In der Schweiz ist Steuerhinterziehung zwar auch nicht gern gesehen, aber dort kriminalisiert man nicht immer gleich alles, was Missfallen auslöst. Der Fußball-Manager Hoeneß, zum Beispiel, wäre in der Schweiz nicht im Gefängnis gelandet, sondern hätte eine Geldbuße bezahlt. Die hätte weit über 100 Millionen Franken liegen können (dem Dreifachen des hinterzogenen Steuerbetrags). Damit wäre es aber auch gut gewesen. Das Verwaltungsverfahren wäre unspektakulär und effizient gewesen.
In Deutschland könnte ein Gefängnis sich weigern, Hoeneß aufzunehmen. Grund: Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Freiheitsstrafe. Woher diese Zweifel kämen? Aus einer Juristenausbildung, die es wert wäre, so genannt zu werden. Das Strafgesetz, das für Steuerhinterziehung Gefängnis androht, könnte verfassungswidrig sein. Warum? Weil die Gefängnisstrafe weder erforderlich noch geeignet ist, um den Zweck der Norm zu erreichen. Gefängnisstrafe sollte – wie das Strafrecht – ultima ratio sein. Wenn es weniger einschneidende Mittel gibt, dann ist die Anwendung von Strafrecht und von Freiheitsstrafe unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.
Würde alles zusammenbrechen, wenn man Steuerhinterziehung als Ordnungswidrigkeit auffasste statt als Kriminalität?
Nein, nichts würde zusammenbrechen. Es wäre nur der Verzicht auf Reste des Obrigkeitsstaates, der seine Steuerzahler als Untertanen behandelt, denen man mit der Peitsche Zucht und Ordnung beibringen will. In der Schweiz sieht man die Steuerzahler als Bürger, denen man mit Respekt entgegen kommt, und die man mit einer fühlbaren Buße an ihre Pflichten ermahnt, die man aber deshalb nicht gleich ihrer Freiheit beraubt.
Bildquelle: Harald Bischoff (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons
David schreibt
Dem könnte man entgegenhalten, dass Steuerhinterziehung nichts anderes ist als ein gesondert geregeltes Betrugsdelikt:
„Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (§ 263 StGB).
Damit kann man natürlich im Tenor des Artikels diskutieren, ob Gefängnisstrafen für Betrugsdelikte oder überhaupt sinnig sind. Nichtsdestotrotz kann zumindest ich nicht erkennen, warum Betrugsdelikte nur noch Vergehen werden sollten, wie es im dem Schweiz-Exkurs anklang. Vieleicht wäre dieser Punkt noch ergänzungsfähig.
Andreas Prokop schreibt
Es ist bei einem Prominenten zumal eine öffentliche Vorführung, eine Demütigung; vgl. etwa folgendes Interview mit dem Hamburger Rechtsprofessor Reinhard Merkel über die mutmaßlichen Haftbedingungen:
http://www.deutschlandradiokultur.de/hoeness-6-uhr-wecken-22-uhr-einschluss.954.de.html?dram:article_id=280124
Die öffentliche Demütigung ist eine zusätzliche Strafe und man könnte auch fragen, ob die quasi dreifache Bestrafung (Strafzinsen kommen ja auch noch dazu) mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot vereinbar ist.
Christian Wickert schreibt
Herr André Schulz hat via Twitter (@BDK_BuVo) noch die Frage aufgeworfen, wie es sich mit der generalpräventiven Wirkung des Urteils verhält.
Meine spontane Antwort hierauf würde lauten: gleich Null. Wenn man eine vom Urteil ausgehende Wirkung konstatieren möchte, dann doch am ehesten die, dass eine Selbstanzeige leicht zum Eigentor werden kann.
@Andreas: Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahren so viele Berichte zu den Haftbedingungen in deutschen JVA gehört zu haben. Die gestellten Fragen waren zum Teil hanebüchener Unsinn und zeugten von einer unglaublichen Unkenntnis, die Antworten waren aber größtenteils schlau und erhellend. Vielleicht ließe sich daher von einer genralinformierende Wirkung des Urteils gegen Herrn Hoeneß sprechen.
schneidermeister schreibt
Tja, dafür hätte Hoeneß bei Geschwindigkeitsübertretungen in der Schweiz ggf. wegen eines „Raserdelikts“ mit Freiheitsstrafe zwischen 1 und 4 Jahren zu rechnen, Führerscheinentzug von 2 Jahren und Einziehung des Fahrzeugs. So sieht eben jedes Land die ultima ratio anders:
Den einen .-CH- sind die Banken und das Geld heilig, deshalb gibt es für Steuerhinterziehung keine Strafe, den anderen – BRD- das Auto, dort gibt es für Geschwindigkeitsüberschreitungen im europaweiten Vergleich lächerliche Geldbußen und lächerliche Fahrverbote.
