Im Dezember 1955 veröffentlichte der damals 23-jährige Johnny Cash seine zweite Single „Folsom Prison Blues“ auf Sun Records. Die Single wurde ein großer Erfolg und landete auf Platz 4 der Country-Charts. Die Veröffentlichung war aber nicht nur Basis für Cashs lange und erfolgreiche Karriere, sondern zugleich Grundstein für sein Image als Gesetzloser. Vor allem die Textzeile „I shot a man in Reno/Just to watch him die” gilt einigen Autoren bis heute als Ursprung für die Verherrlichung von Gewalt in Liedtexten. Die Textzeile ist dabei ein fast wörtliches Zitat des Folk-Songs „Duncan and Brady“. Hier heißt es in der ersten vom Blues- und Folksänger Lead Belly getexteten Strophe:
Twinkle, twinkle, twinkle, little star
Up comes Brady in a ‚lectric car
Got a mean look all ‚round his eye
Gonna shoot somebody jus‘ to see them die
Johnny Cashs Image als „Outlaw“ wurde auch durch seine Auftritte in Haftanstalten befördert. Seinen ersten Auftritt dieser Art absolvierte er 1956 in Huntsville, Texas. Entgegen anders lautender Gerüchte (die auch durch seine Plattenfirma gestreut wurden, siehe unten) wurde Johnny Cash nie zu einer Haftstrafe verurteilt. Durch seine jahrelange Tablettenabhängigkeit und seinen exzessiven Alkoholkonsum geriet er mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Seine persönlichen Hafterfahrungen beschränkten sich jedoch auf sieben vorläufige Festnahmen. Seiner Glaubwürdigkeit tat dies jedoch keinen Abbruch und es sprach sich schnell herum, dass Johnny Cash als Fürsprecher für Gefängnisinsassen eintrat und Live-Konzerte im Gefängnisanstalten spielten.
Dies kam auch dem wegen Mordes zum Tode verurteilten Earl C. Green zu Ohren. Green saß in der Todeszelle in San Quentin und wurde hier seelsorgerisch vom Reverend Floyd Gresset betreut. Reverend Gresset arbeitet auch als Pastor einer Kirchengemeinde in Ventura, Kalifornien – ganz in der Nähe von Johnny Cashs Wohnsitz.
Als die Todesstrafe von Earl C. Green zu einer lebenslangen Haftstrafe umgewandelt und er in das Folsom Prison verlegt wurde, begann er hier als Radio-DJ zu arbeiten. Es gelang Green den Reverend Gresset zu überzeugen, Johnny Cash für die Idee zu gewinnen, in Folsom Prison aufzutreten. 1966 willigte Cash ein und spielte ein Konzert für die Insassen in Folsom Prison. Dieser erste Auftritt wurde jedoch nicht aufgezeichnet und veröffentlicht. Cashs Plattenfirma Columbia hielt die Idee, eines im Gefängnis aufgezeichneten Live-Albums für ein kommerziell nicht lukratives Geschäft und es sollte zwei Jahre dauern, bis Johnny Cash die Plattenfirma von einem erneuten Auftritt in Folsom Prison überzeugen konnte.
Johnny Cash at Folsom Prison
Am 13. Januar 1968 spielte Johnny Cash im Folsom State Prison sein legendäres Konzert vor einigen hundert Gefangenen. Der Live-Mitschnitt des Konzerts „Johnny Cash at Folsom Prison“ belegte drei Wochen lang die Nummer eins der US-Country-Charts und verkaufte sich über sechs Millionen Mal.
Entgegen der Befürchtung der Plattenfirma wurde das Album zum großen kommerziellen Erfolg und ließ die Popularität Cashs weiter steigen. June Carter, die spätere Ehefrau von Johnny Cash, erklärte im Anschluss an den gemeinsamen Auftritt in Folsom den Erfolg Cashs folgendermaßen:
You know why the prisoners like Johnny so much? They know he’s been in trouble before and looks as mean as they do. They identify with him.
