In der kürzlich ausgestrahlten Folge Rap on Trial widmet sich das US-amerikanische National Public Radio (NPR) dem Fall des 2007 verhafteten nigerianischen College-Studenten Olutosin Oduwole. Der junge Mann wurde an der Southern Illinois University verhaftet und aufgrund des Vorwurfs „attempting to make a terrorist threat“ angeklagt. Grundlage der Anklage war eine Textnotiz mit folgendem Wortlaut:
if this account doesn’t reach $50,000 in the next 7 days then a murderous rampage similar to the VT shooting will occur at another highly populated university. THIS IS NOT A JOKE!
Neben diesen Textzeilen fanden sich noch diverse weitere gereimte Zeilen auf beiden Seiten des Notizzettels, bei denen es sich offensichtlich um Notizen für Rap-Lieder handelte. Die oben zitierte handschriftliche Notiz war nach Ansicht der Anklagebehörde ausreichender Beweis dafür, dass Oduwole mit einer Tat, vergleichbar des wenige Monate vor seiner Verhaftung stattgefunden Amoklaufs an der Virginia Polytechnic Institute and State University, drohte. Legal erworbene Waffen, von denen Oduwole eine verbotenerweise in seinem Wohnheimzimmer verwahrte, stützten den Verdacht.
Oduwole beteuerte indes seine Unschuld und behauptete, seine Notizen seien lediglich eine Skizze für ein Rap-Lied, an dem er schreibe. Auf mehreren in seinem Wohnheimzimmer sichergestellten Notizblöcken fanden sich seitenweise weitere Textideen und Skizzen für Rap-Lieder. Eine Geschworenengericht folgte indes der Argumentation der Anklage und verurteilte den Studenten 2011 zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe.
Während es in der Tat nicht ganz leicht fällt, in den oben zitierten Textzeilen einen typischen Liedtext eines Rap-Liedes zu erkennen, mahnen Kritiker, dass die Verurteilung des angehenden Rappers für ein „thought-crime“ (Peters, 2013) erfolgte. Der Verurteilte hatte seine Textzeilen weder veröffentlicht, noch war er sonst in irgendeiner Weise sozial auffällig geworden.
Peters (2013)1 vergleicht die Anklage Oduwoles nicht unpassend mit der strafrechtlichen Verfolgung „[of] your sister for writing ‚I’m totally going to kill Becky’ in her diary“. Aus Sicht der Cultural Criminology handelt es sich hierbei um eine „cultural criminalization“2), „where mediated publicity trumps legal proceedings in constructing perceptions of guilt and criminal identity“3. Eineinhalb Jahre nach seiner Verurteilung wurde Oduwole schließlich von einem Berufungsgericht freigesprochen.
Der Fall des jungen Nigerianers ist der wohl spektakulärste Fall eines Indizienprozesses, bei dem die Grenzen der künstlerischen Freiheit – und wichtiger – der Grenzziehung zwischen Person des Künstlers und lyrischem Ich verhandelt wird. Während wohl keine Staatsanwaltschaft auf die Idee käme, Bob Marley oder Eric Clapton anzuklagen, weil sie nach eigenem Bekunden den Sheriff erschossen haben („I shot the sherrif“), haben in den USA etliche Fälle für ein großes Medienecho gesorgt, in denen Gangsta-Rapper aufgrund ihrer Liedtexte (in denen sie nach Ansicht der Polizei Täterwissen offenbaren) angeklagt wurden. Der in der Hip-Hop Kultur gelebte Anspruch „to keep it real“ wird zu Lasten der Beschuldigten ausgelegt. Wie Kubrin und Nielson (2014)4 sehr schön ebenfalls am Beispiel von Olutosin Oduwole herausgearbeitet haben, ist dies insbesondere problematisch, wenn eine Bewertung subkulturspezifischer Codes von Außenstehenden vorgenommen werden.
Der jetzt vom NPR veröffentlichte Radiobeitrag nähert sich dem Kriminalfall unvoreingenommen und lässt alle Beteiligten (inklusive Oduwole) ausführlich zu Sprache kommen.
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Peter, J. (12. März 2013): Illinois Appeals Court Finds That Bad Rap Lyrics Are Not A Crime. Slate. ↩
vgl. Ferrell, J. (1998) Criminalizing Popular Cultur. In: Bailey, F. Y./ Hale, D. C. (Hrsg.): Popular Culture, Crime, and Justice. Belmont: Wadsworth. S. 71-83 ↩
Ferrell, J.; Hayward, K.; Young, J. (2008) Cultural Criminology: An Invitation. (1. Aufl.). Los Angeles: Sage. S. 132 ↩
Charis E. Kubrin & Erik Nielson (2014) Rap on Trial. Race & Justice 4(3), 185-211. ↩