Call for Paper für die Veranstaltung „Kriminologie des Visuellen. Ordnungen des Sehens und der Sichtbarkeit im Kontext von Kriminalitätskontrolle und Sicherheitspolitiken“
Die Tagung wird am 22. und 23. März 2018 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld stattfinden.
Visualisierungen gelten als ein Hinweis auf Relevanz. Erst wenn etwas sichtbar gemacht wird, kann man sich davon „ein Bild machen“, es einordnen, deuten und bewerten. Und umgekehrt: Über die Deutung und Bewertung eines diskursiven Phänomens werden Sichtbarkeiten produziert und damit Bilder erzeugt, die weiterwirken, neue Sinn- und Ordnungsangebote machen. Nicht ohne Grund wird von der „Macht der Bilder“ gesprochen. Dies gilt auch für die Thematisierung von Kriminalität und ihrer Kontrolle wie Beispiele spätestens seit dem 19. Jahrhundert zeigen: von der Rolle der Fotografie bei Bertillons Identifizierungssystem der ‚Verbrecherkartierung’ oder den Zeichnungen der geborenen Verbrecher und Verbrecherinnen bei Lombroso, über die Grafiken klassischer Theorien abweichenden Verhaltens, ihre Kurvenbilder und Infographiken bis zu den modernen Kartierungen städtischer Problemgebiete, den digital erzeugten Hirnbildern, die die vermeintlich abweichenden Areale unserer Gedanken farblich aufzuzeigen versuchen, den Videobildern aus Überwachungskontexten und den Amateuraufnahmen von Gewalt im Internet. Visualität, Visualisierung und Sichtbarkeit berühren Kernthemen kriminologischer Aushandlungen.
Bei der Tagung „Kriminologie des Visuellen“ geht es um Bilder der Kriminalität und der Kontrolle in einem doppelten Sinne: Einerseits beanspruchen Bilder die Realität so wiederzugeben wie sie tatsächlich ist. Mit ihnen wird auch innerhalb der kriminologischen Wissensproduktion ein Wahrheitsanspruch verbunden, der sie nicht nur geeignet macht als Beweis, sondern auch als eigentlicher Träger von Sinn und Evidenz zu wirken. Andererseits zielen Bilder als Repräsentationen auf eine exemplarische Verdeutlichung. Sie sind das Ergebnis einer selektiven Sichtbarmachung und einer produktiven Komposition, über die sie einen sozialen Sinn von dem erzeugen, was Kriminalität und Kriminalitätskontrolle sein und was oder wer als Gefahr wahrgenommen werden soll. Visualisierungen stecken Normalität ab, sie produzieren aber auch Feindbilder genauso wie Identifizierungen sowie affektive und moralische Überzeugungen.
Trotz dieser Allgegenwart von Visualität und ihres Einflusses auf Wissensproduktion wie auf Kontrollpraktiken kommt eine intensivere Auseinandersetzung innerhalb der Kriminologie erst spät und nur langsam in Gang. Dabei sind die sich aufdrängenden Fragen mannigfaltig: Wie, wann und zu welchem Zweck werden Bilder und andere Formen der Visualisierung produziert und wie ändert sich dies im Zeitverlauf? Welche Rolle spielt dabei die Entwicklung von Visualisierungstechnologien? Welche Effekte haben die Visualität und Visualisierung in der kriminal- und sicherheitspolitischen Praxis, bei ihrer gesellschaftlichen Kontrolle und in der Wissensproduktion?
Die Tagung will theoretische Ansätze und empirische Fallbeispiele der Kriminologie bündeln und für einen nachhaltigen, historisch informierten Debatten-Stimulus sorgen. Drei Themenfelder stehen dabei im Mittelpunkt:
(1) Die Produktion gesellschaftlicher Bilder der Kriminalität und Kontrolle in Öffentlichkeit und Medien
Bilder der Bedrohung von Ordnung und Sicherheit prägen nicht nur gesellschaftliche Diskurse über Kriminal- und Sicherheitspolitiken, sie sind zugleich auch ein mögliches Mittel der Entwicklung von Gegendiskursen über z.B. Menschenrechtsverletzungen (etwa die Bilder aus dem Abu-Ghuraib-Gefängnis, Guantanamo, Amateurvideos von Polizeigewalt). In welcher Weise werden Kriminalitäts- und Sicherheitsdiskurse durch Visualisierungen geprägt und vice versa? Lässt sich ein Wandel von „Bildern des Bösen“ nachzeichnen und erklären? Welche Kommunikationsformen werden durch visuelle Aussagen bestimmt und wie erfasst oder bearbeitet die Kriminologie diese Aussagen (z.B. im Bereich der Sozialen Medien)? Wie werden kriminologische Inhalte von visuellen Medien aufgegriffen und weiterbearbeitet? Auch ist grundlegend zu fragen, wie die Ausübung von (staatlicher, ökonomischer etc.) Macht über visuelle Repräsentationen legitimiert und befördert oder eventuell auch kontrolliert wird. Welcher Bedeutung kommen unterschiedlichen Genres der Visualisierung zu und lassen sich z.B. Beziehungen zwischen fiktionalen Problematisierungen von Kriminalität (Spielfilme, Serien, künstlerische Produktionen) und Sicherheitsbedrohungen nachzeichnen? Inwiefern werden Visualisierungen von Leiden instrumentalisiert und welche Bedeutung kommt ihnen in Prozessen der Skandalisierung zu? Wie können Visualisierungen genutzt werden, um gesellschaftliche Kritik an staatlicher Kontrolle zu stärken?
