Open Access könnte die ideale Lösung für die faire Distribution von Wissen sein, wären da nicht die sogenannten Raubtierverlage. Raubtierverlage sind Verlage, die Autoren und Lesern mit unredlichen Mitteln Professionalität und Reputation vortäuschen. Im Zuge der open access Bewegung haben sich die Methoden der Raubtierverlage zu einem florierenden Geschäft entwickelt.
Dieses Geschäftsmodell kann nur deshalb funktionieren, weil der Markt für wissenschaftliche Fachpublikationen durch eine paradoxe Situation gekennzeichnet ist: die Nachfrage danach zu veröffentlichen ist größer, als die Nachfrage nach Veröffentlichungen. Dem Angebot an akademischen Zeitschriftenaufsätzen steht eine viel geringere Nachfrage gegenüber. Auf jeden Aufsatz, der mindestens einmal zitiert wird, kommen neun, die niemals zitiert werden. Die Hälfte aller publizierten Fachartikel wird vermutlich niemals wieder gelesen, nachdem sie durch das Begutachtungsverfahren gegangen sind (Lokman 2007: 32).
Das alleine ist noch nicht paradox, denn es gehört zur Rationalität der Wissenschaft, Erkenntnisse flächendeckend zu generieren; also auch die Ecken auszuleuchten, in denen es gar nichts zu entdecken gibt. Einen Aufsatz zu veröffentlichen, den niemand zur Kenntnis nimmt, mag zwar für den Autoren frustrierend sein; er trägt damit aber trotzdem zum wissenschaftlichen Fortschritt bei, so minimal und „unbedeutend“ dieser Fortschritt auch sein mag. Natürlich bemisst sich der Wert einer wissenschaftlichen Arbeit nicht alleine daran, wie häufig sie zitiert wird; ein Beitrag mag hohe Relevanz haben für Berufszweige und gesellschaftliche Bereiche, in denen viel getan, aber wenig zitiert wird. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass ein guter Teil der veröffentlichten wissenschaftlichen Beiträge bedeutungslos ist.
Paradox erscheint der Markt für wissenschaftliche Publikationen. Wenn der Wissenschaftsbetrieb mehr Wissen produziert, als tatsächlich benötigt wird, dann würde man vermuten, dass sich mit dem Handel wissenschaftlicher Erkenntnis nicht viel Geld verdienen ließe. Tatsache ist jedoch, dass wissenschaftliche Verlage steigende Gewinne durch den Verkauf von Waren erzielen, von denen die meisten wenig oder gar nicht nachgefragt werden. Wie funktioniert das? Verlagsgruppen besitzen mitunter mehrere hundert Zeitschriften aus verschiedenen Fachdisziplinen. Die Produktion dieser Zeitschriften kostet sie wenig, weil sie die Forschung nicht finanzieren müssen, die Autoren der Beiträge i.d.R. kein Honorar erhalten, und die Auswahl und Zusammenstellung der Artikel von unabhängig und unentgeltlich arbeitenden Herausgebern organisiert wird. Verglichen mit den geringen Kosten verlangen die Verlage aber einen hohen Preis für die Zeitschriften und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine bedeutende oder weniger bedeutende Zeitschrift handelt. Wer aber kauft Fachzeitschriften, die kaum einer lesen möchte? In sogenannten „Journal Packages“ poolen die Verlage Zeitschriften mit hoher Relevanz (gemessen z.B. am impact factor) zusammen mit Zeitschriften mit einem geringen (oder gar keinem) impact factor. Das funktioniert also so ähnlich wie bei Collataralized Debt Obligations (CDOs) bei denen Banken aus faulen Krediten Finanzprodukte mit AAA Ratings zaubern. Je größer das Paket an Zeitschriften (und damit auch die Menge an Schrott, der darin enthalten ist), je größer ist der Rabatt, den der Käufer erhält (Beispiel für ein Rabattmodell).
