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von Schweinegrippe und sozialer Kontrolle

Am 16. Oktober 2009 gepostet von Christian Wickert

Quelle: http://www.flickr.com/photos/davic/2845854309/
Quelle: http://www.flickr.com/photos/davic/2845854309/

Wie Spiegel Online gestern informiert, hat eine Forschergruppe um Gaby Judah von der London School of Hygiene & Tropical Medicine Ergebnisse eines sozialpsychologischen Experimentes veröffentlicht, das sehr aufschlussreich in Hinblick auf die Wirksamkeit sozialer Kontrolle ist.

In dem naturalistischen Experiment beobachteten die Sozialpsychologen, den Anteil von fast 200.000 Besuchern öffentlicher Toiletten an Autobahn-Raststätten, die sich nach vollrichtetem Geschäft die Hände (mit Seife) wuschen.

64% der Frauen und aber lediglich 32% der Männer griffen nach dem Toilettengang zu Wasser und Seife.  Im weiteren Verlauf der Studie beobachteten die Forscher den Einfluss der sozialen Kontrolle auf den Anteil der Händewascher. Bereits durch den Aushang einfacher Textbotschaften ließ sich die Quote der Besucher, die sich die Hände wuschen, um maximal 10% erhöhen. Hierbei waren allerdings Frauen eher für sachliche Argumente und Männer tendenziell für Sprüche, die Ekel erregen („Seif es ab oder iss es später“), empfänglich.

Effektiver waren indes jene Hinweise, die an das Schamgefühl der Toilettennutzer gegenüber möglichen Beobachtern appellierten („Wäscht sich die Person neben Ihnen mit Seife?“). Infolge dieser Hinweise stieg die Quote der Händewascher bei Männern um 12% und bei den Frauen um 11%.

Die Forscher betonen, dass sich die Ausbreitung von Atemwegs- und Virenerkrankungen wie z.B. auch der sog. Schweinegrippe durch einfaches Händewaschen verhindern ließe.

„Händewaschen mit Seife kann mehr als eine Million Menschen, die jedes Jahr an Durchfallerkrankungen sterben, das Leben retten.“ Es könne zudem Atemwegserkrankungen verhindern, die zu den Hauptursachen der Kindersterblichkeit in Entwicklungsländern zählen.
[zitiert nach: Spiegel Online]

Welche Schlussfolgerungen lassen sich jetzt aus diesen Ergebnissen ziehen?

  1. 2/3 der Männer und 1/3 der Frauen sind Schweine.
  2. Verhaltensweisen lassen sich durch soziale Kontrolle beeinflussen.
  3. Diese Beeinflussung ist am effektivsten, wenn an das Schamgefühl der Personen appelliert wird.

Eine Studie mit nahezu 200.000 Probanden stellt eine Seltenheit dar; allerdings dürften die Ergebnisse nicht sonderlich überraschen. Schließlich existieren von Hirschis Kontrolltheorie über kriminalpolitische Ansätze von „Naming and Shaming“ (siehe auch hier) bis hin zu Braithwaites Theorie des Reintegrative Shaming‚ eine Vielzahl kriminologischer Erklärungsansätze für normabweichendes bzw. -konformes Verhalten, die auf der Einflussgröße sozialer Kontrolle und Scham beruhen.

Beachtenswert ist indes, dass in dem vorliegenden Experiment, eine positive Verhaltenskontrolle weder die Anwesenheit noch die persönliche Bekanntschaft mit den Kontrolleuren voraussetzt. Alleine der Hinweis auf eine anonyme Kontrollinstanz führt zu einem normenkonformen Verhalten. Diese Bedingungen erscheinen aber beispielsweise auch bei einer Videoüberwachung gegeben, wobei hier die Effizienz in Hinblick auf eine erfolgreiche Verhaltensbeeinflussung fraglich erscheint.

Das Unterlassen des Händewaschens lässt sich mit Sicherheit nicht mit z.B. Vandalismus oder gewaltsamen Übergriffen auf Personen gleichsetzen; dennoch erscheint es mir lohnenswert, weiter über mögliche Parallelen oder Unterschiede zu diskutieren. Reicht es aus, die scheinbar unterschiedliche Effizienz sozialer Kontrolle im Toilettenexperiment und von Videoüberwachung den unterschiedlichen Affekten Scham auf der einen und Aggression auf der anderen Seite zuzuschreiben? Oder ließe sich eine Videoüberwachung wirksamer gestalten, wenn der beobachtende Akteur ein Gesicht und/ oder Stimme bekäme ? So wäre ja beispielsweise denkbar, dass Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen, die für Verkehrsbetriebe tätig sind, auf den Monitoren in Bus und Bahn eingeblendet würden und Fahrgäste persönlich über eine Lautsprecheransage begrüßten.

Um zu verhindern, dass wir angesichts der drohenden Pandemie H1N1 2009 demnächst an dieser Stelle auch über die Effizienz von Videoüberwachung auf öffentlichen Toiletten diskutieren müssen, möchte ich diesen Beitrag mit dem Appell beenden: Bitte Händewaschen nicht vergessen!

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Kategorie: Kontrolle und Sanktionen, Kriminologie allg., Theorien, Überwachung Stichworte: Hygiene, Scham, shaming, situative Prävention, Soziale Kontrolle, Toilette

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