Ob die Schweiz weniger obrigkeitsstaatlich ist?
Würde alles zusammenbrechen, wenn Mord und Totschlag an Familienangehörigen nur als Owi geahndet würde? Die meisten Mörder schlagen doch nur einmal zu, 2/3 der Opfer sind Angehörige. Nach Verwitwung oder Verwaisung besteht doch meist keine Wiederholungsgefahr mehr.
Solarkritiker im Exil schreibt
Dieses Video schauen: http://youtu.be/ZhQZtY9kaNo
Maximilian schreibt
Lieber Sebastian,
es ist für einen – das möchte ich einmal unterstellen – angehenden Justisten eine gewisse Leistung, innerhalb von zwei Tagen zwei Beiträge zu verfassen, die in der Methodik jedwede wissenschaftliche Grundlage vermissen lassen, dafür aber zu ähnlichen Teilen von Polemik und Pathos getragen werden. Vielleicht fördern sie nicht gerade das Renommee, könnten aber zumindest dazu beitragen, sich die juristisch-juvenilen Hörner abzustoßen. Hoffen wir es.
I. Zu dem vorgestrigen Beitrag (https://criminologia.de/2014/03/ein-gefangener-namens-hoeness/)
Mit einem „Ich finde, er hat Recht“ ist es nicht getan, wenn Du deine Ansicht nicht auch begründen kannst. So verbleibt der Beitrag in weiten Teilen eine fremde Leistung, die eigene Würdigung der (fremden) These verlässt das Stammtischniveau nicht.
Du erlaubst mir, Dir folgende Gedanken mit auf den Weg zu geben:
– Die Justiz ist an das Rechtsstaatsprinzip gebunden, das ihr willkürliche Urteile verbietet. Urteile die für einen Teil der Verurteilten bei Vermögensdelikten (mangels Vermögen, was i.Ü. den Regelfall darstellt). Urteile die ersichtlich für einen Teil der Verurteilen nicht auf die (von Dir offenbar) intendierte Geldstrafe hinauslaufen (können), sondern in der Ersatzfreiheitsstrafe enden (müssen), wären vermutlich willkürlich, soweit sie im Bewusstsein ihrer mangelnden Vollstreckbarkeit gesprochen werden.
– Aus selbigen Erwägungen wäre eine derartige Spruchpraxis schon unter wegen des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG verfassungswidrig.
– Eine Strafe muss, damit sie die (general und spezial) präventiven Wirkungen entfalten kann, eine spürbare sein. Ist zu besorgen, dass eine Geldstrafe (allein) diesen Effekt nicht gewährleisten kann, so ist sie als Strafe untauglich. Jemandem der aus seiner (vorgeblichen) Sucht heraus gerade Geschäfte eingeht bei denen er Geld verliert, ist vielleicht durch das Wegnehmen von noch mehr Geld aber gerade keine Strafe zuzufügen?
Deine Erwägungen zielen sämtlich auf eine Mehrklassen-Justiz, in der sich wohlhabendere Bürger der Strafe durch Vermögen entziehen können.
II. Dein gestriger Beitrag…
…greift diese geistigen Irrgänge vom Vortag auf. Bezeichnend ist insofern, dass Du nur über Strafen, nicht aber über Maßnahmen nachdenkst. Auch hinsichtlich der von Dir (de lege ferenda) ins Feld geführten Strafen fallen gerade die unter den Tisch, die eine charakterliche Besserung nahelegen würden, z.B. begleitende Arbeit in sozialen Einrichtungen. Das mag dem aktuellen Stand Deiner eigenen juristischen Ausbildung, die Du anderen so freimütig absprichst, geschuldet sein. Deine Beiträge lesen sich für mich ein wenig wie die eines sehr engagierten jüngeren Semesters. Das machte inhaltliche Schwächen verzeihlich – nicht allerdings die Überheblichkeit, mit der sie hier vorgetragen werden.
