Im Zentrum des dritten Teils des Kriminalpolitischen Parteien-Checks zur Bundestagswahl 2021 steht das Wahlprogramm von SPD: Aus Respekt vor Deiner Zukunft. Das Zukunftsprogramm der SPD – Wofür wir stehen. Was uns antreibt. Wonach wir streben.
Wahlprogramm SPD – kriminologisch bedeutsame Aspekte
Das Wahlprogramm der SPD mir dem Titel „Aus Respekt vor deiner Zukunft“ hat 68 Seiten inklusive Inhaltsverzeichnis und ist in fünf große Teile mit folgenden Überschriften aufgeteilt:
1.0. Zukunft. Respekt. Europa. (S. 3)
2.0. Eine lebenswerte Zukunft (S. 8)
3.0. Eine Gesellschaft des Respekts (S. 27)
4.0. Souveränes Europa in der Welt (S. 55)
5.0. Zukunft, Respekt und ein solidarisches Europa – Leitgedanken für ein neues Jahrzehnt (S. 65)
Bereits am Anfang des Programms stellt die SPD Fragen zu den Aufgaben, welche Deutschland, Europa und Welt erwarten, die auch „durch Corona-Krise (.) stärker in den Fokus gerückt“ wurden. Die Fragen betreffen u.a. Sicherung der Arbeit und des Wohlstands, Überwindung der wachsenden sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft, die Aufhaltung des „menschengemachten Klimawandels“, die Gestaltung des digitalen Wandelns („Nehmen wir die Gestaltung des digitalen Wandels als demokratische Gesellschaft selbst in die Hand oder bleibt es dabei, dass die Entwicklung der digitalen Welt von wenigen Technologiekonzernen diktiert wird?“), mehr Zusammenhalt und Solidarität in der Gesellschaft (damit „Populisten und Nationalisten“ kein „leichtes Spiel haben“). Weiter wird auf „ gemeinsame Anstrengungen“ appelliert, „um die Krise zu überwinden“, und ist bereit „der Gefahr der (gesellschaftlichen) Spaltung (zu) begegnen“. Erwähnt wird auch „Zuversicht für eine gute, sichere Zukunft in Deutschland und Europa“. (S. 3)
Denn: „In der Corona-Krise wird einmal mehr überaus deutlich, dass Gewinnmaximierung und Kostenminimierung nicht das Maß aller Dinge sein dürfen. In der Wirtschaft, im Gesundheitssystem, im Bildungssystem, der Justiz und anderen wichtigen Bereichen wurde zu viel „auf Kante genäht“. „Die Verschiedenheit der Menschen“ welche „ ein unschätzbarer Gewinn“ dieser „Vielfalt“ darstellt, sollte in „unseren Parlamenten und in den Formaten der Beteiligung angemessen widerspiegelt“ werden. (S. 4)
Die wichtigste kriminalpolitische Themen im o.g. Programm sind u.a.: eine demokratische Gesellschaft frei von Vorurteilen, frei vom (nationalistischen) Hass und (populistischer) Hetze, Ausgrenzung, Diskriminierung; Schutz der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Europa, Datenschutz und Netzsicherheit, Steuergerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Frieden.
