Der Studiengang der Internationalen Kriminologie an der Universität Hamburg soll dieses Jahr ein letztes Mal Studierende aufnehmen und danach abgewickelt werden. Diese Entwicklung läuft dem Hauptanliegen der Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie (GiwK e.V.) zuwider, das darin besteht, die interdisziplinäre Kriminologie als akademisches Lehr- und Prüfungsfach zu sichern. Seit 1989 fördert die GiwK den wissenschaftlichen Austausch in der Kriminologie mit angrenzenden Wissenschaftsfeldern und widmet sich der Institutionalisierung kriminologischer Forschung an den Hochschulen sowie der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Ihr ist es gelungen, das Fachgebiet Kriminologie bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu etablieren und hierfür Gutachter:innen vorschlagen zu können. Für eine interdisziplinäre, unabhängige Kriminologie, wie sie die GiwK vertritt, hätte die Schließung des Studiengangs an der Universität Hamburg gravierende Folgen, die über den Verlust eines bei Studierenden stark nachgefragten Studienangebots hinausgehen.
Die Einrichtung des Aufbaustudiengangs Kriminologie im Jahre 1984 eröffnete erstmalig die Möglichkeit, in Deutschland Kriminologie als eigenständiges Studium zu absolvieren. Der zum heutigen Masterstudiengang weiterentwickelte Studiengang ist – neben dem berufsbegleitenden Master Kriminologie an der Universität Hamburg – der einzige kriminologische Studiengang in Deutschland, der in den Sozialwissenschaften verankert ist. Er ermöglicht zudem die Promotion (Dr. phil.) im Fach Kriminologie.
Die am Studiengang vertretenen Perspektiven, die die Mechanismen von Gesetzgebung und Rechtssetzung kritisch reflektieren, waren prägend für die Entwicklung der deutschsprachigen Kriminologie. Durch den Fokus auf inter- und supranationale Entwicklungen von Kriminal- und Sicherheitslogiken offeriert der Studiengang inzwischen eine den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechende kriminologische Perspektive. Die Frage nach den gesellschaftlichen Produktionsweisen von Normalita?t, Kriminalita?t, Risiken, ihren entsprechenden Kontrolltechnologien und Interventionsformen, erfolgt hier mittels Analyse sozialer Praktiken auf der Interaktions- und der globalen Ebene.
Der Studiengang ist über die nationalen Grenzen hinweg verankert und eröffnet internationalen Doktorand:innen die Möglichkeit, in strukturierten Programmen (bilaterale Betreuung) zu promovieren. Er ist seit fast 40 Jahren Teil des Netzwerkes „Common Study Programme in Critical Criminology“, bei dem Studierende, Promovierende und Lehrende aus über 15 (hauptsächlich) europäischen Universitäten engagiert aktuelle Themen der Kriminologie bearbeiten. Die aus dem Zusammentreffen der international sehr heterogenen kriminologischen Wissenschaftsverständnisse hervorgehende Perspektivenvielfalt ist überaus wertvoll für alle Teilnehmenden. So befruchtet der internationale Austausch die Weiterentwicklung der Kriminologie als akademische Disziplin.
Die Einstellung dieses Studiengangs bedeutet eine Zäsur, da mit ihr ein zentraler Baustein der Institutionalisierung einer sozialwissenschaftlichen Kriminologie wegfällt. Der Studiengang ist sehr nachgefragt, forschungsstark, international verankert und widmet sich auf innovative Weise gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen. Es kann nicht im Interesse der Universität Hamburg liegen, diesen zukunftsträchtigen und fachübergreifenden Studiengang auslaufen zu lassen.
Als Vertretung einer kriminologischen Gesellschaft, die sich einer wissenschaftlichen und interdisziplinären Orientierung der Kriminologie verschrieben hat, appellieren wir an die Universität Hamburg, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, dem Studiengang eine tragfähige Basis zu verschaffen, um kommenden Generationen diese besondere, in Deutschland einzigartige Perspektive weiterhin zu ermöglichen.