Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Criminologia Preisausschreibens von Alessandro Pastore eingereicht.
Anlass vorliegenden Papers bildet der am 27. Juni 2011 vom leitenden italienischen Antimafia-Staatsanwalt Roberto Scarpinato vor dem Bund deutscher Kriminalbeamter gehaltene Vortrag mit dem Titel „Deutschland braucht kulturelle Antikörper gegen die Mafia“, der im Rahmen der Tagung „Deutschland – ein Paradies für Geldwäscher?!“ stattfand.
Er stellt hierbei die These auf, dass die „Geschichte der Mafia in Deutschland vor allem eine Geschichte von Erfolgen“ ist, die durch eine unzeitgemäße stereotype gesellschaftliche Wahrnehmung des Phänomens Mafia sowie veraltete und ungeeignete Methoden der Verbrechensprävention und Kriminalitätsbekämpfung begünstigt wird.
Ist die gegenwärtige von der Mafia ausgehende colletti bianchi Kriminalität[1] innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wirklich eine Erfolgsgeschichte? Die Beantwortung dieser Frage lässt sich am besten anhand der kalabrischen Mafiaform, der ‚Ndrangheta, beantworten. Sind es doch die mittlerweile global operierenden ‚Ndrangheta Clans, die sogenannten ’ndrine (Familien) welche den europäischen Kokainhandel kontrollieren und das daraus entstandene Drogengeld gerade in Deutschland reinwaschen.
Zwar hatte die Faida (Fehde) zweier verfeindeter ‚Ndrangheta Clans, die im Massaker von Duisburg 2007 kulminierte und bei dem sechs ‚Ndranghetisti ihr Leben ließen, zur Folge, dass die bundesrepublikanische Medienberichterstattung sich quantitativ und temporär der Thematik annahm; eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas blieb im deutschsprachigen Raum jedoch größtenteils aus.
Handelte es sich also bei dem Massaker von Duisburg nur um eine einmalige Episode, in der ansonsten von der organisierten Kriminalität verschonten Bundesrepublik oder zwingt uns, eine genauere Analyse des Phänomens ‚Ndrangheta mit falschen Sicherheiten und etablierten Denkmustern zu brechen? Vorliegendes Paper soll der Beantwortung dieser Fragen dienlich sein.
Die bestechende Dynamik der Mafien, insbesondere der ‚Ndrangheta, politische Umbruchsituationen schlagartig für sich auszunutzen, offenbarte sich bereits im Dezember 1989 als 100 bis 200 Milliarden Dollar Schwarzgeld nach Osteuropa transferiert wurde. Am 9. November 1989, 23:45 hörten italienische Ermittler ein Telefongespräch ab, in dem der Capo des Clans der Morabito seinem Statthalter in Westberlin befahl: “Sie kommen jetzt alle in den Westen. Du mein Freund aber gehst in den Osten und kaufst alles, was möglich ist.“ „Was?“ „Kaufe Hotels, Restaurants, kaufe Unternehmen. Kaufe alles, was du findest.“ Schon Ende 1990 veranschlagte die Abteilungsleiterin Strafrecht im italienischen Justizministerium, Liliana Ferraro, die Gesamtmenge der mafiosen Investitionen in Ostdeutschland auf 70 Milliarden Mark, während indessen in einigen Untersuchungen des Bundeskriminalamts von 170 Milliarden ausgegangen wurde.
Die massive Expansion mafioser Vereinigungen zu Beginn der 1990er Jahre wurde vor allem durch folgende opportune Faktoren begünstigt: die Verringerung der Grenzkontrollen nach dem Schengener Abkommen, die besondere geopolitische Lage Deutschlands in der Mitte Europas mit einem Drogenmarkt von geschätzten dreistelligen Milliardenvolumen, die Nähe zu den durch Korruption und einer weitverbreiteten Rechtlosigkeit gekennzeichneten schnell wachsenden Märkten Osteuropas, sowie der Übergang zur Marktwirtschaft mit erheblichen Investitionsmöglichkeiten in den neuen Bundesländern.