In einem separaten Abschnitt wird erklärt, wie die SPD eigene Politik finanzieren möchte (S. 22):
„Die Finanzierung der in diesem Zukunftsprogramm formulierten Schwerpunkte stellen wir sicher. Dazu werden wir die verfassungsrechtlich möglichen Spielräume zur Kreditaufnahme nutzen. Die gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen ist eine Grundvoraussetzung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. (…) Wir werden der Steuergerechtigkeit Geltung verschaffen – Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Gegen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Steuerbetrug werden wir konsequent vorgehen. Wir haben grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle der Anzeigepflicht unterworfen und werden eine nationale Anzeigepflicht einführen. Wir werden die Umgehung der Grunderwerbsteuer (Share Deals) beenden. Der Umsatzsteuerbetrug bei Karussellgeschäften auf europäischer Ebene muss beendet werden. Die öffentliche Transparenz ist ein gutes Mittel, um Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Wir werden Steuervermeidung mit einem öffentlichen Reporting großer, international agierender Unternehmen eindämmen (Public Country-by-CountryReporting).“ (S. 22)
„Wir werden eine Finanztransaktionssteuer einführen, möglichst im Einklang mit unseren europäischen Partnern. Zugleich werden wir die von uns maßgeblich mit unterstützten internationalen Verhandlungen zur Einführung einer effektiven Mindestbesteuerung und einer fairen Besteuerung so genannter Digitalunternehmen zum Abschluss bringen und in Deutschland und Europa umsetzen. Google, Amazon, Facebook und andere große Digitalunternehmen müssen einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. (…) Für das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit und Sicherheit von Finanzmarktakteuren und Finanzprodukten ist es gerade für Kleinanleger*innen wichtig, dass sie eine unabhängige und an ihren Interessen orientierte Beratung erhalten können.“ (S. 23)
„Wir haben dafür gesorgt, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stärkere Kontroll-Kompetenzen erhält. Wir haben bei der Prüfung von Jahresabschlüssen der Unternehmen eine Überprüfung unmittelbar durch die BaFin ermöglicht. (…) Zudem haben wir die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer*innen verschärft und geregelt, damit sie häufiger als bisher gewechselt werden müssen. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass die BaFin mehr Kompetenzen bei der Geldwäscheaufsicht auch für große Unternehmen über ihre bisherige Aufsichtszuständigkeit hinaus erhält. Schmutziges Geld darf in Deutschland keine Heimat finden. Der Zoll ist neben der Polizei eine wichtige Institution im Kampf gegen Geldwäsche und Kriminalität. Wir werden die Kompetenzen des Zolls weiter stärken und die für dessen Wahrnehmung der Aufgaben verbundene Personalausstattung und Ausrüstung im Bereich illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit, organisierte Kriminalität, Geldwäsche wirkungsvoll unterstützen. Wir lehnen eine Privatisierung von Währungen ab. Dies gilt auch für private digitale Währungen, die in ihrem Wert künstlich stabil gehalten werden (Stablecoins).“ (S. 24)
Der Abschnitt „Wie wir regieren wollen“ (S. 25) beschäftigt sich u.a. mit den Themen Lobbyismus, Nebeneinkünften von Parlamentariern und Diskriminierung:
„Das Informationsfreiheitsrecht werden wir zu einem wirksamen Transparenzrecht weiterentwickeln und ausbauen. Wir werden öffentliche Daten und Informationen kostenlos und diskriminierungsfrei bereitstellen. Durch einen legislativen und exekutiven Fußabdruck machen wir den Einfluss von Lobbyist*innen bei Gesetzesentwürfen sichtbar. Damit werden Entscheidungsprozesse nachvollziehbar.
Wir werden dafür sorgen, dass Abgeordnete zukünftig(e) ihre Einkommen auf Euro und Cent angeben müssen. Ebenso werden wir für Abgeordnete die Anzeigepflicht für Unternehmensbeteiligung und Aktionenoptionen verschärfen und klar regeln, wann ein Interessenkonflikt zwischen parlamentarischer und wirtschaftlicher Arbeit vorliegt und wie er zu lösen ist.“ (S. 25)
Die SPD begrüßt eine Gesellschaft, welche „von gegenseitigem Respekt getragen wird. Eine Gesellschaft, die, frei von Vorurteilen, alle Bürger*innen gleichermaßen respektiert“. Dabei werden Begriffe/Erscheinungen wie „Hass und Hetze, jedweder Art von Ausgrenzung und Diskriminierung und (.) Erstarken rechtsextremer Kräfte“ verurteilt. (S. 5)
Europa-Politik
Europa solle gestärkt werden, „nach innen geeint und nach außen handlungsfähig“ sein. „Wir wollen die Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Europa schützen und die EU zur modernsten Demokratie der Welt machen. Wir wollen, dass Europa auch beim Klimaschutz Vorreiter wird. Wir wollen ein digital souveränes Europa auf der Basis einer wertebasierten digitalen Wirtschaft. (…) ein souveränes Europa, das für soziale Gerechtigkeit, Wohlstand und Menschenrechte steht und sich geschlossen für eine gerechtere, friedlichere und nachhaltigere Welt einsetzt. (…) Nur miteinander werden wir eine humanitäre und solidarische Flüchtlingspolitik gewährleisten. Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sind das Fundament unserer Gemeinschaft. Wir werden es nicht zulassen, dass nationalistischer Hass und populistische Hetze Europa spalten.“ (S. 6)
Netzpolitik
Das Thema Netzpolitik nimmt einen großen Raum ein und umfasst die Themen Digitalisierung, Regulierung von Plattformkonzernen, Netzneutralität, Netzwerksicherheit, Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Zukunftsmission III. Digitale Souveränität in Deutschland und Europa (S. 13)
„Unser Ziel ist ein moderner, bürgernaher Staat, der allen Bürger*innen einen einfachen, digitalen Zugang zu seinen Dienstleistungen bietet. Wir werden daher die Verpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen zur Bereitstellung digitaler Verwaltungsdienstleistungen ausbauen, damit alle Verwaltungsleistungen möglichst schnell auch digital verfügbar sind. Jede*r Bürger*in soll ohne Zusatzkosten und Extrageräte die Möglichkeit haben, diese Leistungen freiwillig und datenschutzkonform mit einer digitalen Identität zu nutzen.“ (S. 13)
„Wir stehen für die digitale Souveränität von Bürger*innen und Verbraucher*innen ein. Wo globale Plattformkonzerne zu Monopolisten werden, bedrohen sie digitale Vielfalt und neigen dazu, nationalstaatliche Regeln zu umgehen. Wir werden deshalb gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten eine starke und präzise Regulierung schaffen, den Wettbewerb sichern und alternative Angebote fördern. Es braucht mehr Angebote mit hoher Datensouveränität.
