Im Zentrum des siebten Teils des Kriminalpolitischen Parteien-Checks zur Bundestagswahl 2021 steht das Wahlprogramm der BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: Deutschland. Alles ist drin. Bundestagswahlprogramm 2021. Bereit, weil Ihr es seid.
Wahlprogramm Bündnis 90/ Die Grünen – kriminologisch bedeutsame Aspekte
Das diesjährige Bundestagswahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen hat den Titel „Deutschland. Alles ist drin. // Bereit, weil Ihr es seid“. Auf 272 Seiten inklusive Inhaltsverzeichnis und Stichwortregister erhalten die LeserInnen einen umfassenden Überblick über alle Pläne, Vorschläge, Ziele, Ansichten (S. 256) der Partei (Regieren auf Augenhöhe mit der Zukunft (S. 255)). „Regieren ist kein Selbstzweck. Unser Anspruch ist nicht weniger als eine Erneuerung des Landes.“ (S. 256)
Der Programm ist in 6 Kapiteln aufgeteilt:
- Kapitel 1: Lebensgrundlagen schützen (S. 12)
- Kapitel 2: In die Zukunft wirtschaften (S. 57)
- Kapitel 3: Solidarität sichern (S. 95)
- Kapitel 4: Bildung und Forschung ermöglichen (S. 141)
- Kapitel 5: Zusammen leben (S. 160)
- Kapitel 6: International zusammenarbeiten (S. 217)
Die meisten kriminalpolitischen Themen sind im Kapitel 5: „Zusammen leben“, sowie im Kapitel 6: „International zusammenarbeiten“ erfasst, aber auch im Kapitel 3: „Solidarität sichern“ enthalten.
Sicherheit vs. Freiheit
Bereits bei der Aufzählung der kriminalpolitisch relevanten Begriffen in den jeweiligen Parteiprogrammen fällt eine überproportionale Konzentration des Begriffes Sicherheit (aber auch des Wortes sicher) zu Ungunsten des Begriffes Freiheit (und des Wortes frei) im Programm der Grünen auf:
Sicherheit (sicher) 161 (457) vs. Freiheit (frei) 52 (206)
Im letzten Abschnitt des Wahlprogramms (Regieren auf Augenhöhe mit der Zukunft) heißt es allerdings: „Wahlen sind ein Moment der Freiheit. Nutzen Sie ihn – für die Freiheit.“ (S. 258)
„Zukunft ist (.) nichts was uns einfach widerfährt.“ (S. 9) So beginnt für die Grünen eine Auseinandersetzung mit der neuen Ära, in der Zeit eines „globalen Ausnahmezustands“.
„Die globalen Krisen dieser Zeit – zuallererst die Klimakrise als wahre Menschheitskrise – wirken in unser aller Leben hinein und gefährden Freiheit, Sicherheit und Wohlstand.“ (…) „Jetzt ist es Zeit, dass die Politik über sich hinauswächst.
Wir können aus Fehlern lernen. Wir haben erlebt, wie fragil der Status quo ist, wie zerbrechlich eine rein auf Profit ausgerichtete Wirtschaft, aber auch, welche Bedeutung Grundrechte haben und wie stark unsere Gesellschaft ist. Wir haben erfahren, wie begrenzt nationale Antworten auf globale Fragen sind, gesehen, wie viel Unsicherheit entsteht, wenn man nur auf Sicht fährt, und wie notwendig eine Politik mit Weitblick und für Frieden ist.“ (S. 9 / 10)
Die Grünen meinen in ihrem Programm, die Gesellschaft habe den Schlüssel für vieles bereits in der Hand (S. 10), sowie „dass viele Menschen in der Gesellschaft der Politik weit voraus sind“. (S. 11) „Jetzt ist die Zeit fürs Machen. Reaktive Politik hat die letzten Jahre über versucht das Schlimmste zu verhindern. Aber es geht darum, das Beste zu ermöglichen.“ (S. 10)
„Macht ist in einer Demokratie nur geliehen. Diese Leihgabe verpflichtet zu sauberer Politik – zu einer Politik, die das Wohl der Bürger*innen über das persönliche Interesse stellt, die Rechenschaft ablegt und sich selbst Grenzen setzt. In diesem Sinne werden wir handeln.“ (S. 11) „wir schaffen Sicherheit im Übergang.“ (S. 11)
Netzpolitik/ Digitalisierung