Wollte ich zynisch sein, würde ich darauf hinweisen, dass die Schweiz in der letzten Jahren insbesondere durch juristische Bestrebungen aufgefallen ist die von Fremdenhass, einsetiger Vorteilsnahme und offenem Bruch mit dem (zwingenden!) Völkerrecht aufgefallen ist. Sie insofern als Instanz für strafrechtliche bzw. kriminologische Vergleiche heranzuziehen ist also schon aus sozio-kulturellen Gründen verfehlt. Abgesehen davon fehlt dem Vergleich die wissenschaftliche Fundiertheit: Wie unterscheiden sich die Steuer- und Sozialsysteme? Wer ist mittelbar Leidtragender bei Steuerstraftaten in der Schweiz? Gilt entsprechendes auch für die (hier fröhlich mit den Steuerstraftaten vermischten) sonstigen Vermögensdelikte?
Abschließend sei mir erlaubt, auf zwei handwerkliche Fehler hinzuweisen:
1.) „Das Strafgesetz, das für Steuerhinterziehung Gefängnis androht, könnte verfassungswidrig sein. Warum? Weil die Gefängnisstrafe weder erforderlich noch geeignet ist, um den Zweck der Norm zu erreichen.“
> Es hat einen Grund, dass die Geeignetheit vor der Erforderlichkeit geprüft wird. Sie liegt nämlich schon vor, wenn das gewählte Mittel die Erreichung des Zwecks vorantreibt. Und ich denke wir können uns zumindest soweit einigen, dass Haft (Maßnahme) durchaus dazu führt, dass der Inhaftiere in Zukunft (mit größerer Wahrscheinlichkeit als vor der Haft) keine Steuerstraftaten mehr begeht (Zweck). Die Haft ist also selbstverständlich(!) geeignet. Allein über die Erforderlichkeit und Angemessenheit (zu der wir uns nicht einigen werden, meine Ansichten sind bekannt) wäre hier zu streiten gewesen. Das Anfüttern einer These mit – noch dazu offensichtlich falschen – Scheinargumenten ist unwissenschaftlich.
2.) „Würde alles zusammenbrechen, wenn man Steuerhinterziehung als Ordnungswidrigkeit auffasste statt als Kriminalität?“
> Hättest Du Dich vor dem Verfassen deiner Beiträge etwas länger mit dem Begriff der Kriminalität auseinander gesetzt wäre Dir vermutlich aufgefallen, dass die meisten Auffassungen von „Kriminalität“ sich nicht am Umfang von Strafnormen orientieren, sondern von einem Bruch mit der Rechtsordnung bzw. der Beeinträchtigung der Rechte Dritter ausgehen. Ordnungswidrigkeiten sind nach diesen Ansätzen also eine Form der Kriminalität und kein Gegensatz. – Auch deswegen ist im Übrigen bei der Vollstreckung von Geldbußen die Anordnung der Erzwingungshaft (§§ 96, 97 Abs. 1 OWiG iVm § 451 StPO), die auch hier wieder zu der oben bereits thematisierten Ungleichbehandlung führen würde, rechtspolitisch konsistent.
Xaerdys schreibt
Ich schließe mich mal Maximilian an und ergänze.
Natürlich besteht bei Hoeneß Resozialisierungsbedarf. Wer in einem Steuerstrafprozeß, in dem ihm eine Hinterziehungssumme von 28,x Millionen vorgeworfen wird, erklärt, er habe auch 5 Millionen gespendet, hat offenbar nicht verstanden, welche Folgen Steuerhinterziehung eigentlich hat.
Man hätte dutzende Kitas bauen, Gefängnisse / Justiz besser ausstatten, soziale Projekte fördern, Forschung fördern können – all das sind nur Projekte die Kriminalität verringern können. Und diese fehlen seit Jahren. Es geht hier nicht nur um den Betrag, sondern auch darum, welche Auswirkung das Fehlen der Gelder hatt. Seine Selbstanzeige basierte allem Anschein nach auf der Verfolgung von Dritten – er kam somit nur einer Offenbarung zuvor. Mit einer Geldstrafe ist es eben nicht getan, sie hätte nämlich maximal 10.800.000 € betragen (360 TS á 30.000), was Hoeneß wohl tatsächlich ohne allzu große Schwierigkeiten zahlen könnte – das ist aber nicht der Punkt. Man überlege mal aus spezialpräventiven Gesichtspunkten, was es bedeutet wenn dem Täter suggeriert wird, er kann sich selbst dann freikaufen, wenn er ca. das 11fache des Durschnittsverdiensts eines Akademikers hinterzieht.