Es muss Alternativen zu den großen Plattformen geben – mit echten Chancen für lokale Anbieter. Nutzerdaten müssen geschützt sein und die Nutzer*innen müssen darüber bestimmen können, was mit ihren Daten geschieht.
Zu viel Marktmacht einzelner schadet dem Wettbewerb und damit letztlich den Verbraucher*innen. Wir wollen Entwicklungen am Markt voraus sein und ein präventives und proaktives Wettbewerbs- und Kartellrecht schaffen. In das Kartellrecht werden wir verstärkt vorbeugende Kontrollen integrieren. Zudem werden wir weitere, neue europäische Instrumente entwickeln, um die übermächtigen Plattformen zu zähmen oder notfalls zu entflechten. Grundlegend notwendig hierfür ist die Bewahrung der Netzneutralität, für welche wir einstehen werden.
Es muss möglich sein, zwischen verschiedenen Messenger-Diensten, sozialen Netzwerken und digitalen Diensten und Plattformen zu kommunizieren oder zu wechseln. Diese Interoperabilität werden wir gesetzlich vorschreiben.
Wir brauchen in Europa eine selbstbestimmte Entwicklung und Herstellung der notwendigen Komponenten und Bauteile, damit nicht ausschließlich US- und chinesische Hersteller über den Erfolg und die Netzwerksicherheit digitaler Infrastrukturen in Europa entscheiden. Dafür wollen wir einen gemeinsamen Kraftakt in Europa, der eine gemeinsame europäische Entwicklung und Produktion solcher Komponenten strategisch und langfristig aufbaut.
Wir setzen uns für eine gezielte und koordinierte Unterstützung der deutschen und europäischen Digitalwirtschaft auf allen Technologie-Ebenen und entlang der gesamten Wertschöpfungsketten ein: von der Halbleiter-Fertigung und der Quantentechnologie über die Cloud und Künstliche Intelligenz und Edge-Computing bis zur Cyber-Sicherheit, sicherer und vertrauenswürdiger Hard- und Software sowie Netzwerktechnik und datenbasierten Geschäftsmodellen. (…) für eine europäische Cloud-Infrastruktur.“ (S. 14)
„Daten sollen für gemeinwohlorientierte digitale Dienstleistungen und Innovationen nutzbar gemacht werden und nicht nur wenigen großen Daten-Monopolisten zur Verfügung stehen. Wir werden ein Datengesetz schaffen, das das Gemeinwohl in den Mittelpunkt rückt. Dafür werden wir eine vertrauenswürdige Daten-Teilen-Infrastruktur fördern, öffentliche Datentreuhänder einrichten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die großen Konzerne ihre Daten für gemeinwohlorientierte Ziele teilen müssen. Rückschlüsse auf einzelne Personen dürfen dabei nicht möglich sein. Wo die öffentliche Hand Aufträge vergibt, muss sie darauf bestehen können, dass die Daten, die im Rahmen des Auftrages erhoben werden, wieder an sie zurückfließen. Wir fördern die Entwicklung von Anonymisierungstechniken und setzen uns für strafbewehrte Verbote von De-Anonymisierung ein. Der Staat muss beim Datenteilen mit gutem Beispiel vorangehen und einen breiten Datenzugang im Sinne von Open-Data ermöglichen. (.)