„Ob vernetzte Fahrzeuge, effiziente Industrie, punktgenaue Verteilung regenerativer Energie oder intelligente Bewässerung auf Feldern: Mit digitalen und datengetriebenen Innovationen können wir den Energie- und Ressourcenverbrauch besser reduzieren und bei Zukunftstechnologien führend werden. Hierzu fördern und priorisieren wir digitale Anwendungen und Lösungen, die einen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten oder nachhaltiger sind als analoge. Rebound-Effekte gilt es generell zu vermeiden, Suffizienz zu unterstützen. Wir fördern Alternativen zu kritischen Rohstoffen wie seltene Erden und deren menschenrechtskonforme Gewinnung. Ausschreibungs- und Beschaffungskriterien sind so anzupassen, dass möglichst sozial-ökologisch nachhaltige Technologien vorrangig zum Einsatz kommen. Bei ITBeschaffungen des Bundes müssen Faktoren wie Herstellerabhängigkeit, Folgebeschaffung, technische Offenheit, Sicherheit, Datenschutz, Reparaturfähigkeit, Nachhaltigkeit und soziale Kriterien zwingend in die Bewertungen einfließen und Zertifizierungen wie der Blaue Engel für IT-Produkte zum Standard werden. Wir wollen alle Rechen- und Datencenter des Bundes nachhaltig umstellen, mit erneuerbarer Energie betreiben und zertifizierte umweltfreundliche Hardware einsetzen. Zugleich gilt es, Anreize zu schaffen, um den Stromverbrauch von Rechenzentren zu reduzieren, einschließlich Umstellung auf Wasserkühlungssysteme, und CO2-neutrale Rechenzentren zu fördern.“ (S. 16)
Die Grünen wollen die Digitalisierung voranbringen: „Daten sind eine Schlüsselressource der digitalen Welt, insbesondere für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz. Gerade im industriellen Bereich wollen wir neue Ansätze schaffen, um eine gemeinsame, freiwillige Nutzung sowohl von nicht personenbezogenen als auch von personenbezogenen, aber anonymisierten Daten, zum Beispiel aus Entwicklungs- und Fertigungsprozessen, zu verbessern und rechtssicher zu gestalten.“ (S. 74)
Dafür werden „klare gesetzliche Spielregeln für kooperative und dezentrale Datenpools und Datentreuhandmodelle“ benötigt. „Wir wollen eigene europäische Standards und Regeln setzen. Die eigene kritische Infrastruktur wollen wir schützen und eine gemeinsame europäische Cloud-Infrastruktur auf Basis von Open-Source-Technologien realisieren. (…) Vor allem die Bereiche Künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputing-, IT-Sicherheits-, Kommunikations- und Biotechnologie oder auch die weitere Entwicklung von ökologischen Batteriezellen wollen wir besonders fördern (…).“ (S. 75)
Ein funktionierenden und fairen Wettbewerb auf digitalen Märkten wird angestrebt: „Relevante Erwerbsvorgänge von Tech-Konzernen sollten durch das Bundeskartellamt geprüft werden, um den strategischen Aufkauf von aufkeimender Konkurrenz („Killer Acquisitions“) zu verhindern. Dabei sollten Datenschutzbehörden eine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. “ (S. 76)
Die Strategie „Frauen in der Digitalisierung“, genauso wie die „Transparente Algorithmen“ werden erwähnt (S. 77). „Datengetriebene Systeme sind nicht neutral, da sie ein Produkt ihrer zugrunde liegenden Daten sind und somit diskriminierend und vorurteilsbehaftet sein können. Wir wollen daher Qualitätskriterien sowie die europäischen Anstrengungen für Transparenz und Überprüfbarkeit vorantreiben, damit algorithmische Entscheidungssysteme nicht diskriminierend wirken. (…) Gute IT-Sicherheit ist längst auch ein wichtiger Standortfaktor.“ (S. 78) Die Sicherheit im Cyber- und Informationsraum solle auch geschaffen werden. (S. 251)
