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Prison Song Project: Musik auf den Knochen

Am 25. Januar 2013 gepostet von Christian Wickert

Musik auf den Knochen (Süddeutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 16 vom 19./20. Januar 2013, S. 14)
Musik auf den Knochen (Süddeutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 16 vom 19./20. Januar 2013, S. 14)

Im Rahmen des Prison Song Project haben wir bislang stets über Musik berichtet, die über das Leben im Gefängnis berichtet oder im Falle der Musikfolter im Gefängnis Verwendung findet. In einer weiteren relevanten Kategorie, die bislang keine Erwähnung fand, ließen sich jedoch Fälle zusammenfassen, bei denen die Aufführung oder Verbreitung von Musik ins Gefängnis führt.

In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung (SZ, Nr. 16 vom 19./20. Januar 2013, S. 14) wird von einem eben solchen Fall berichtet. Ende der 1940er Jahre gründeten Boris Pawlinow und Ruslan Bogoslowskij im heutigen St. Petersburg das Untergrund-Tonstudio „Goldener Hund“ (in Anlehnung an Namen und Logo des britischen Labels „His Master’s Voice“). Sie setzten sich über die staatliche Zensur westlicher Musik hinweg und kopierten auf einem selbst konstruierten Aufnahmegerät aus dem Westen geschmuggelte Schallplatten. Auf der Suche nach einem kostengünstigen und einfach zu beschaffenem Datenträger für die kopierten Schallplatten entdeckten die russischen Tüftler für ihr Vorhaben Röntgenfilm. Da Krankenhäuser angehalten waren, alte Röntgenaufnahmen auszumustern, hatten Pawlinow und Bogoslowskij kostenfreien Zugang zu unerschöpflich viel Material für Ihre „Raubpressungen“. Die Schädel, gebrochenen Rippen und Beine, die die kopierten Schallplatten zierten, wurden nicht nur zum Markenzeichen des Labels Goldener Hund, sondern prägten auch den Begriff „Rock auf den Knochen“ oder „Skelett meiner Großmutter“. „Musik auf den Knochen“ wurde zum Code für die kopierten und auf dem Schwarzmarkt gehandelten „Ideologie-fremden“ Rock-, Blues- und Jazzplatten aus dem Westen.

Das Untergrund-Label blieb nicht unentdeckt und Ruslan Bogoslowskij und Boris Pawlinow wurden angeklagt „die sowjetische Jugend moralisch zu verderben“. Die Musik von Louis Armstrong, den Andrew Sisters, den Beatles oder Rolling Stones  galt den Verantwortlichen als Ausfluss des kapitalistischen Systems, das es zu bekämpfen galt. Im November 1950 wurden die beiden jungen Männer zu jeweils fünf Jahren Arbeitshaft in den westsibirischen Wäldern verurteilt. Nach dem Tod Stalins im März 1953 wurde Pawlinow, der jetzt das Pseudonym Taigin angenommen hatte, noch vor Ende seiner Haftzeit entlassen. Bogoslowskij wurde in den Folgejahren noch zwei weitere Male für die Verbreitung westlicher Musik angeklagt und jeweils zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt.

Taigin gründete in den 1960er Jahren den Buchverlag „Be-Ta“ widmete sich der Verbreitung verbotener Literatur. Er verstarb 2008.

Im Februar erscheint in Sankt Petersburg das Buch „Boris Taigin in den Erinnerungen seiner Freunde“, das sich dem Erfinder von „Musik auf den Knochen“ widmet.

Mehr zum Thema

In einem älteren Beitrag zum Thema auf Spiegel Online / Eines Tages zeugt ein Hörbeispiel von der doch recht bescheidenen Qualität der selbstkopierten Schallplatten.

Der Autor Uli Hufen hat in „Das Regime und die Dandys: Russische Gaunerchansons von Lenin bis Putin“ die Geschichte russischer Gaunerchansons aufgearbeitet. Die „Blatnyje pesni“, oder auch Blatnjak wurden vor Verbreitung des Tonbandes und in Ermagelung kostengünstiger Alternativen ebenfalls auf Röntgenfilmen vervielfältigt. Auf Hufens Blog gibt es viele spannende Beiträge rund um „Musik auf Knochen“ aber vor allem zur Kulturgeschichte der russischen Gaunerballaden (siehe z.B. http://dasregimeunddiedandys.wordpress.com/2010/11/30/faz-hufen-dandys-blatnjak/

Der Freitag berichtet anlässlich der Veröffentlichung von Hufens Beschäftigung mit den russischen Gaunerballaden ebenfalls von den auf Röntgenpapier gebannten Liedern: Musik auf Rippen.

1998 berichtete die Berliner Zeitung anlässlich des Auftritts der Rolling Stones in Moskau, dass Schallplatten der Stones in den 70er auf dem Schwarzmarkt für ein durchschnittliches Monatsgehalt den Besitzer wechselten.

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Kategorie: Kontrolle und Sanktionen, Meinungsfreiheit, Prison Song Project, Recht und Gesetz, Strafvollzug, Urheberrecht Stichworte: Musik, Raubkopie, Russland, Strafvollzug

Leser-Interaktionen

Kommentare

  1. Michel schreibt

    25. Januar 2013 um 18:08

    Es soll wohl eher SchwaRzmarkt und nicht SchwaNzmarkt heißen. 🙂

    Gruß
    Michel

  2. Christian Wickert schreibt

    26. Januar 2013 um 16:42

    Ich würde jetzt gerne behaupten, „r“ und „n“ lägen auf der Tastatur direkt nebeneinander und es würde sich um einen einfachen Tippfehler handeln. Aber hier hat wohl Freud zugeschlagen. In diesem Sinne: Ich hätte 30 cm an Bedürftige abzugeben 😉

  3. Ilsabe Horstmann schreibt

    7. März 2013 um 19:08

    :—)

  4. Christian Wickert schreibt

    19. Juni 2014 um 13:42

    József HAJDÚ stellt etliche Fotos der X-Ray Records aus: http://www.c3.hu/~bolt/artists/hajdu/index.html#hat

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