Damit nicht nur die großen Digitalkonzerne profitieren, werden wir Plattformen für den regionalen Handel und regionale Dienstleistungen fördern. Der Handel vor Ort darf steuerlich nicht gegenüber dem Onlinehandel ins Hintertreffen geraten. (.) Wir werden weiterhin konsequent gegen Steuerbetrug im Onlinehandel vorgehen. (…) Selbstlernende Systeme und Algorithmen (…) müssen transparent und diskriminierungsfrei angelegt werden. Die Zielsetzung einer algorithmischen Entscheidung muss klar und überprüfbar definiert sein. Hierfür brauchen wir eine stringente Regulierung und Aufsicht.
Cybersicherheit ist die Grundlage für eine erfolgreiche Digitalisierung. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik als zentrale, unabhängige und ausschließlich präventiv ausgerichtete Cybersicherheitsbehörde werden wir stärken und die Verschlüsselungsforschung ausbauen. Wir wollen Hersteller darauf verpflichten, Softwareprodukte, digitale Dienste und technische Geräte so zu konzipieren, dass sie sicher sind (Security by Design) und dass sie bei den Standardeinstellungen die sicherste Variante wählen (Security by Default). Digitale Hintertüren sollen nicht offen gehalten werden.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werden wir schützen. Die Datenschutzgrundverordnung ist ein wichtiger Meilenstein und muss in ihrer Durchsetzung praxisnah verbessert werden. Wir brauchen daher gut ausgestattete, effektiv arbeitende Datenschutzaufsichtsbehörden. Privatheit und Datenschutz schaffen Vertrauen und sichern individuelle und kollektive Freiheitsräume. (…) Wir werden ein dauerhaftes, regelmäßiges und unabhängiges Monitoring der Gesetze im Sicherheitsbereich schaffen.
Die anonyme und pseudonyme Nutzung des Netzes schützt viele Journalist*innen und Freiheitskämpfer*innen in aller Welt vor Verfolgung und Bedrohung. Wir sind gegen eine Klarnamenpflicht im Netz und setzen uns weiterhin für die Möglichkeit einer anonymen und pseudonymen Nutzung ein. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine freie Meinungsäußerung und der beste Schutz vor Diskriminierungen. Eine technisch sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist für uns selbstverständlich.“ (S. 15)
„Für den Schutz unserer Demokratie und die Sicherheit Einzelner benötigen wir auch im Netz ein konsequentes Vorgehen gegen Hasskriminalität, Betrug und andere Straftaten. Zur Verfolgung von aus dem oder im Internet begangenen Straftaten braucht es technisch und personell hinreichend ausgestattete Strafverfolgungsbehörden. Bei hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten auf eine Straftat müssen Verdächtige identifiziert werden können. Wir werden die nationalen Schutzvorschriften im Strafgesetzbuch und Netzwerkdurchsetzungsgesetz weiterentwickeln und setzen uns für verbindliche Regelungen auf europäischer Ebene (Digital Service Act) ein. Es braucht aber neben den rechtlichen Vorgaben auch ziviles Engagement, um dem Respekt zwischen den Bürger*innen in der digitalen Kommunikation wieder mehr Geltung zu verschaffen. Organisationen, die gegen Hass und Hetze im Netz aktiv sind, sichern wir unsere Unterstützung zu.“ (S. 16)
„Wo dieser Respekt fehlt, zerfällt unsere Gesellschaft. Hassreden im Internet zersetzen unsere Gesellschaft. Das ist der Nährboden für Rechtsextreme. Unsere Politik zielt darauf ab, den Respekt wiederherzustellen. Sie achtet die Würde jeder Arbeit und jede Lebensleistung. Sie steht für gleiche Teilhabe und gleiche Lebenschancen für alle. Sie sorgt für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Sie ist konsequent gegen jede Form von Diskriminierung, egal ob es um soziale Herkunft, Geschlecht, Migrationsbiografie, Religion, Behinderung oder sexuelle Orientierung geht. Sie steht für politische und soziale Bürger*innenrechte. Sie steht aber auch für Pflichten. Dazu gehört, dass sich alle an Gesetze halten.“ (S. 27)