Auch an die Kinder wird gedacht: „Wir stärken die digitale Bildung als Gemeinschaftsaufgabe von Eltern, Bildungseinrichtungen und der Jugendhilfe mit Fortbildungen für Fachkräfte und Unterstützungsangeboten für Eltern. Alle sollen digitale Kompetenzen erwerben können, das geht nur mit entsprechender Hardware und Internetanbindung: Kinder, die in Armut leben, erhalten für die Schule ein digitales Endgerät, wenn sie dieses benötigen. Auch dem Suchtpotenzial und den Gesundheitsrisiken der übermäßigen Nutzung digitaler Anwendungen möchten wir begegnen. Kinder und Jugendliche brauchen im Netz besonderen Schutz vor Straftaten wie Hassrede, Cybergrooming oder sexualisierter Gewalt. Dem Mobbing im Netz wollen wir einen Riegel vorschieben. Dafür setzen wir auf eine Präventionsstrategie mit verpflichtenden sicheren Voreinstellungen für Plattformen und altersgerechten und leicht auffindbaren Informations- und Beschwerdemöglichkeiten. Die Bundeszentrale für Kinder und Jugendmedienschutz soll in ihren Kompetenzen gestärkt werden. Vor kommerziellem Sammeln ihrer Daten durch private Anbieter werden wir Kinder schützen.“ (S. 100)
Die Grünen wollen auch „Anwendungen wie quelloffene und sichere Lernplattformen oder Videokonferenzsysteme umfassend fördern und setzen uns für die Umsetzung des Rechts auf Löschung personenbezogener Daten für Kinder ein.“ (S. 149)
Geldwäschebekämpfung
„Unser Land ist derzeit ein Paradies für Geldwäsche. Wir werden mit einer umfassenden Strategie gegen Geldwäsche vorgehen. Bei allen Gesellschaften, Stiftungen und sonstigen Konstrukten muss umfassende Transparenz über die wirtschaftlich Berechtigten bestehen. Wir befürworten eine Absenkung der Identifizierungspflicht auf 10 Prozent. Lücken und Umgehungsmöglichkeiten des Transparenzregisters werden geschlossen. Die Finanzaufsicht muss in der Geldwäschebekämpfung eine aktive Rolle spielen, statt Verdachtsmeldungen nur weiterzureichen. Im Nichtfinanzsektor, gerade bei Immobilien, bleibt Geldwäsche besonders oft unentdeckt. Wir werden bundesweite Mindeststandards für Aufsicht, Prüfungen, Ressourcen und Personal durchsetzen. Die Zuständigkeit für die Bekämpfung der Geldwäsche soll vollständig auf den Bund übergehen. Illegale Gelder und Vermögenswerte werden wir umfassend abschöpfen. Das Einfrieren von verdächtigen Finanztransaktionen wollen wir erleichtern und die Dauer von Transaktionsverboten verlängern, um die Strafverfolgung zu sichern. Wir werden die Einführung einer hohen Obergrenze für Bargeldzahlungen, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, prüfen.“ (S. 86)
„Dem Zoll als Bundesbehörde kommen wichtige Aufgaben im Bereich der Bekämpfung der Finanzkriminalität, Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu.“ (S. 85)
Die Grünen wollen „den Missbrauch von sogenannten „Share Deals“ zur Steuerumgehung beenden und setzen auf eine anteilige Besteuerung des Immobilienbesitzes bei Unternehmensverkäufen.“ (S. 132)
„Zur Bekämpfung von Verbrechen wie Geldwäsche, Darstellung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, Steuerhinterziehung und TerrorFinanzierung braucht es auch für den Bereich des digitalen Bezahlens klare Regeln. Bestehende Kooperationspflichten von Kryptotauschbörsen wollen wir erweitern und Ermittlungsbehörden angemessen in diesem Bereich schulen.“ (S. 87)
Atomenergie
„Atomkraft ist nicht geeignet, die Klimakrise zu bekämpfen. Wir werden den Atomausstieg in Deutschland vollenden. (…) Unser Ziel ist es, die Atomfabriken in Gronau und Lingen schnellstmöglich zu schließen. Der Betrieb des Forschungsreaktors Garching mit hochangereichertem Uran gehört beendet. Zum Erbe der Atomenergienutzung gehört die Endlagersuche. Wir bekennen uns zum verabredeten Pfad der Standortsuche mit höchsten Sicherheitsstandards bei größtmöglicher Transparenz und Beteiligung der Bevölkerung. Der Rückbau der bestehenden Atomkraftwerke muss schleunigst und ohne Zeitverzögerung auf höchstem Sicherheitsniveau erfolgen. Auch hier gilt, dass wir mit diesen Altlasten nicht die nachfolgenden Generationen belasten dürfen. Voraussetzung dafür ist eine Zwischen- und Endlagerung von schwach-, mittel- und vor allem von hochradioaktivem Abfall bei höchsten Sicherheitsstandards. Dafür ist ein Gesamtkonzept Voraussetzung. Vor allem die Sicherheit gegen Terroranschläge muss gewährleistet sein, da die Zwischenlager noch lange