(2) Technologien der Visualisierung in Kriminalitätskontrolle und Sicherheitsproduktion
Polizeiliche Kontrollstrategien stützen sich seit langem auf Technologien der Visualisierung. Dabei geht es nicht nur um Erkenntnisproduktion und Beweissicherung (z.B. Identifizierungstechnologien, Fahndungsfotos, Videobeweis, Body Cams), sondern auch um Überwachung und die Organisierung präventiven Handelns (z.B. Predictive Policing, Geo- Policing, Mapping oder Countermapping, Plakat-Kampagnen der Prävention). Welche Rolle spielen die Visualität und ihre Wandlungen in kriminologisch relevanten Praxisfeldern? Welche neuen Priorisierungen sind durch den Rückgriff auf visuelle Medien und Technologien zu erkennen? Erfährt die polizeiliche Kontrolle eine neue Art der Legitimation durch den objektivierenden visuellen Zugriff? Was wird konkret von wem und warum sichtbar gemacht? Was oder wer bleibt unsichtbar? Welche ‚Affekte’ lassen sich durch den Einsatz visuell gestützter Strafverfolgungsmaßnahmen oder erkennungsdienstlicher Methoden auf die unterschiedlichen Beteiligten beobachten bzw. generieren?
(3) Visuelle kriminologische Wissensproduktion
Die Kriminologie als wissenschaftliche Erkenntnisproduktion setzt ebenfalls Visualisierungen als Mittel der Inszenierung von Relevanz ein. Wie nutzt die Kriminologie selbst visuelle Medien zum Wissenstransfer? Gibt es eine Relevanzverschiebung hin zum Visuellen innerhalb der Kriminologie und verändert sich kriminologisches Wissen durch die genutzten Visualisierungstechnologien (digitale Bilder, algorithmische Visualisierung) und deren Wandel? Wie haben sich „Ordnungen der Sichtbarkeit“ historisch verändert? Welche Rationalitäten der Sichtbarmachung lassen sich heute herausarbeiten? Wie stehen wissenschaftliche und öffentliche Sichtbarkeit und Sichtbarmachung zueinander? Nicht zuletzt stehen auf dieser Ebene empirisch methodische Fragen der Analyse visueller Medien und Kommunikationen in der Kriminologie zur Debatte (z.B. über Photoelicitation, visuelle Diskursanalysen, Arts Informed Research).
Das Thema der Tagung ist bewusst breit und interdisziplinär angelegt. Es soll alle diejenigen ermutigen, eine einseitige Zusammenfassung für einen Vortrag einzureichen, die zu Visualität und Visualisierung arbeiten und Interesse haben, diese Aspekte mit Blick auf die Kriminologie zu reflektieren. Dabei erhoffen wir uns gleichermaßen theoretische und methodische Reflexionen wie auch historisch und empirisch angelegte Arbeiten.
Ein Teil der Tagung und der Arbeitsgruppen wird in englischer Sprache durchgeführt. Von daher ist explizit erwünscht (aber nicht Voraussetzung), Vortragabstracts auf Englisch einzureichen bzw. die Vorträge möglicherweise auf Englisch zu halten.
Die Tagung wird organisiert von Axel Groenemeyer, Bettina Paul, Bernd Dollinger, Birgit Menzel, Dorothea Rzepka, Henning Schmidt-Semisch und Klaus Weinhauer.
Einseitige Zusammenfassungen mit Titel für Vorträge auf der Tagung bitte bis zum 20. Januar 2017 an:
Axel Groenemeyer [axel.groenemeyer@tu-dortmund.de] und Bettina Paul [bettina.paul@uni-hamburg.de]
Der CfP steht hier als PDF zur Verfügung.