Käufer der Abonnementpakete sind überwiegend Universitäten und Bibliotheken, deren Aufgabe es ist, Forschern möglichst vollständigen Zugang zu dem Wissen bereitzustellen, dass sie selber erschaffen haben. Eine gute Bibliothek kann auf bestimmte Fachzeitschriften schwer verzichten, die sie aber nur, so wie die CDOs, nur in ganzen Paketen zusammen mit weniger attraktiven Zeitschriften von den Verlagsgruppen kaufen kann (oder eben auf den Rabatt verzichten muss). Zwar haben Universitäten eigene Komitees, die die Qualität der verschiedene Abo-Optionen prüfen, aber die Verlage sind geschickt darin, Pakete zu bündeln, auf die eine wissenschaftliche Einrichtung kaum verzichten kann. Verlage mit unverzichtbaren Zeitschriften in ihrem Portfolio können damit nahezu eine Monopolstellung in bestimmten Fachgebieten erreichen, die es ihnen erlaubt, den Preisdruck auf Universitäten und Bibliotheken zu erhöhen.
Trotzdem kann man auf die Arbeit renommierter Verlage nicht verzichten, weil sie eine wichtige Filterfunktion ausüben: Durch die fachgerechte Begutachtung der Artikel sorgen sie dafür, dass kein falsches – und nicht zu viel irrelevantes Wissen in Umlauf gerät. Nicht die Verlage können das entscheiden, sondern nur die Herausgeber der Zeitschriften und die unentgeltlich arbeitenden Gutachter, die sie bestellen. Für den betreffenden Wissenschaftler bedeutet es einen Zugewinn an Reputation und auch an Macht, wenn der Herausgeber einer angesehenen Zeitschrift ihn einlädt, eingereichte Manuskripte zu begutachten. Das Ansehen der Herausgeber und seiner Gutachter wiederum bürgt für die Qualität einer Zeitschrift. Auf diese Weise machen sich die Verlage unverzichtbar und schaffen es Gewinne auf einem Markt abzuschöpfen, der eigentlich gar keiner ist.
Open Access Publishing und die Raubtierverlage
Um die Macht der Verlage in diesem Geschäft zu durchbrechen, hat sich ein neues System zur Veröffentlichungen von wissenschaftlichen Fachartikeln etabliert: Open Access Publishing. Wie der Name vermuten lässt, werden Open Access Publikationen nicht verkauft, sondern sind „offen zugänglich“. Inzwischen ist das Open Access Prinzip soweit verbreitet, dass auch die meisten kommerziellen Verlage den Autoren die Möglichkeit anbieten, entweder traditionell oder Open Access zu publizieren: Auf dem herkömmlichen Weg stellt der Autor dem Verlag unentgeltlich die Rechte an seinem Manuskript zur Verfügung, der Verlag verkauft dann die gepoolten Zeitschriftenpakete und deckt dadurch seine Verlagskosten (Lektorat, Marketing, Personal, etc. ). Im Open Access Verfahren behält der Autor die Rechte an seinem Artikel, erhält aber trotzdem die gleichen Leistungen vom Verlag wie bisher (Fachgutachten, professionelles Lektorat, Drucksatz, Werbung). Dafür muss er allerdings die Kosten tragen, die dem Verlag für diese Leistung entstehen, weil dieser den Artikel ja unentgeltlich zur Verfügung stellt und an diesem Ende keinen Gewinn mehr erzielen kann. Die Filterfunktion der Verlage bleibt also auch beim Open Access Publishing erhalten. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass die Verlage an jedem Artikel nur noch einmal verdienen können anstatt, wie bisher, ihre Zeitschriftenpakete zu beinahe jedem beliebigen Preis an jede Bibliothek und Universität einzeln zu verkaufen.
Open Access ist daher an sich eine sehr begrüßenswerte Entwicklung, weil es den Vertrieb wissenschaftlicher Fachzeitschriften fairer und effektiver gestalten könnte: Forscher beschreiben ihre Resultate und schicken sie an Fachzeitschriften, die Verlage selektieren und bürgen mit Hilfe der Fachgutachter für die Qualität ihrer Zeitschriften und der darin erscheinen Artikel, und machen sie für die Öffentlichkeit uneingeschränkt zugänglich. Dadurch wird gewährleistet, dass weiterhin nicht nur diejenige wissenschaftliche Erkenntnis veröffentlicht wird, die dem Verleger einen kommerziellen Gewinn verspricht (sprich Zeitschriften mit hohem impact factor und/oder hohem „tier“ level), sondern es werden der wissenschaftlichen Gemeinschaft auch Resultate aus abseitigen Fachgebieten zugänglich gemacht, sofern sie denn den wissenschaftlichen Ansprüchen der jeweiligen Disziplin genügen.
