Prison Songs – Gefängnislieder – heißt eine neue Reihe auf Criminologia, die sich mit den vielfältigen Bezügen zwischen der (Kultur-)Kriminologie und der Populärmusik befasst. Menschen, die einer Inhaftierung ausgesetzt waren, haben vermutlich seit jeher das einschneidende Erlebnis des Freiheitsentzuges in Liedern verarbeitet. Die noch heute verfügbaren Tondokumente dieser Art reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Aber auch zeitgenössische Musik befasst sich mit dem Thema Gefängnis.
Um den umfangreichen Musikfundus zu gliedern, bietet sich folgende Kategorisierung an:
- Songs, die im Gefängnis geschrieben, komponiert oder gesungen wurden
- Hierbei sind sowohl die sog. „working-songs“ zu nennen – zumeist mündlich überlieferte Lieder, die von Strafgefangenen (aber auch Sklaven) während der „Zwangsarbeit“ gesungen wurden
- als auch Musiker und Komponisten, die in Haft waren und diese Erfahrung in eigenen Kompositionen verarbeitet haben (Merle Haggard, Steve Earle, Lil Wayne, Lil Kim, Snoop Dog usw.)
- Künstler, die Konzerte im Gefängnis gegeben haben (z.B. Johnny Cash, BB King, Metallica)
- Das Gefängnis (oder genauer: die Hafterfahrung) als „Lifestyle“ („Like You were fresh outta Jail“, Bushido)
- Das Gefängnis als Metapher (z.B. „Prisoner of Love“)
- Musik/ Musizieren als Behandlungs- und Beschäftigungsmaßnahme im Strafvollzug: Gefängnis-Bands, Musikunterricht, Konzerte, Instrumentenbau im Gefängnis (z.B. Gitta Spitta, King Köppen, Toni Osanah)
Unserem Wissen nach existiert bislang keine erschöpfende Sammlung. Veröffentlichungen zum Thema beschränken sich zumeist auf einige wenige Lieder (siehe: hier, hier und hier).
Diese Lücke möchten wir schließen:
Zum Einen bietet das Prison Song Projekt eine Auflistung von derzeit ca. 120 „Prison-Songs“. Diese Sammlung wird stetig ergänzt und ausgebaut.
Zu jedem Musiktitel sind der Songname, der Interpret, Albumname, Komponist und Erscheinungsdatum vermerkt. [Das Datum bezieht sich in der Regel auf die älteste noch käufliche Version des Liedes.] In der Detailansicht zu jedem Lied ist darüber hinaus noch (sofern verfügbar) ein Musikvideo, der Songtext sowie Links zum iTunes-Store bzw. Amazon verfügbar.
Zum Anderen werden zukünftig im Rahmen unseres kleinen Prison Song Projektes regelmäßig Songs oder auch Künstler vorgestellt, die uns im oben umrissenen Kontext wichtig, Erkenntnis versprechend und unterhaltsam erscheinen.
Cultural Criminology als Analyseschema und theoretischer Hintergrund
Mit der Analyse von Liedern, Liedtexten und ihren Bestehungsbedingungen im Rahmen des Prison Song Projektes werden die vielfältigen Bezüge zwischen Kultur(produkt/ion) und Kriminalität bzw. der Kontrolle von Kriminalität in den Mittelpunkt gerückt. Als theoretischer Hintergrund dieser Analysen erscheint die Cultural Criminology geeignet.
Above all else, it is the placing of crime and its control in the context of culture; that is, viewing both crime and the agencies of control as cultural products – as creative constructs. As such, they must be read in terms of the meanings they carry. Furthermore, cultural criminology seeks to highlight the interaction between these two elements: the relationship and the interaction between constructions upwards and constructions downwards. Its focus is always upon the continuous generation of meaning around interaction; rules created, rules broken, a constant interplay of moral entrepreneurship, moral innovation and transgression. (259)
Forschungsstand
Populäre Musik und deren Lyrics wurden bislang häufig im Zusammenhang mit Zensurforderungen kriminalistisch verhandelt (vgl. z.B.: Nancy Reagan, Parental Advisory oder die Airplay-Verbote nach 9/11 für Songs, die mit Flugzeugen oder Wolkenkratzern zu tun hatten oder der Protest der Bürgerrechtlerin C. Dolores Tucker gegen gewaltverherrlichende und sexistische Raptexte).
Erst kürzlich wurde den Strafverfolgungsbehörden bekannt, dass der Song „Döner Killer“ der rechtsradikalen Band „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ bereits im Jahr 2010 Hinweise auf die Motive und Zusammenhänge der Mordserie hätte liefern können (vgl.: „Nazis feierten Morde mit Döner Killer –Song“ von Matthias Thieme in der Berliner Zeitung, 18.11.2011).
Vergleichsweise selten beschäftigt sich auch die Kulturkriminologie mit der Analyse von Songtexten oder Videoclips. Ausnahmen sind beispielsweise zwei Fachartikel zur Rolle von Johnny Cash als Gefängniskritiker/ -reformer:
- Gerkin, P.; Rider, A.; Hewitt J. (2010) Johnny Cash: The Criminologist Within. Journal of Criminal Justice and Popular Cultur, 17(1), 152-183. [PDF]
- Tunnell, Kenneth D. & Hamm, Mark S. (2009) Singing across the scars of wrong: Johnny Cash and his struggle for social justice. Crime, Media and Culture (5) 3, 268-284.
In den kommenden Wochen und Monaten sind – neben dem stetigen Ausbau des Prison Song Archive – viele Artikel geplant, die sich mit spannenden Teilaspekten beschäftigen wie z.B. Gefängnislieder und ihre Bedeutung für die verschiedenen Musikgenres, Musik als Folter, Musik als Therapie in Haft, Musik von aktuell bzw. ehemals inhaftierten Sängern/ Komponisten.
Wir freuen uns über Anregungen und Ideen. Wer einen Song für die Aufnahme in das Prison Song Archive vorschlagen möchte, kann dieses Formular nutzen.
Elke Wienhausen schreibt
prison songs