Ihre einzigartige Adaptionsfähigkeit stellte die ‚Ndrangheta ein weiteres Mal unter Beweis, indem sie im wahrsten Sinne des Wortes Kapital aus dem zur Terrorbekämpfung im Oktober 2001 in den Vereinigten Staaten erlassenen Patriot Act schlug. Mit den neu eingeführten Bestimmungen wurde den amerikanischen Banken der Handel mit Offshore – Shell Banken untersagt sowie den Finanzbehörden der USA gestattet, Dollartransaktionen global zu kontrollieren. Zwar hat sich diese Gesetzgebung als vorteilhaft für die Vereinigten Staaten erwiesen, die vor dem Patriot Act mit der Hauptlast der – zu 80% in Bargeld – eingeführten globalen Gelder konfrontiert waren, hatte jedoch zur Folge, dass sich die internationalen Geldwäscheströme aus kriminellen und illegalen Aktivitäten nach Europa verlagerten.
So wie es die ‚Ndrangheta schaffte, den strukturellen Zusammenbruch des Ostblocks auszunutzen, so gelang es ihr abermals durch die Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte seit Mitte der 1980er Jahre vor allem der Abschaffung der Kapitalverkehrskontrollen und einer fehlenden europäische Gesetzgebung zur Geldwäschebekämpfung praktisch eine Monopolstellung in der Geldwäsche einzunehmen.
Auf den internationalen Finanzmärkten werden die exorbitanten Gewinne aus dem Drogenhandel, der Schutzgelderpressung, des Wuchers und Betrugs legalisiert. Um diese internationalen Geschäftsoperationen abwickeln zu können, bedient sich die ‚Ndrangheta Juristen, Wirtschafts- und Finanzfachleute oder Steuerberater. Der Quantensprung in der Verflechtung mit der legalen Wirtschaft ist der ‚Ndrangheta jedoch mit der gezielten Ausbildung ihrer Söhne und Töchter zu Richtern, Notaren, Rechtsanwälten, Wirtschafts- und Steuerberatern oder Computer- und Bankfachleuten gelungen. Die steigende Internationalisierung der ‚Ndrangheta erklärt sich vor allem daher, dass die kriminellen Gewinne nicht mehr nur in Kalabrien gewaschen, sondern in Immobilien und der Tourismusbranche im Ausland investiert werden.
Dies ist daher möglich, weil es keine EU Bestimmung gibt, die es vorschreibt, ein und ausgehende Geldtransfers bei einer EU Einrichtung an – oder abzumelden. Durch Bargeldüberweisungen in großen Summen ist es der Organisierten Kriminalität möglich, gewinnversprechende Regionen zu lokalisieren und festzustellen, wo die Bestimmungen für das Einschleusen krimineller Guthaben in das legale Bankensystem am laxesten gehandhabt werden.
Während die Erkenntnisse der 26 auf Mafia spezialisierten Staatsanwaltschaften Italiens, von einer nationalen Einheit, dem „Coordinamento Antimafia“, gebündelt und koordiniert werden, entstehen innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden erhebliche Reibungsverluste an der Überlappung von Länderpolizeien (LP), Landeskriminalämtern (LKA) und dem Bundeskriminalamt (BKA).
Erschwerend kommt hinzu, dass es noch immer keine zentrale Antimafia-Fortbildungseinrichtung für die Kriminalpolizei gibt, während eine positive Neuerung die Aufstellung der deutsch-italienischen Taskforce nach den Morden von Duisburg ist.
Auch kennt das deutsche Straf- und Strafprozessrecht noch immer keine formalgesetzliche straf- oder strafprozessrechtliche Definition der ‚organisierten Kriminalität‘, was die Strafverfolgung der ‚Ndrangheta methodisch erheblich erschwert und verkompliziert.
Auf legislativer Ebene macht Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter auf den aktuellen Reformstau innerhalb der bundesdeutschen Gesetzgebung aufmerksam und erklärt, dass speziell in Bezug auf die Problematik der Geldwäsche „keine deutsche Gesamtstrategie oder Initiative erkennbar“ sei. So besteht zwar seit 1993 das Geldwäschegesetz zur Bekämpfung des wichtigsten Instruments der Organisierten Kriminalität; allerdings wird weniger als 1% der jährlich durch die deutsche Schattenwirtschaft erwirtschafteten und gewaschenen Gelder in Höhe von circa 43 bis 57 Milliarden tatsächlich konfisziert, wie der Vizepräsident des Bundeskriminalamts Jürgen Stock erklärt. Der Vorgang der Geldwäsche, die klassische Methode zum Einschleusen mafiösen Kapitals lässt sich in drei Phasen[2] unterteilen.
In der ersten Vermittlungsphase sind die Gelder noch als kriminellen Ursprungs identifizierbar und daher in ihrem Weiterfluss und Einsatzmöglichkeiten beschränkt. Die Notwendigkeit eines Bankkontaktes ergibt sich jedoch zwangsläufig, um über Strohmänner, gefälschten Identitäten oder aber durch von der organisierten Kriminalität aufgebaute Tarnfirmen die kriminellen Gelder in den Bankenkreislauf einschleusen zu können.