Die Sache hat nur einen Haken und das sind die Raubtierverlage. Raubtierverlage machen sich zu Nutze, dass durch open access publishing erstmals an einer Stelle im Markt Geld abgeschöpft werden kann, wo vorher kein Geld verdient werden konnte, nämlich bei den Autoren. Dies ist ein lohnendes Geschäft, weil, wie bereits beschrieben, die Nachfrage danach zu veröffentlichen größer ist als die Nachfrage nach den Veröffentlichungen selbst. Während die etablierten Verlage mit Hinblick auf ihren Ruf als seriöser Anbieter von wissenschaftlichen Texten und mit Hilfe der Herausgeber und der Fachgutachten die Anzahl der Möglichkeiten zur Veröffentlichungen weiterhin verknappen, tun die Raubtierverlage nun genau das Gegenteil. Sie befriedigen die Nachfrage zu Veröffentlichen, weil sich dadurch nun erstmals Geld verdienen lässt und zwar unabhängig vom erzielten Absatz der tendenziell irrelevanten Artikel. Open access hat aus einem Oligopson (wenigen Nachfragern stehen viele Anbieter gegenüber) einen Markt gemacht, bei dem die ehemaligen Anbieter (Autoren) selbst zu Nachfragern werden.
Dabei machen sich die Raubtierverlage die verzweifelte Situation einiger Wissenschaftler zu Nutze, die unter großem Druck stehen, etwas zu veröffentlichen: „publish or perish“ (zu Deutsch: Veröffentliche oder gehe unter). Durch die steigende Zahl von Studienabschlüssen und Promotionen wird die Konkurrenz um die Autorenschaft von Artikeln in renommierten Zeitschriften stärker. Die Raubtierverlage bieten also für manche Autoren eine willkommene Gelegenheit, einen Artikel zu veröffentlichen, der von renommierten Zeitschriften abgelehnt wurde.
Was aber unterscheidet ein Raubtierverlag von einem herkömmlichen Verlag? Hohe Publikationskosten alleine machen den Unterschied nicht aus, denn diese können auch bei den traditionellen Verlagen sehr hoch ausfallen (Springer’s Open Choice Programm kostet den Autoren EUR 2200,- pro Artikel zuzüglich Mehrwertsteuer; selbst viele Raubtierverlage sind da günstiger). Raubtierverlage zeichnen sich durch die Kombination einer Reihe von Merkmalen aus, die der Raubtierjäger Jeffrey Beal anhand von 48 Indikatoren auf Homepage zusammengestellt hat. Unumstritten ist die sogenannte Beal’s list allerdings nicht, denn einige der 450 dort gelisteten Verlage fühlen sich zu Unrecht als Raubtierverlag stigmatisiert. Beal’s akribische Nachforschungen haben mittlerweile so große Bedeutung erlangt, dass im März diesen Jahres ein Beitrag unter dem Titel „The dark side of publishing“ in der Mutter aller wissenschaftlichen Fachzeitschriften erschienen ist, in der Nature.
Darin wird unter anderem angemerkt, dass nicht jeder unprofessionell anmutende Verlag gleich ein Raubtierverlag sein muss. Jede Zeitschrift hat einmal mit der ersten Ausgabe begonnen und konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf eine Reihe bahnbrechender Artikel zurückweisen, die in ihr veröffentlicht wurde. Unbedeutende Zeitschriften bedeuten zudem eine Chance für Nachwuchswissenschaftler, weil in einigen Fachbereichen etablierte Wissenschaftlern bei der Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse bevorzugt werden. In dieser Hinsicht sind die Raubtierverlage neutraler bei der Wahl ihrer Beute.
Gracce schreibt
Toller Artikel! Vor allem den Vergleich zu den CDOs finde ich sehr gelungen.