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Wien-Frankfurter Kommentar zur geplanten Einstellung des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie, Universität Hamburg, Fachbereich Sozialwissenschaften

Am 16. Februar 2022 gepostet von Christian Wickert

Februar 2022

Kriminologie als wissenschaftliche Disziplin hat es in ihrem vielfältig von Institutionen sozialer Kontrolle und moralisch legitimierter Ausschließung besetzten Feld schwerer als andere Wissenschaften, sich als eine reflexive und herrschaftskritische Wissenschaft zu positionieren. Dabei braucht es, gerade weil Recht und Sozialstaatlichkeit zu „dialektischen Institutionen“ gehören, reflexive Analysen aller Instanzen des strafenden Staates und aller populistischen Formen von Politik, die sich der stigmatisierenden Etiketten von Kriminalität und Delinquenz bedienen. Hinzu kommt, dass die Phänomene, mit denen Kriminologie befasst ist, in besonderer Weise „kulturindustriell“ vorgeformt sind. Öffentliches Reden über Kriminalität bleibt in „Ideologieproduktion mit Menschenopfern“ (Heinz Steinert) verstrickt.

Die Geschichte der Institutionalisierung kriminologischer Studiengänge an der Universität Hamburg bzw. des Instituts für Kriminologische Sozialforschung im Fachbereich Sozialwissenschaften steht dafür, dass Universität, Wissenschaftspolitik und Disziplinen bereit waren, eine materielle Grundlage für die in diesem Bereich erforderlichen reflexiven Analysen zu schaffen und zu erhalten.

Der Konsens verflüchtigt sich zwar schon länger, daher bleibt es aus interdisziplinärer, wissenschaftlicher Sicht umso notwendiger, die interdisziplinären Studiengänge und die Forschungskompetenz des Instituts für Kriminologische Sozialforschung zu erhalten. Weder Lehre noch Forschung können durch die im 21. Jahrhundert (forschungs-)politisch vorgegebenen Kategorie „Sicherheit“ abgedeckt werden.

Etwas wird in dieser geplanten Zukunft fehlen:

Dialektische Institutionen (wie Recht und Sozialstaatlichkeit) rationalisieren Herrschaftstechniken und sie verbessern die Möglichkeiten sozialer Bewegungen, durchgesetzte Politik von Sicherheit & Ordnung wieder verstärkt an den (durchaus bürgerlichen) Ideen von Freiheit, Gleichheit vor dem Recht (inklusive Strafrecht) und internationaler Solidarität zu messen. Die Sozialwissenschaften (und auch Rechtswissenschaft) leisten sich immer noch ein Nachdenken darüber, dass sie zwar Teil ihres Gegenstands sind, sich aber, vermittelt über ein Nachdenken über diesen „Einschluss“, erforderliche Autonomie erarbeiten können — und immer wieder erarbeiten müssen. Der Begriff für dieses Nachdenken heißt „reflexive Analyse“.

  • Reflexive Analysen, bezogen auf Wissensformen und Institutionen sozialer Kontrolle und legitimierter sozialer Ausschließung, erfordern, dass Wissenschaft dauerhaft (mindestens) die Aufgabe übernimmt, Instanzen von Strafrecht und alliierter Kontrollinstitutionen (wie Soziale Arbeit) zum Gegenstand reflexiver Analysen zu machen,
  • Kriminalisierungsprozesse und Tendenzen von Punitivität zu untersuchen,
  • diese Tendenzen mit Interessen an der Legitimation oder der Entlegitimierung von gesellschaftlichen Zuständen der Ungleichheit und (Herrschafts-) Verhältnissen in Beziehung zu setzen,
  • Interessen an Kriminalisierung und Ausschließungsvorgängen auf solche zu beziehen, die sich aus dem durchgesetzten Klassen-, Geschlechter-, Generationen-Verhältnis und den race-relations einer Gesellschaft ergeben.

Das Ende des Studiengangs Internationale Kriminologie scheint, von außen betrachtet, ein weiterer Schritt zu sein, Forschung nach dem Hamburger Verständnis von kritischer, gesellschaftstheoretisch fundierter Kriminologie abzuschaffen. Eine Einheit von Forschung und Lehre stellt sich nicht damit ein, dass Lehre abgeschafft wird. Abschaffung von Lehre impliziert die Einstellung von Ressourcen für Forschung und Theoriebildung.

Zu den Erfahrungen von Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern gehört, dass ein reflexives, und damit kritisches Wissen über Instanzen von Strafrecht und totale Institutionen, über reformerische und populistische Sicherheits-Politik äußerst selten selbst durch Institutionen sozialer Kontrolle und Institutionen, die (wie Strafrecht) moralisch legitimierte Ausschließung realisieren, erzeugt wird. Es braucht daher die Fortsetzung aller am Institut für Kriminologische Sozialforschung organisierten Masterstudiengänge, insbesondere den Bestand des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie.

Die Universität Hamburg, der Fachbereich Sozialwissenschaften und auch die Fakultät für Rechtswissenschaft können als Wissenschaftsorganisation in der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Situation nur ein Interesse daran haben, Möglichkeiten einer reflexiven, gesellschaftstheoretisch fundierten kriminologischen Sozialforschung auszuweiten. Das wird durch das Einstellen des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie konterkariert – mit Auswirkungen auf die Relevanz der Sozialwissenschaften als ein Projekt, den beobachtbaren „Fortschritt zurück“ aufzuhalten.

Bei realistischem Pessimismus wäre es schon möglich, den „Fortschritt zurück“ ein wenig aufzuhalten.

 

Prof.(em.) Dr. Helga Cremer-Schäfer,
Goethe Universität Frankfurt
cremer-schaefer@em.uni-frankfurt.de

PD Dr. Reinhard Kreissl, CEO, VICESSE
Vienna Centre for Societal Security
reinhard.kreissl@vicesse.eu

Univ. Doz. Dr. Arno Pilgram
Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Wien
Arno.Pilgram@uibk.ac.at

Senior-Prof. Dr. Johannes Stehr
Evangelische Hochschule Darmstadt
johannes.stehr@eh-darmstadt.de

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Kategorie: Kriminologie allg., Kriminologie in Hamburg Stichworte: Hamburg, Institut für Kriminologische Sozialforschung, Kriminologie, Kriminologiestudium, Universität Hamburg

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