In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Büchern aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie. Weitere Rezensionen finden sich hier.
Titel: | Drug Use for Grown-Ups. Chasing Liberty in the Land of Fear | |
Autor: | Carl L. Hart | |
Jahr: | 2021 | |
Verlag: | Penguin Press | |
ISBN: | 9781101981641 |
Die deutsche Wikipedia kennt keinen Carl Hart (* 1966). In der englischen sieht man ihn aber, den immer noch jugendlich wirkenden Afro-Amerikaner mit den langen Dreadlocks, der schon aufgrund seiner Hautfarbe und Frisur ein bisschen aussieht wie ein – Verzeihung – Drogenkonsument.
Und das ist er auch, wie so viele Millionen. Das Besondere an ihm ist aber etwas Anderes. Nämlich erstens seine Haltung und zweitens sein Status. Da ist die verblüffende Offenheit, mit der er über seinen eigenen Konsum spricht – und zwar ausgerechnet von Heroin, PCP und dem offenbar besonders angenehmen 6-APB (merken!). Und da ist dann die nahezu unglaubliche Tatsache, dass es sich nicht etwa um die Lebensbeichte eines entlassenen Strafgefangenen handelt, sondern um das Buch eines leidenschaftlichen Vaters, wahrscheinlich mindestens good enough Ehemannes und vor allem eines weltbekannten und renommierten Neurowissenschaftlers, des übrigens ersten afro-amerikanischen tenured professor in den Naturwissenschaften an der New Yorker Columbia University in der Geschichte dieser zweifellos elitären Bildungsanstalt.
Im Laufe seiner Forschungen fielen ihm nach und nach die Irrtümer der herrschenden Lehre auf. Inzwischen ist er nicht nur von der Vorstellung von addiction as a brain disease weit abgekommen (was er überzeugend darzustellen weiß), sondern scheut auch nicht vor einer Problematisierung des Hypes um harm reduction zurück. Die Argumente, die er anführt, sind ebenso faszinierend wie nachvollziehbar und überzeugend. Das wird nicht überall auf Beifall stoßen. Vor allem dort nicht, wo man wie in der Drogenhilfe davon lebt, in jeder neuen Droge (wie seit einiger Zeit in Methamphetaminen) oder sogar schon im erhöhten THC-Gehalt neuerer Cannabissorten eine noch nie dagewesene Gefahr zu wittern. Auch diesen ermüdenden Skandalisierungsdiskurs weiß der Autor zu demystifizieren – in diesem Punkt übrigens ähnlich wie einst Edward M. Brecher in seinem epochalen Werk über Licit and illicit drugs. Das Buch war 1972 erschienen und hatte mich aus meiner anfänglichen Haltung („weiche Drogen tolerierbar, harte auf keinen Fall; Konsumenten brauchen Hilfe, Dealer brauchen Strafe“) befreit und Jahre später zu meinen eigenen Aktivitäten mit dem niederländischen Junkiebond und anderen Basisinitiativen geführt. Also zu Initiativen, denen es nicht um Abstinenz und Resozialisierung, sondern um die Respektierung eigenverantwortlicher Konsumentscheidungen als Menschenrecht ging.
Der Appell von Carl Hart an die Menschen, die er als „Erwachsene“ anspricht, lautet: entschließt euch endlich zum Coming Out, um endlich das Vorurteil zu Fall zu bringen, dass Drogenkonsum eine Sache der misfits und der dope fiends ist. Kämpft um eure Rechte wie es die Schwulen tun. Kommt raus aus dem Schrank, in dem ihr euch versteckt haltet. Come out of the closet.
Ohne das Recht auf Drogenkonsum, so dieser mutige Intellektuelle, der weder seine Herkunft aus schwierigsten und gefährlichsten Verhältnissen am Standrand von Miami noch seine Verantwortung als Wissenschaftler verraten möchte, werden die 35 Milliarden Dollar, die das land of fear jedes Jahr im Namen der Drogenbekämpfung für die Aufrüstung der Polizei und den Abbau von Grundrechten ausgibt, nur weiterhin in den strukturellen Rassismus dieser einstigen Sklavenhaltergesellschaft fließen. Unser aller Grundrechte wären nur halb so viel wert. Und die berühmte amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit ihrer Garantie von life, liberty, and the pursuit of happiness, so der von Hart zitierte Terence McKenna, nicht einmal das Hanfpapier, auf dem man sie einst geschrieben hatte.
Einen kurzen Auszug aus dem Buch kann man hier hören:
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