielschichtig:
Im Edgar-Wallace-Film Die blaue Hand steht in einem Geheimgang ein Skelett, das mechanisch den Arm zum „deutschen Gruß“ hebt. Für mich war das eine Art Erweckungserlebnis. Mir wurde schlagartig klar, was mit den zum Verschleppen junger Frauen genutzten Geheimgängen, den Überwachungsanlagen und den Verliesen gemeint war. Es ging um das, was sich hinter der Fassade der Wohlanständigkeit verbarg und um eine verdrängte Vergangenheit. Um die Leichen im Keller der „englischen“ Adeligen und Rechtsanwälte, die oft von Darstellern gespielt wurden, deren Leinwandkarriere das Dritte Reich überdauert hatte. Angesichts der immer länger werdenden Reihe von Filmen über die Nazizeit vergisst man leicht, wie lange in Deutschland mit Verboten zu rechnen war, wenn das Thema nicht im Gewand des Horrorfilms versteckt wurde. Die Einrichtungen, die es bei uns zum Schutz der Jugend gibt, spielten dabei eine unrühmliche Rolle.
[Quelle: Wie ich einmal versuchte, einen indizierten Film zu kaufen (Telepolis, 01.05.2008)]
Der Autor betont mehrfach, dass es ihm nicht daran gelegen sei, gegen die Bundesprüfstelle zu polemisieren; vielmehr wolle er hervorheben, dass
Ein guter Indikator für die Qualität einer Demokratie […] deren Umgang mit dem [sei], was die Mehrheit ablehnt, nicht leiden kann oder vielleicht sogar gefährlich findet.
[Quelle: Einmal gefährdungsgeneigt, immer gefährdungsgeneigt (Telepolis, 02.05.2008)]
Jener Umgang wurde und wird in letzter Zeit immer wieder auf den Prüfstand gestellt; egal, ob es sich um den vermeintlichen Zusammenhang von Computerspielen und Amokläufen oder dem Einsatz von Internetsperren im Kampf gegen Kinderpornographie handelt.
In diesem Sinne, einer lebendigen Demokratie, freue ich mich auf eine anregende Diskussion:
Michi schreibt
na das mit der diskusion is ja leider nix geworden..
Christian Wickert schreibt
ja, leider. Aber ich halte es für verfrüht, die Demokratie für tot zu erklären 😉