In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Bücher aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie.
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Titel: | Heroin and Music in New York City | |
Autor: | Barry Spunt | |
Jahr: | 2014 | |
Verlag: | Palgrave Macmillan | |
ISBN: | 978-1137308566 |
Der Ausspruch „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“, der auf ein gleichnamiges Lied von Ian Dury (1977) zurückgeht, zeugt von der weit verbreiteten Ansicht, nach der Drogen und Musik eine quasi symbiotische Beziehung zueinander einnehmen. Musiker stellen gemäß dieser Vorstellung permanent unter dem Einfluss von Drogen stehende Vergnügungssüchtige dar.
Barry Spunt, ‚Associate Professor ‚ am John Jay College of Criminal Justice, veröffentlicht mit dem 2014 erschienenen Buch Heroin and Music in New York City die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungsarbeit zum Heroingebrauch von in New York ansässigen Musikerinnen und Musikern. Hierbei stehen die forschungsleitenden Fragen zu den „lived experiences of heroin-using musicians“ (S. 173) im Mittelpunkt: welche Gründe dem erstmaligen, aber auch dem fortgesetzten Heroin-Konsum zugrunde liegen, weshalb Heroin in einigen Subkulturen/ Musikgenres verbreiteter ist als in anderen Genres und schließlich, welche begünstigenden oder einschränkenden Auswirkungen der Droge auf das Schaffen der Künstler, ihre Kreativität und den Verlauf ihrer Karrieren auszumachen sind. Hierzu untersucht der Autor
the subcultural context of music genres and subgenres, particularly the extent to which these subcultures contain values and attitudes that support and encourage heroin use and members organize their identity around heroin and music (S. 17).
Datengrundlage der Arbeit bilden zum einen 69 Interviews, die der Autor mit in New York wohnhaften Musikern geführt hat und zum anderen zahlreiche Zeitungsartikel, Musiker-Biographien und sonstige öffentlich zugängliche Quellen. Dem empirischen Teil des Buches ist eine kurze Einleitung vorangestellt, in der über die Verbreitung von Heroin in New York City und die im Buch betrachteten Musikgenres – die sich ebenfalls in der Gliederung der Arbeit widerspiegeln – berichtet wird.
Spunts Sample setzt sich überwiegend aus Rock- und Jazz-Musikern zusammen, aber auch Interpreten aus den Genres Folk, R&B und Lation/ Caribbean Music sind vertreten (S. 16):
Genre | N | Prozent |
---|---|---|
Rock | 30 | 43% |
Jazz | 19 | 28% |
Folk | 9 | 13% |
R&B | 6 | 9% |
Latin/ Caribbean | 5 | 7% |
Den Genres Rock und R&B sind jeweils zahlreiche weitere Genres wie z.B. Punk, Hardcore oder Doo-Wop und Rap untergeordnet.
Für jedes der benannten Genres (und den jeweils zugeordneten untergeordneten Genres) arbeitet der Autor anhand des Datenmaterials spezifische Motive für den Drogengebrauch heraus. Diese Textpassagen sind äußerst kurzweilig zu lesen und es ist fast schade, dass diesen Ausführungen nicht mehr Platz geschenkt wird. Andererseits wird der Lesefluss durch lange Aufzählungen von aneinandergereihten Zitaten bisweilen gestört. Den Abschluss eines jeden Kapitels bildet die Zusammenfassung der wichtigsten für die jeweilige Subkultur herausgearbeiteten Bedeutungen der Droge Heroin, den Motiven für den Drogengebrauch sowie den positiven wie negativen Erfahrungen und Auswirkungen mit der Droge. Den Abschluss des knapp 245-seitigen Buches bildet ein fünfseitiges Fazit.
Selten habe ich mich so auf die Lektüre eines Buches gefreut, wie auf die des hier vorliegenden. Als langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Institut für Sucht- und Drogenforschung, als Soziologe und Kriminologe, der sich für die Kultur-Soziologie/-Kriminologie begeistert und nicht zuletzt als Musikfan und Plattensammler scheine ich die mit dem Buch anvisierte Zielgruppe geradezu idealtypisch zu vertreten. Nach Abschluss der Lektüre hinterlässt „Heroin and Music in New York City“ bei mir jedoch gemischte Gefühle.
