”KnastMedien – Medien im Gefängnis – Gefängnis in den Medien.” Unter diesem Titel haben Studierende der Universität Siegen aus dem Master Medienkultur ein Jahr lang (April 2011 bis März 2012) unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Regener geforscht. Die Studierenden konnten Ihre Feldstudien in der neuen JVA Attendorn, dem ehemaligen Siegener Gefängnis sowie mit verschiedenen Archiven durchführen.
Zwei der kulturwissenschaftlichen Forschungsarbeiten zum Thema Knast stehen auf der Homepage des Lehrstuhls für Visuelle Kultur und Mediengeschichte in Form von Forschungsberichten zum Download zur Verfügung.
Die Arbeiten vermitteln einen schönen Einblick aus der eher ungewöhnlichen Perspektive der Cultural Studies bzw. der Visual Criminology auf das für die Kriminologie eher gewöhnliche Thema „Strafvollzug“.
Abstracts
Zellen und Raum.
Wie Inhaftierte individuelle Freiräume konstruieren.
von: Brock, Tanja/Häsler, Leonie/Müller, Elisabeth/Seiler, Oliver (2012): Zellen und Raum. Wie Inhaftierte individuelle Freiräume konstruieren, Forschungsbericht.
URN: urn:nbn:de:hbz:467?6117
URL: http://dokumentix.ub.uni-siegen.de/opus/volltexte/2012/611/
Ausgangspunkt unserer Forschung ist das Macht- und Spannungsverhältnis zwischen der Institution Gefängnis einerseits und dem inhaftierten Individuum andererseits. In Anlehnung an den Philosophen Michel Foucault verstehen wir Gefängnis als Institution, die die Insassen permanent überwacht, kontrolliert und diszipliniert. Uns interessiert, wie das inhaftierte Individuum mit den Einschränkungen im reglementierten Haftalltag konkret umgeht.
Eine erste These lautet, dass der Gefangene auf diesen Autonomieverlust mit der Herstellung individueller Freiräume reagiert. Die Konstruktionsprozesse solcher Freiräume sind gemäß der Cultural Studies als bedeutungsstiftende, kulturelle Praktiken im Alltag zu lesen. Diese können materieller sowie symbolischer Art sein und werden durch aktives Handeln individuell und kreativ in einem Geflecht aus Raum, Zeit und körperlichem Einsatz in Form von Artefakten, Ritualen und Gestaltungsformen verschiedener Art konstruiert.Im Zentrum unserer Forschung steht der bewohnte Haftraum, der mehrere Lebensbereiche vereint und durch die Insassen ausschließlich in einem von der Justizvollzugsanstalt vorgegebenen Rahmen ausgestaltet werden darf. Es stellen sich folgende Fragen: Welche legalen Freiräume werden in Hafträumen von den Gefangenen konstruiert, was wird individuell entwickelt und gebastelt? Wie werden die erzeugten Freiräume von dem Individuum erlebt? Welche Bedeutungen können die Insassen aus diesen Freiräumen gewinnen?
Unser methodisch-empirischer Zugriff ist die Photo-Elicitation: Zwei Gefangene der Justizvollzugsanstalt Attendorn haben sich für fotobasierte Interviews bereit erklärt. Bei diesem Vorgehen fotografieren wir in einem ersten Schritt die Zellen der partizipierenden Insassen mit dem Fokus auf die sichtbaren bzw. dokumentierbaren, individuell geschaffenen Freiräume. Die in dem darauf folgenden Schritt angesetzten Interviews werden auf Grundlage eines Leitfadens geführt, der neben festgelegten Fragen ausreichend Raum für freie und spontane Assoziationen bietet. Als Stimulus für die Befragungen dienen die von uns aufgenommenen Fotografien, die in der Justizvollzugsanstalt angefertigt wurden. Das daraus gewonnene Datenmaterial wird qualitativ unter Einbezug des Raumbegriffs der Soziologin Martina Löw ausgewertet.
Ziel der Forschung ist eine kulturwissenschaftliche Analyse der individuell erzeugten Freiräume der Gefangenen hinsichtlich ihrer Bedeutungen sowie deren zugrunde liegenden Konstruktionspraktiken im Alltag.
Frauen im Gefängnis.
Zu Bildern der kriminellen Frau am Beispiel von Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen (1920–1950)
von: Henkenjohann, Meike/Herrmann, Sarah (2012): Frauen im Gefängnis. Zu Bildern der kriminellen Frau am Beispiel von Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen (1920–1950). Forschungsbericht, in: www.mediengeschichte.uni-siegen.de.
Im Rahmen des zweisemestrigen, studentischen Forschungsprojektes „KnastMedien – Gefängnis in Medien und Medien im Gefängnis“ widmeten sich Studierende des Masterstudiengangs Medienkultur der Geschichte des Siegener Gefängnisses, das bis Ende Dezember 2010 im Unteren Schloss der Stadt Siegen beheimatet war. Ausgehend von den mittlerweile unbewohnten Räumlichkeiten des ehemaligen Gefängnistraktes, von der Siegener Bevölkerung kaum wahrgenommen, setzten wir Studierenden uns in themenspezifischen Forschungsgruppen (Zelle, Gefängniszeitung, mediale Images) mit der Medialisierung der Institution Gefängnis und der Bedeutung medialer Praktiken innerhalb von Gefängnissen auseinander. Unsere Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit der innerhalb der Gesellschaft nur marginal wahrgenommenen Thematik „weiblicher Kriminalität“ aus kulturanthropologischer Perspektive.
Bilder über die kriminelle Frau begleiten seit dem 19. Jahrhundert den wissenschaftlichen Kriminalitätsdiskurs, der sowohl Ausdruck kultureller Geschlechtervorstellungen in einer bestimmten Zeit ist, als auch diese Vorstellungen mitprägt. So wird auch heute noch in der Kriminologie der Begriff Frauenkriminalität benutzt, während niemand vergleichbar von Männerkriminalität spricht. Die straffällig gewordene Frau wird als Abweichung von der ohnehin als anormal geltenden Kriminalität bezeichnet.
Der Fokus unserer Forschung liegt auf einer kritischen Betrachtung der Interdependenzen der Kategorien Normalität und Kriminalität unter besonderer Berücksichtigung ihrer geschlechtsspezifischen Ausprägung. Anhand exemplarisch ausgewählter archivalischer Quellen befragen wir Kriminalisierungsprozesse von Frauen nach deren Vorstellungen von Normalität. Der vorliegende Forschungsbericht ist das Ergebnis unserer kulturhistorischen Untersuchung geschlechtsspezifischer Bilder über die kriminelle Frau am Beispiel ausgewählter Frauenabteilungen von Justizvollzugsanstalten in Südwestfalen im Zeitraum von 1920 bis 1950.