In der zweiten Phase der Stratifizierung werden die Gelder häufig transnational in fast legale Finanzprodukte und Investments großflächig und binnen kurzer Zeit durch eine möglichst große Anzahl an Transaktionen gestreut (bis zu 90 an einem Tag), wozu die effizienten Finanzinfrastrukturen eingetragener Banken notwendig sind, welche aber in der Regel im Unwissen über den kriminellen Ursprung des von ihnen verwalteten Kapitals sind.
Beide Phasen werden am Beispiel der Verbindungen zwischen der Cosca (Clan) Arena aus Isola di Capo Rizzuto und einer deutschen Projektentwicklungsgesellschaft deutlich. Diese war seit 2007 mit dem Projekt einer 96-Megawatt-[Wind- Park] Anlage namens Wind Farm ICR in der Nähe der Provinzhauptstadt Crotone mit einem Investitionsvolumen von mehr als 200 Millionen Euro geschäftlich verbunden, wobei die Kooperation vermutlich durch die Kontakte zwischen dem Vermögensverwalter des Clans, Pasquale Arena, und einem Direktor der HSH Nordbank eingeleitet, begleitet und finanziert wurden, wie abgehörte Telefonate der italienischen Finanzpolizei attestieren.
Nur wenige Tage vor Beschlagnahme der Anlage im Juli 2012 wäre es der Tarnfirma des Arena Clans, Vent1 Capo Rizzuto srl. beinahe gelungen, den Windpark an einen unwissenden Investor zu verkaufen.
Dieser Verkauf hätte der dritten Phase der Integration der Gelder entsprochen, in der das eingeschleuste Kapital schließlich frei und legal nutzbar ist.
Erschwerend kommt hinzu, dass die deutsche Gesetzgebung nur die Vermögensbeschlagnahmung im klassischen Sinn vorsieht; das heißt, dass zuerst der Nachweis über den kriminellen Ursprung des zu beschlagnahmenden Vermögens erbracht werden muss, während in Italien hingegen der Verdächtige den Ursprung des Geldes nachweisen muss. Dieser Rechtsweg der „direkten kausalen Verbindung zwischen Vermögen und Straftat“ ist allerdings nur bei unverschleiertem, kleinkriminellem Kapital erfolgreich, während die international agierenden mafiösen Vereinigungen neueren Typus bereits seit mehreren Jahren die Durchlässigkeit des bundesrepublikanischen Rechtssystems, speziell im Hinblick auf Geldwäsche erkannt haben und besonders im deutschen Immobiliensektor über Scheinfirmen und Strohmänner mit deutscher Staatsangehörigkeit investiert haben. Dieser Umstand wird erneut durch die deutsche Gesetzgebung erleichtert. So nutzen mafiöse Tarnfirmen die Kapitalobergrenze von 500.000 Euro und den Maximalumsatz von 50.000 Euro pro Jahr, um von den gesetzlich erlaubten vereinfachten und weniger stark kontrollierten Buchführungsauflagen zu profitieren. Diese Form der Wirtschaftskriminalität manifestiert sich gerade in jüngster Zeit vermehrt im deutschen Bausektor, in den viele italienische Gesellschaften aufgrund der strengeren italienischen Gesetzgebung ausgewichen sind. Durch den sich beständig ausweitenden Kokainhandel, durch „Phantomunternehmen“ mit erfundenen Leistungen oder der illegale, oft extrem toxischen Abfallentsorgung wird Schwarzgeld erzeugt, das gewissermaßen als zinsloses Darlehen in großer Quantität, offiziell legalen – jedoch durch Hintermänner kontrollierten – Unternehmen zur Verfügung steht und ihnen erlaubt, korrekt wirtschaftende Bauunternehmer, zum Beispiel durch den Einsatz minderwertigen Betons, in öffentlichen und privaten Ausschreibungen um bis zu 40% zu unterbieten.
Vor diesem Hintergrund scheint es dringend geboten, im Rahmen des neu zu fassenden Geldwäschegesetzes – bei der Konfiszierung von Vermögen eine Umkehr der Beweislast durchzusetzen.