Knauer (2012) hält mit Blick auf den gesellschaftskritischen Zeitgeist der Sixties das Album „Johnny Cash at Folsom Prison“ gar für einen musikgeschichtlichen Meilenstein:
[Knauer 2012: 424]Mit der Platte jedoch wurden Cashs Platz in der Musikgeschichte neu definiert, seine kommerziellen Möglichkeiten erweitert und die Country-Musik zu neuen Höhen geführt. „Johnny Cash At Folsom Prison“ schlug eine Brücke zwischen dem rockenden Cash aus den Tagen in Memphis und den Rockern der späten sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Das Album wurde zur Grundlage des Outlaw-Images von Johnny Cash. Mit Folsom wurde Cash erstmals von der damaligen Underground-Szene der Rock- und Folkfans entdeckt, weil seine Solidarität mit den Häftlingen dem rebellischen Zeitgeist der Sixties entsprach. Auch im Rückblick lässt sich die Platte daher mit Recht als eines der wegweisenden Alben der Popmusik bezeichnen.
Der kommerzielle Erfolg des Albums geht nicht nur auf die musikalische Qualitäten von Cashs Musik zurück. Die Plattenfirma bewarb das Album „At Folsom Prison“ unter der Überschrift „Some people may buy it just to hear the audience“ (s.u.) und spielte geschickt mit Ängsten und Vorurteilen der Leser gegenüber Strafgefangenen und inszenierte Cash erneut als Outlaw („You’ll probably never know what it’s really like. Johnny Cash does. He’s been inside prisons before. Not always on a visit.„).
Johnny Cash at San Quentin
Beflügelt durch den Erfolg trat Cash mit seiner Band ein gutes Jahr später, am 24. Februar 1969, im San Quentin State Prison auf. Auch die Aufnahme dieses Auftrittes – „Johnny Cash at San Quentin“ – belegte wochenlang Platz eins der Country- und Pop-Charts und wurde ein großer kommerzieller Erfolg.
Man täte Johnny Cash aber unrecht, würde man seine Gefängnisauftritte lediglich auf eine geschickte Selbstvermarktung und die kommerziellen Interessen reduzieren. Der streng christlich erzogene Countrysänger setzte sich über viele Jahre seiner langen Karriere glaubhaft für die Rechte von Gefangenen ein. Zwischen 1957 und 1967 spielte Cash etwa 30 Konzerte in Gefängnissen. In dem eigens für den Auftritt im San Quentin State Prison komponierten Song „San Quentin“ formuliert Cash aus Sicht eines Insassen scharfe Kritik an der Strafanstalt im Besonderen und dem Resozialiserungs- und Besserungsgedanken im Allgemeinen:
San Quentin, I hate every inch of you.
You’ve cut me and you’ve scarred me thru an‘ thru.
And I’ll walk out a wiser, weaker man;
Mister Congressman, why can’t you understand?San Quentin, what good do you think you do?
Do you think that I’ll be different when you’re through?
You bend my heart and mind and you warp my soul,
your stone walls turn my blood a little cold.San Quentin, may you rot and burn in hell.
May your walls fall and may I live to tell.
May all the world forget you ever stood.
And the whole world regret you did no good.
Mit dem Erfolg des Albums „At Folsom Prison“ wurde Johnny Cash zu einer Galionsfigur für eine Strafvollzugsreform (Knauer 2012: 425). In Gesprächen mit verschiedenen Päsidenten der USA und einer Anhörung des für die Bundesstrafanstalten zuständigen Unterausschuss des Justizausschusses des Senats sprach sich Cash für einen humaneren Strafvollzug und mit dem Ziel der Resozialisierung aus (Knauer 2012: 426).