Spunt gelingt es, eine Forschungslücke zu schließen, die bislang lediglich durch die über fünfzig Jahre zurückliegenden Arbeiten von Winick (1959-60; 1961) zum Heroin-Gebrauch in der Jazz-Szene besetzt war. Die ansonsten überschaubare Literatur zum Thema Drogengebrauch und Musik beschäftigt sich mit der Verbreitung von Kokain/ Crack innerhalb von Musikkulturen (vgl. Kemper, 2001; Bogazianos, 2012). Spunts Ausführungen zum Heroin-Gebrauch in der Jazz-Szene stellen m.E. gleichzeitig den stärksten Teil des Buches dar.
Nicht zuletzt durch die große Fallzahl im Bereich des Musikgenres Jazz und die Bedeutung der Droge in der Bebop-Szene der 1950er Jahre gelingt es dem Autoren hier, die gesamtgesellschaftliche Lage der ausschließlich schwarzen Jazz-Musiker und den subkulturell geprägten Vorstellungen über Wirkung und Ansehen der Droge sowie den individuellen Konsumentscheidungen überzeugend zu verknüpfen.
In Bezug auf die anderen Musikgenres fällt der Erkenntnisgewinn aus der akribischen und langjährigen Forschungsarbeit spärlicher aus. Die individuellen Konsum-Motive der Musiker (z.B. Umgang mit Ruhm, Überwindung von Lampenfieber, zum ‚Runterkommen‘ nach einem Auftritt, Verarbeitung von Konflikten innerhalb der Band usw.) sind zum einen individuell zu verschieden, als dass überzeugend ein Motiv mit subkulturübergreifender Gültigkeit herausgearbeitet werden könnte und zum anderen sind viele der benannten Motive ‚beliebig‘ und könnten ebenso für andere Berufsgruppen und Subkulturen Gültigkeit für sich beanspruchen. Hier scheint vielmehr der gesamtgesellschaftliche Diskurs zur Droge Heroin die genrespezifischen Ansichten zu überlagern. D.h., Musikgenres, die sich zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Ende der 1970er/ Anfang der 1980er Jahre entwickelt haben bzw. sich einer besonders großen Popularität erfreuten (z.B. Rock und seine zahlreichen Spielarten wie Punk, Hardcore etc.) weisen mehr Heroin konsumierende Musiker auf, als jüngere Genres oder den Musikgenres lateinamerikanischer Herkunft, in deren kulturellen Umfeld die Droge Kokain einen prominenten Stellenwert besitzt. So konnte Spunt z.B. keinen einzigen Heroin-Konsumenten im Genre Hip Hop/ Rap ausfindig machen. Die Hip Hop Subkultur weist indes vielschichtigen Bezüge zur Droge Crack / Kokain auf, wie sie ausführlich von Bogazianos (2012) beschrieben worden sind.
Als Gesamtfazit der Studie „Heroin and Music in New York City“ kann festgehalten werden, dass sich nur eine kleine Anzahl von Musikern, einen positiven Effekt des Heroinkonsums auf ihr kreatives Schaffen verspricht. Andere benannte Konsum-Motive sind vielfältig und individuell verschieden. Des weiteren überwiegen in den Schilderungen der Heroin konsumierenden Musikern eindeutig die negativen Auswirkungen des Drogengebrauchs auf die Karriereverläufe (versäumte Auftritte und Proben, Karrierebrüche infolge von Inhaftierungen oder dem Ausbleiben von Engagements, da Konzertveranstalter Ausfälle befürchten). Die Konsumentscheidung als solche wird oft durch den einfachen Zugang zur illegalen Substanz innerhalb der Subkulturen befördert. Diesbezüglich ist die von Spunt vorgelegte Arbeit hervorzuheben, als eines von wenigen Beispielen in der Drogenforschung, das sich – fernab der weit verbreiteten Ansicht, alle Heroinkonsumenten seien ‚Junkies‘ – dem Thema Drogengebrauch von (überwiegend) sozial integrierten Konsumenten widmet.
Insgesamt handelt es sich bei dem hier vorliegenden Buch um eine interessante, gut zu lesende Lektüre, die ich sowohl einem an Subkultur-/ Drogenforschung interessierten Fachpublikum als auch allen kulturwissenschaftlich Interessierten und Musikfans empfehlen kann.
Referenzen
- Bogazianos, D. A. (2012). 5 Grams. Crack Cocaine, Rap Music and the War on Drugs. New York: New York University Press
- Kemper,W.-R. (2001). Kokain in der Musik: Bestandsaufnahme und Analyse aus kriminologischer Sicht. Münster: LIT.
- Winick, C. (1959-1960). The Use of Drugs by Jazz Musicians. Social Problems, 7(3), 240-253.
- Winick, C. (1961). How High the Moon: Jazz and Drugs. The Antioch Review, 21(1), 53-68.