Es gibt zwar bereits seit 1993 ein Geldwäschegesetz; dieses hat jedoch praktisch keinen Nutzen. So gab es 2010 so gut wie keine Anzeigen aus der gesamten Immobilienbranche, obwohl diese Branche neben Juwelieren, Spielbanken und Finanzdienstleistern am häufigsten genutzt wird, um illegal erwirtschaftetes Geld zu waschen. Auch gibt es keine einheitliche Bundesbehörde, während selbst die Zuordnung in den Ländern konfus ist und beide EU-Richtlinien der „erweiterten Beschlagnahmung“ von 2005 und dem 6. Oktober 2006 (2006/783/JI) von der gegenwärtigen Bundesregierung nicht umgesetzt wurden.
Für die ‚Ndrangheta ist es von großem Nutzen, unbestrafte Jugendliche zunächst, zum Beispiel als Kellner, mit einem geringen Verdienst zu beschäftigen, um ihnen dann durch finanzielle Unterstützung den Weg in die Selbstständigkeit zu ebnen oder sie als „Chefs“ die eigenen Restaurants als logistische Basis oder Geldwäscheanlagen betreiben zu lassen. Stark begünstigt wird dieses Franchising durch die deutsche Gesetzeslage, die keinen Kapitalnachweis fordert. So konnte zum Beispiel 1992 der aus San Luca stammende Domenico G. Das Restaurant Da Bruno in Duisburg für 250.000 DMark kaufen, obwohl er offiziell nur 800 DM verdiente. Durch den Aufbau dieses komplexen Kolonialisierungssystems sichert sich die ‚Ndrangheta die fortwährende Verbundenheit ihrer zumeist unbeschriebenen Klientel und zementiert sie durch gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten und verwandtschaftlichen Beziehungen.
Dass es den mafiosen Vereinigungen, insbesondere der ‚Ndrangheta, gelungen ist, in Deutschland eine Geschichte von Erfolgen zu schreiben, lässt sich also auch ganz elementar durch die deutsche Gesetzgebung erklären. Das Prinzip von Transparenz zwischen Besitz und erklärten Einkünften, welches von der Europäischen Gesetzgebung gefördert wird, ist im Palermoabkommen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000 festgeschrieben worden und in Italien zum nationalen Gesetz erklärt worden. In Deutschland hingegen noch nicht. So kommt es zu der paradoxen Situation, dass Mitglieder mafioser Vereinigungen, gerade in der Bundesrepublik Deutschland investieren, da die erworbenen Güter nicht rechtlich konfisziert werden können.
Scarpinato vergleicht die gegenwärtigen kulturelle, kriminalistische, exekutive, legislative und judikative Auseinandersetzung mit der Organisierten Kriminalität innerhalb Deutschlands mit einer Krebstherapie, bei der jedoch bisher die benötigten Antikörper fehlen, und in der die Mafia im Begriff ist „die deutsche Gesellschaft zu unterwandern“.
Beispielhaft für gesellschaftliche Aufklärung steht der von der italienischen Parlamentsabgeordneten für Auslandsitaliener mit Wohnsitz in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Laura Garavini gegründete Verein Mafia? Nein Danke! e.V..
Abschließend lässt sich mit Sicherheit feststellen, dass die von der ‚Ndrangheta ausgehenden Gefahren für die globalen Zivilgesellschaften mittelfristig stark ansteigen werden. Die Gründe hierfür sind nicht nur die Vernetzung der dritten Generation der ‚Ndranghetisti mit den wirtschaftlichen Eliten, sondern auch ihre enorm gestiegene Kooperation mit anderen international operierenden kriminellen Organisationen. Dazu trägt insbesondere die zu erwartende Kreditklemme im Bankensektor, dem Credit Crunsh, welcher viele mittelständische europäische Unternehmer in die Arme krimineller Geldverleiher treiben wird, als auch der globale Anstieg des Kokainkonsums in den Schwellenländern wie China und Indien bei.
[1] Colletti bianchi Kriminalität, wörtlich „weiße Kragen“ Kriminalität bezeichnet im übertragenen Sinn Wirtschaftskriminalität, beziehungsweise kriminelle Aktivitäten, die ohne Expertise nicht eindeutig als solche identifiziert werden können.
[2] Claudio Gnessuto, Vortrag „The banking system and money laundering: the way they work and countermeasures in place“, gehalten am 25.07. 2012 in Lecce im Rahmen des von FLARE, dem internationalen Netzwerk für den sozialen Kampf gegen das transnational organisierte Verbrechen, organisierten Otranto Legality Experience Workshops.
jens kaiser schreibt
doller artikel…
lieber administrator …
w i e kann ich denn diesen blog abonieren ?? geht d a s ?ß
danke