Auf dem „Würde alles Zusammenbrechen […]?“ – Argument hacke ich mal nicht weiter herum. Das kann man bei praktisch jedem Delikt stellen. Aber da man ja hier die Strafbarkeit aller Steuerdelikte in Frage stellst, de facto auf Bußen beschränken will:
Wie stabil wäre denn der Stadt wenn keiner oder nur wenige ihre Steuern zahlen?
Thomas G. schreibt
Die Ausführungen von Maximilian sind auf juristischem Niveau, die von Sebastian darüber. Nur letztere sind daher geeignet, unser Denken weiter zu bringen.
David schreibt
Thomas G. schreibt
Na ja, ich denke, rechtliche Regelungen müssen erstens den Regeln innerhalb des rechtlichen Gesamtsystems, in dem sie getroffen werden, entsprechen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit Freiheitsentzug als Strafe mit höherrangigem Recht, insbesondere Grundrechten, vereinbar ist. Zweitens aber muss sich jede rechtliche Regelung daran messen lassen, inwieweit sie zu sinnvollen und vernünftigen Ergebnissen führt, denn das Recht hat keine Existenzberechtigung in sich. Die Rechtsbelehrungen von Maximilian sind bereits nicht sehr überzeugend hinsichtlich der ersten Frage, hinsichtlich er zweiten fehlt aber jede Substanz. Der tragende Strafzweck auch des Freiheitsentzuges ist ja die Sühne, zusätzlich gibt es dann noch ein paar Strafzwecke. Von Beweisen will ich ja noch gar nicht mal sprechen, aber wo sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass auch nur einer der Strafzwecke zumindest in der Breite erfüllt wird? Ich glaube, wir brauchen für bestimmte Leute einen zwangsweisen Freiheitsentzug, alles andere ist einfach illusorisch. Gerade der Fall Hoeneß zeigt aber, dass oft einfach nur Strafgelüste des sog. gemeinen Bildzeitungslesers erfüllt werden, und hier neige ich dazu, von diesem einen regeren Gebrauch der eigenen intellektuellen und emotionalen Ressourcen einzufordern, die in jedem schlummern dürften. Die Freiheitsstrafe für Hoeneß kostet den Steuerzahler, und damit mich, viel Geld. Was sie nutzen soll, weiß ich nicht, und das gilt auch für alle anderen nicht prominenten Steuerhinterzieher.
David schreibt
Deine Argumentation ist lebensfremd.
Selbstverständlich ist Freiheitsentzug mit höherem Recht vereinbar. Deswegen verzichten wir ja auf Körper- und Todesstrafen. Strafe muss umsetzbar sein. Geldstrafen entsprechen nur unzureichend den üblichen Fairness-Begriffen, von Gerechtigkeit fange ich garnicht erst an. Bewährungsstrafen haben auch ihre Tücken.
Außerdem operierst du mit einem verkürzten Strafbegriff. Strafe ist immer mehr als Sühne. Strafe ohne Rache ist abweging und weithin lebensfremd.
Ich meine, Sebastian spielt Sturm im Wasserglas und Testballon. Jedenfalls geht hier einigen, dich eingeschlossen, das Verständnis für Systematik ab, sowohl juristisch, als auch gesellschaftspolitisch aka soziologisch.
Solarkritiker im Exil schreibt
Thomas G. sagt:
Hier stellt sich die Frage, inwieweit Freiheitsentzug als Strafe mit höherrangigem Recht, insbesondere Grundrechten, vereinbar ist.
Da muss ich laut lachen, wenn man weiß, wie dieser Staat unter dem Vorwand des Umwelt- und/oder Klimaschutzes die Grundrechte eliminiert. Wer es nicht glaubt, hier lesen: http://solarresearch.org/wp/wp-content/uploads/2014/03/Grundrechte_Art20aGG_Grundrechteeinschraenkungen_EEG.pdf
Thomas G. schreibt
@David: oha, jetzt soll ich auch schon mit eingeschlossen werden, dann werd ich mich mal lieber wieder tummeln. Gerne kann versucht werden auf http://www.recht-vernunft.de das Verständnis zu erweitern.
David schreibt
@ Thomas G.: deine Begründung rockt, insbesondere für einen Juristen. Und alle (Juristen), die das anders sehen sind Schafe, gell? Ist klar, ne.
Janine schreibt
Steuerhinterziehung gehört in die Kategorie Wirtschaftskriminalität. Warum sollte man bei Steuerhinterziehung nicht von einer Straftat reden?
http://www.detektive.com/news/wirtschaftskriminalitaet-offenbar-gaengige-praxis.htm
Die „Kriminalisierung“ haben wir auch dem Stammtischnivea vieler Medien zu verdanken.