Zeit benötigt werden. Wir werden dafür sorgen, dass die Lagerung und die Transporte streng überwacht werden. Auch in der EU wollen wir den Einstieg in den Ausstieg vorantreiben. Wir setzen uns für eine Reform von Euratom, gegen die weitere Privilegierung oder neue Förderungen der Atomkraft, und für verbindliche Sicherheitsstandards aller Atomanlagen in Europa ein. So können alte und unsichere Reaktoren an Deutschlands Grenzen schnell vom Netz genommen werden. Einspruchsmöglichkeiten bei Neubau oder Laufzeitverlängerung von Atomanlagen in Europa wollen wir ausschöpfen und aus der gemeinsamen Haftung der Staaten für Atomunfälle aussteigen.“ (S. 28)
Sozialstaat
Die Themen wie „Sicherheitsversprechen“ und „Freiheitsrechte“ (S. 95), „Kindergrundsicherung“ (S. 98), sowie „Kinder vor Gewalt schützen“ (S. 100), „Arbeits- und Datenschutz“ (S. 108), wirksames Vorgehen gegen Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit (S. 108), aber auch „Versorgung psychisch Erkrankter verbessern“ (S. 121) und „verantwortungsvolle Drogen- und Suchtpolitik“ (S. 129) werden in diesem Bereich erwähnt. Man möchte auch Solidarität (S. 95) und soziale Netze (S. 111) sichern.
Drogenpolitik
„Wir wollen einen Wechsel in der Drogenpolitik, der Gesundheits und Jugendschutz sowie die Befähigung zum eigenverantwortlichen Umgang mit Risiken in den Mittelpunkt stellt. Grüne Drogenpolitik beruht auf den vier Säulen Prävention, Hilfe, Schadensminimierung und Regulierung. (…) Auf dem Schwarzmarkt existiert kein Jugend- und Verbraucherschutz. Wer abhängig ist, braucht Hilfe und keine Strafverfolgung. (…) Wir wollen Kommunen ermöglichen Modellprojekte durchzuführen und sie dabei unterstützen, zielgruppenspezifische und niedrigschwellige Angebote in der Drogen- und Suchthilfe auszubauen. Hierzu zählen etwa aufsuchende Sozialarbeit, Substanzanalysen (Drug Checking), Substitutions- und Diamorphinprogramme (auch in Haftanstalten) und Angebote für Wohnsitzlose sowie die bessere Vermittlung in ambulante und stationäre Therapie. (…) Für Drogen soll nicht geworben werden. Das derzeitige Verbot von Cannabis verursacht mehr Probleme, als es löst. Deshalb werden wir dem Schwarzmarkt den Boden entziehen und mit einem Cannabiskontrollgesetz auf der Grundlage eines strikten Jugend- und Verbraucherschutzes einen regulierten Verkauf von Cannabis in lizenzierten Fachgeschäften ermöglichen und klare Regelungen für die Teilnahme am Straßenverkehr einführen. Die Versorgung mit medizinischem Cannabis wollen wir verbessern und die Forschung dazu unterstützen.“ (S. 129)
Innenpolitik
Im Bereich der Innenpolitik werden die Themen wie:
„Wissenschaftsfreiheit verteidigen“ erwähnt (S. 158): „Politisches Handeln in der geistigen Tradition der Aufklärung sowie die Orientierung an den Erkenntnissen der Wissenschaft stehen immer stärker unter Druck, auch in Deutschland. Dem stellen wir uns entgegen und wollen gemeinsam mit den Wissenschaftsorganisationen Strategien gegen menschenfeindliche, diskriminierende und verschwörungsideologische Anfeindungen gegen Wissenschaftler*innen entwickeln.“ Da sich die Grünen aber nicht nur auf Deutschland konzentrieren möchten: „Wir wollen weltweit verfolgte Wissenschaftler*innen und Studierende hier in Deutschland und auf EU-Ebene besser schützen und ihnen im Exil eine Perspektive bieten.“
In diesem Abschnitt werden zahlreiche kriminologisch relevante Aspekte insbesondere im Kontext von vorurteilsbezogener Kriminalität (Hate Crime) angesprochen:
- Justiz entlasten und digitalisieren (S. 167)
- Konsequent gegen Rassismus (S. 161, 170)
- Stärkung und Sicherheit für Jüdinnen und Juden in Deutschland (S. 171)
- Muslim*innen schützen und stärken (S. 172)
- Antiziganismus entschlossen bekämpfen (S. 173)
- eine transparente Politik (S. 175)
- stärkere Kontrolle von Lobbyismus (S. 175f.)