Johnny Cash på Österåker
1972 nahm Cash ein drittes Live-Album in der schwedischen Strafanstalt Österåker auf, das 1974 unter dem Titel „Johnny Cash på Österåker“ nur in Europa veröffentlicht wurde. Das Album konnte aber nicht an die kommerziellen Erfolge der beiden vorangegangenen Live-Alben anschließen und ist heute nahezu in Vergessenheit geraten.
Ende der siebziger Jahre ließ Cashs Engagement als Gefängnisreformer nach. Nach Ansicht seines Managers Lou Robin war „Cash der Ansicht, dass er seinen Beitrag zu einer Gefängnisreform geleistet hätte“ (ebd.). Möglicherweise spielt auch die Enttäuschung über den ehemaligen Strafgefangenen Glen Sherley eine Rolle, der nachdem er Mitglied der Johnny Cash Show geworden war, in Folge verbaler Entgleisungen und gewalttätigen Verhaltens von Cash aus der Band geschmissen werden musst. Glen, der einige Jahre zuvor Cash zu dessen Anhörung vor dem Justizausschusses des Senats begleitet hatte und von Cash als Beispiel für das Gelingen einer Resozialisierung angeführt wurde, verließ seine Familie, verfiel erneut seiner Drogensucht und nahm sich schließlich 1978 das Leben.
Obwohl Cash sich Zeit seines Lebens nie zu einer eindeutigen Aussagen hinreißen ließ, Anhänger welcher politischen Richtung er zuzurechnen wäre, bleibt sein Einsatz für eine Humanisierung des Strafvollzuges beispiellos in der Musikgeschichte. Kein anderer Künstler hat sich zu seiner Zeit in einem vergleichbaren Maße für die Rechte von Gefangenen eingesetzt. Diverse „Prison Songs“ im musikalischen Nachlass von Johnny Cash, der 2003 verstarb, zeugen von diesem Engagement.
Quellen und weiterführende Informationen
- The Virgina Quarterly Review – Folsom Prison Blues von Gene Beley
- AskMen – 5 Things You Didn’t Know: Johnny Cash
- Knauer, Florian: „I Shot a Man in Reno, Just to Watch Him Die“ Überlegungen zum Verhältnis von Strafrecht und Musik, vertieft am Beispiel zeitgenössischer Populärmusik von Johnny Cash. Zeitschrift für das juristische Studium (ZJS), 5. Jahrgang, Ausgabe 3/2012, S. 413 – 431
Video: „Prison Rock and the intersection of bad behaviour and outstanding music“
Johnny Cash ist nicht der einzige bekannte Musiker, der in Strafvollzugsanstalten aufgetreten ist. Das folgende Video gibt einen kurzen Überblick über die Reihe der Pop- und Rockstars, die Auftritte in Gefängnissen absolviert haben.
[Direktlink zum Video]A Special Edition of the Vlog this week – we depart from our usual format to bring you an episode devoted to Prison Rock and the intersection of bad behaviour and outstanding music. With performances from Leadbelly (Goodnight Irene, from a 1935 newsreel); Elvis Presley and his classic Jailhouse Rock; Johnny Cash at San Quentin; John Lennon’s angry Attica State performed on the French show Pop2, B.B. King at Sing Sing asking How Blue Can You Get; Bachman Turner Overdrive Take Care of Some Business in 1988 at the Saskatchewan Penitentiary; Steve Earle remains Unrepentant in MTV’s „To Hell and Back“ special from 1996. Plus a surprise performance from from funkster and sometime jail bird, Rick James.
wunderschön. und ein klasse peaks video (auch für leute, die elvis sonst nicht so mögen; und natürlich für lennon fans). congratulations.
In der Märzausgabe des Dynamite Magazines (03/13) wird ebenfalls ausführlich über die legendären Konzerte Johnny Cashs in Folsom und San Quentin berichtet. Zudem kommen zeitgenössische Rock’n’Roll Bands zu Wort, die von ihren Auftritten in Justizvollzugsanstalten berichten. Der Artikel „Hinter Gittern – Rock’n’Roll im Knast“ ist online verfügbar.