In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Büchern aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie. Weitere Rezensionen finden sich hier.
Titel: | The Incompatibility of Global Anti-Money Laundering Regimes with Human and Civil Rights | |
Autor: | Michele Sciurba | |
Jahr: | 2019 | |
Verlag: | Nomos | |
ISBN: | 978-3-8487-6189-0 |
Von wortgewaltigen Kennern der Materie (wie vor allem dem ehemaligen hohen Bundesrichter und ZEIT-Kolumnisten Thomas Fischer) wird die dem Alltagsbewusstsein ziemlich entrückte Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung gerne etwas von oben herab als Beispiel für das vorgeführt, was in den letzten Dekaden so alles an rechtsgutsloser, prinzipiell verfehlter und vor allem praktisch wirkungsloser Bekämpfungs-Gesetzgebung aus den USA über den ganzen Globus verbreitet wurde.
Daran ist jedenfalls richtig, dass bei der zentralen nationalen Sammelstelle, der Kölner Financial Intelligence Unit, zwar jährlich über 100 000 Verdachtsmeldungen eingehen, von der angestrebten Verminderung der Vermögenskriminalität aber weit und breit nichts zu bemerken ist (und die Verantwortlichen sicherheitshalber jeder wissenschaftlichen Evaluation ähnlich zugewandt sind wie der Teufel dem Weihwasser). Wie immer, wenn bei einer Bekämpfungsstrategie die Erfolge ausbleiben, wird die Lösung des Problems im more of the same gesehen. Wie wenig das alles nützt, lässt die Tatsache erahnen, dass der nicht nachlassende Druck mächtiger internationaler Organisationen nicht nur eine EU-Geldwäsche-Richtlinie nach der anderen erzwungen hat, sondern infolgedessen auch der einschlägige Paragraph 261 des deutschen Strafgesetzbuchs seit 2001 nicht weniger als 25 Mal zum Gegenstand legislativer Verschlimmbesserungen wurde. Was man nicht im Kopf hat, sagte mein Großvater immer, das muss man in den Beinen haben.
„Ineffektiv“ ist aber nicht gleich „wirkungslos“. Erstens gebar das von den USA erfundene Anti-Geldwäsche-Regime eine ebenfalls von den USA dominierte und sehr ertragreiche Compliance-Industrie, die den Banken ihre teure Software verkauft, damit das Kreditwesen seinen stetig zunehmenden Überwachungs- und Meldepflichten nachkommen kann: der britische Bankenverband schätzte erst jüngst die jährlichen Compliance-Aufwendungen allein der größten internationalen Banken auf 700 Millionen bis eine Milliarde britische Pfund.
Zweitens gibt es auch eine Art Sanktionierungsindustrie, die den Banken noch einmal viel Geld für ihre realen oder vermuteten Pflichtverletzungen abknöpft: die Deutsche Bank kostete ihre Rolle im sog. Russischen Waschsalon im Jahre 2017 Strafzahlungen in Höhe von 163 Millionen Pfund und 425 Millionen Dollar, die europäischen Banken insgesamt waren in den Jahren von 2012 bis 2018 mit 16 Milliarden Dollar dabei. Bei untechnischer Betrachtung könnte man da schon fast ne bis in idem! rufen.
Erstaunlich wenig Aufmerksamkeit wird im Allgemeinen einer dritten Auswirkung geschenkt. Das ist die Verletzung von Grund- und Menschenrechten. Dieses vernachlässigten Themas hat sich nun die Kiewer Dissertation des in Palermo geborenen, in Oldenburg aufgewachsenen und in Frankfurt ansässigen Rechtswissenschaftlers Sciurba angenommen.
Sciurba zufolge führte die globale Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung zu einem rechtsstaatswidrigen Generalverdacht, der jedenfalls viele große Fische nicht erfasst, aber auf der anderen Seite Millionen von Menschen zu Unrecht vom Geldverkehr ausschließt und entweder zur Nutzung informeller oder alternativer Zahlungssysteme (hawala, Kryptowährungen etc.) bewegt oder aber auch einfach zur Unbeweglichkeit und zum Verstummen verurteilt.
Ein von Sciurba beschriebener Fall betrifft ein belgisches Ehepaar, dessen Global Relief Foundation fälschlich der Terrorfinanzierung verdächtigt wurde. Obwohl das Ehepaar seit 2003 mehrere Prozesse gewann und der belgische Senat 2009 sich für die Streichung des Ehepaars aus der Terrorliste eines kommerziellen Unternehmens namens World-Check einsetzte, musste sich das Ehepaar mangels Rechtswegs letztlich mit seinen eingefrorenen Konten abfinden – ganz zu schweigen von dem Risiko, bei einem beliebigen Grenzübertritt verhaftet zu werden. Ob und wann und wie der von der UNO aus Verlegenheit eingerichtete Ombudsman für solche Fälle tätig wird, ist nicht vorhersehbar und jedenfalls schlechterdings nicht erzwingbar.
Woran liegt das? Zum einen schleppen manche der von der Bankensoftware genutzten Datenbanken viele Namen von Menschen mit, die irgendwann irgendwie einmal registriert wurden, auch wenn sie nie verurteilt oder auch nur zum Gegenstand einer offiziellen Untersuchung geworden waren. Zum anderen tun Banken und Sparkassen natürlich lieber zuviel als zuwenig, wenn sie einerseits über die genauen Anforderungen im Unklaren gelassen werden, um nicht wegen angeblicher Sorgfaltspflichtverletzung ins Visier der Sanktionsindustrie zu geraten, andererseits aber zur Meldung von Verdachtsfällen verpflichtet und zugleich explizit per Sonderrecht von jeder strafrechtlichen Verantwortung für falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen freigestellt sind. Logischerweise werden deshalb immer mehr Bankkonten verweigert oder gekündigt und Transaktionen einfach nicht durchgeführt – und das alles, ohne die Betroffenen überhaupt von der Tatsache der Überwachung oder von dem Grund für das Scheitern der Transaktion in Kenntnis zu setzen. Darüber, wie der Grundsatz Know Your Customer das Vertrauensverhältnis zwischen Banken und Kunden unterminiert, veröffentlichte Sciurba 2018 einen eigenen Aufsatz im European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice.
Gegen die Bespitzelung lässt sich wenig machen. In Deutschland sorgt die seit 2017 bestehende und auf § 25h (2) (1) Kreditwesengesetz (KWG) beruhende Verpflichtung zum Einsatz IT-basierter Kontroll- und Monitoring-Systeme zur Identifizierung verdächtiger Kunden und Transaktionen im Zusammenhang mit §§ 47 und 48 des Geldwäschegesetzes (GWG) dafür, dass Banken und Sparkassen Verdachtsfälle zwar der FIU melden müssen, andererseits aber nichts zu befürchten haben, wenn sich ihre Verdächtigungen als falsch und damit womöglich als (dann eben straflose) Verleumdung ihrer eigenen Kunden herausstellen.
Läuft es im Überwachungskapitalismus darauf hinaus, dass alle Bürger zunächst einmal als Sicherheitsrisiken wahrgenommen werden und sich gegebenenfalls mit einer Existenz als suspekte denizens mit reduzierten Rechten abzufinden haben? Wer die Zeitdiagnosen von Shoshana Zuboff und Bernard Harcourt noch für leicht übertrieben hielt, könnte nach der Lektüre dieses Buches die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Umstände, unter denen wir leben, das Zeug zu einer neuen Art von Tyrannei in sich tragen.