- Jugendwahlrecht (S. 178)
- Hasskriminalität im Netz bekämpfen (S. 180)
- Gestaltung der vielfältigen Einwanderungsgesellschaft (S. 183)
- Geschlechtsspezifische Gewalt bekämpfen (S. 188)
- Queerfeindlichkeit bekämpfen (S. 192).
Innere Sicherheit
In diesem Bereich wird u.a. eine besondere Aufgabe der Polizei übertragen. Die wichtigste Themen sind:
- Sicherheit für alle und eine gut ausgestattete und bürger*innennahe Polizei (Im Abschnitt: Wir stärken
- Sicherheit und Bürger*innenrechte, S. 193)
- Die besondere Verantwortung der Polizei (S. 194)
- Europäisches Kriminalamt schaffen, organisierte Kriminalität verfolgen (S. 195)
- Verfassungsschutz neu ordnen (S. 196)
- Rechtsextremismus bekämpfen, Netzwerke zerschlagen (S. 196)
- Vor Terrorismus schützen (S. 197)
- Mehr Sicherheit durch weniger Waffen (S. 198)
- Schutz für Whistleblower*innen (S. 199)
- Konsequent gegen Korruption (S. 201)
- Kinderschutz vor Gericht verbessern (S. 202)
- häusliche Gewalt (S. 202)
Zum Thema Strafverfolgung insbesondere auch in Hinblick auf technische Überwachungsmaßnahmen heißt es:
„Ein funktionierender, demokratischer Rechtsstaat muss Sicherheit gewährleisten und die ihn konstituierenden Freiheitsrechte wahren. Wir stehen für eine rationale Sicherheits- und Kriminalpolitik, die Rechtsgüter vor realen Beeinträchtigungen schützt, konkrete Gefahren anlassbezogen und zielgerichtet abwehrt sowie eine verhältnismäßige Strafverfolgung gewährleistet, statt die Bevölkerung mit pauschaler Massenüberwachung unter Generalverdacht zu stellen. Sicherheitsgesetze müssen auf den Prüfstand, zukünftig auf valider Empirie beruhen und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit regelmäßig unabhängig evaluiert werden. Wir stellen dazu eine Überwachungsgesamtrechnung auf, die laufend fortgeführt wird. Den Einsatz biometrischer Identifizierung im öffentlichen Raum, wie beispielsweise Gesichtserkennung, lehnen wir ebenso wie die undifferenzierte Ausweitung der Videoüberwachung, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, generelle Hintertüren in digitalen Geräten und Anwendungen oder das Infiltrieren von technischen Geräten (Online-Durchsuchung bzw. Quellen-TKÜ) ab. Zudem soll eine Verpflichtung eingeführt werden, Sicherheitslücken zu melden und aktiv auf ihre Behebung hinzuwirken. Unternehmen dürfen nicht dazu verpflichtet werden, die IT-Sicherheit und Netzintegrität auf Kosten der Allgemeinheit zu gefährden. Wir streiten für eine technisch und personell gut ausgestattete und zielgerichtete Polizeiarbeit auf klaren Rechtsgrundlagen. Damit stärken wir auch die Rechtssicherheit für die Arbeit der Behörden und schaffen Vertrauen. Die digitale Kompetenz in den Sicherheitsbehörden wollen wir stärken, damit bestehende Möglichkeiten zur Verbrechensverhütung und -aufklärung effektiv angewendet werden.“ (S. 200)
Europapolitik / Demokratie
Die Grünen möchten u.a. die Zukunft der EU demokratisch gestalten (S. 211), Europäisches Parlament stärken (S. 212), Einflussnahme auf EU-Gesetzgebung transparent machen (S. 214), Europäische Grundrechte einklagbar machen („Europäische Staatsanwaltschaft“, S. 214, 215). „Wir sehen Deutschland in einer zentralen und historischen Verantwortung für den Zusammenhalt und die Fortentwicklung der EU.“ (S. 211)
Außen- und Sicherheitspolitik
„Die Europäische Union braucht mehr Handlungsfähigkeit, um auf Augenhöhe mit den heutigen Herausforderungen voranzukommen. Blockaden durch einzelne Staaten in Bereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik und in Steuerfragen oder auch bei Energie und Sozialem können wir uns nicht länger leisten. Solange nationale Einzelinteressen das europäische Gemeinwohl ausbremsen können, wird die EU keine aktivere Rolle, etwa für mehr Steuergerechtigkeit oder mehr Verantwortung für Demokratie und Menschenrechte in der Welt, übernehmen können. Darum setzen wir uns dafür ein, für alle verbleibenden Politikbereiche, in denen heute noch im Einstimmigkeitsprinzip entschieden wird, Mehrheitsentscheidungen in Mitentscheidung des Europäischen Parlaments einzuführen. Das ist auch deshalb wichtig, um bei weiteren Erweiterungsrunden der EU deren Handlungsfähigkeit zu sichern. Unser Ziel ist es, die europäischen Institutionen zu einem Zweikammersystem weiterzuentwickeln.“ (S. 213)
Internationale Zusammenarbeit (Kap. 6)
„Ausgangspunkt unserer Politik ist eine gestärkte, krisenfeste und handlungsfähige Europäische Union. Die Werte, auf denen sie gründet, wollen wir nach innen verteidigen und nach außen beherzt vertreten: Menschenrechte, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Die EU als Friedensmacht ist nicht nur Antwort auf eine lange und schmerzvolle Geschichte von Kriegen und Feindseligkeiten auf unserem Kontinent, exportiert in die ganze Welt, sondern vor allem ein Zukunftsversprechen, das es einzulösen gilt.“ (S. 217)
In der Internationalen Zusammenarbeit setzen sich die Grünen für „eine kooperative Politik“ (217) ein, für universale Menschenrechte (218 ff) und internationale Beziehungen, indem sie „Spaltung und antidemokratischen Bestrebungen innerhalb Europas entgegen/zu/treten“ (S. 218).
„Wir setzen auf den ehrlichen Interessenausgleich, auf eine feministische Außenpolitik, die Achtung der Rechte marginalisierter Gruppen, auf Zusammenarbeit und Rechtsstaatlichkeit, auf Gewaltfreiheit und koordinierte Krisenprävention und regelbasierte sowie vorrangig zivile Konfliktbearbeitung in einer eng vernetzten Welt. Unser Ziel ist eine Weltordnung, in der Konflikte nicht über das Recht des Stärkeren, sondern am Verhandlungstisch gelöst werden. Und wir reichen allen die Hand, die daran teilhaben wollen. Wir richten unsere Politik postkolonial und antirassistisch aus, im Wissen um Deutschlands Verantwortung in der Welt und im Bewusstsein um die Verbrechen des Nationalsozialismus“ (S. 219)
Fazit
Im Wahlprogramm von Bündnis 90/ Die Grünen werden zahlreiche kriminologisch relevante Themen angesprochen. Viele Positionen finden sich in vergleichbarer Art auch in den Wahlprogrammen anderer Parteien wieder. Die Grünen können sich jedoch profilieren mit einer klaren, konkreten Haltung hinsichtlich der Drogenpolitik, der Netzpolitik und der Begrenzung des Einsatzes technischer Überwachungsmaßnahmen. Auffällig ist zudem der Fokus auf den Schutz von Menschenrechten – sowohl in Europa, als auch auf der ganzen Welt. Dies zeigt sich z.B. an der Forderung einer humanen Flüchtlingspolitik, aber auch dem Bestreben eine Außenpolitik gestalten zu wollen, die „gute[.] Beziehungen in einer multipolaren Welt“ (S. 228) fördert.
Johannes Feest schreibt
Die Grünen haben tatsächlich einige sehr gute Vorschläge zur Kriminalpolitik in ihrem Wahlprogramm. Umso mehr erstaunt das komplette Schweigen zum Strafvollzug.