„Wir wollen Datenschutz gewährleisten und geeignete Rahmenbedingungen, damit nicht die großen Plattformen auch die Gesundheitswirtschaft dominieren. Für uns ist aber klar, dass die Digitalisierung unser hervorragendes und engagiertes medizinisches, psychotherapeutisches und pflegerisches Personal nicht ersetzen wird. (.) Wir wollen zudem dem Schutz der Patientendaten höchste Priorität einräumen.“ (S. 18)
Vorgehen gegen Schwarzarbeit
„Wir werden durch eine besondere Förderung der haushaltsnahen Dienstleistungen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, älteren Menschen helfen, möglichst lange in der eigenen Wohnung zu leben, Schwarzarbeit bekämpfen und den Personen, die bislang ohne Sozialversicherung in den privaten Haushalten arbeiten, eine Absicherung bei Arbeitsunfällen oder Krankheit geben. Diese Förderung soll so ausgerichtet sein, dass sie auch von Geringverdiener*innen in Anspruch genommen werden kann.“ (S. 36)
Kinder und Jugendschutz
„Wir werden starke Kinderrechte auf Schutz, Beteiligung und Förderung und den Vorrang des Kindeswohls im Grundgesetz verankern. Wir werden das Wahlalter für junge Menschen auf 16 Jahre senken. Kinder und Jugendliche müssen auf allen Ebenen an politischen Prozessen beteiligt werden und einen Anspruch auf echte Beteiligung in kommunalen Jugendhilfeausschüssen und Landesjugendhilfeausschüssen haben, die gesetzlich in den Kommunalverfassungen verankert werden müssen. Jugendverbände und bestehende Beteiligungsstrukturen wie Jugendringe, Kinder- und Jugendparlamente wollen wir dauerhaft und nachhaltig finanzieren und jedes neue Gesetz einem Jugend-Check unterziehen.“ (S. 40)
„Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche sicher aufwachsen. Wir werden daher Strafrecht und Prävention besser verbinden, um Kinder und Jugendliche wirksam zu schützen. Wir brauchen Schutzkonzepte unter anderem mit Kinderschutzbeauftragten für Kitas, Schulen, Jugendhilfe-Einrichtungen und Vereine und werden das durch vom Bund geförderte Pilotprojekte unterstützen. Darüber hinaus werden wir unabhängige Ombudsstellen einrichten.
(…)
Schutzstandards für Kinder und Jugendliche müssen auch im digitalen Raum gelten, also auch beim Schutz der persönlichen Integrität, vor sexueller Belästigung und Gewalt, bei Entwicklungsbeeinträchtigungen und wirtschaftlicher Ausbeutung. Um die Belastungen für Kinder und Jugendliche vor allem in Kinderschutz- oder Familienrechtsverfahren so gering wie möglich zu halten, setzen wir uns für eine kindersensible Justiz ein.“ (S. 41)
Gleichstellung, Gewalt gegen Frauen und Rechte von LSBTIQ
„Wir wollen ein Jahrzehnt der Gleichstellung. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Sie ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Bereiche durchziehen muss: Familienpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Bildungs- und Rechtspolitik – aber auch Haushalts- und Finanzpolitik. Dies schließt eine geschlechtergerechte Haushaltssteuerung mit ein. Wir wollen die Gleichstellung von Männern und Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen bis 2030 erreichen. Dazu werden wir die Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung zu einem verbindlichen Fahrplan mit konkreten und wirksamen Maßnahmen für alle Politikbereiche weiterentwickeln. Und wir kämpfen für die Umsetzung der EU-Gleichstellungsstrategie, das Lösen der Blockade von Women on Board und die Paytransparency Richtlinie in der EU.
Gleichberechtigung ist auch eine Frage der politischen Repräsentation. Darum setzen wir uns für Paritätsgesetze für den Bundestag, die Länder und Kommunen ein, damit alle Geschlechter in gleichem Maße an politischen Entscheidungen beteiligt sind.
(…) Wir werden das Entgelttransparenzgesetz so weiterentwickeln, dass es Unternehmen und Verwaltungen verpflichtet, Löhne und Gehälter im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit zu überprüfen und Verfahren festzulegen, mit denen Ungleichheit bei der Entlohnung beseitigt wird, ohne dass sich Betroffene selbst darum kümmern müssen. Wir werden eine entsprechende Regelung auch auf europäischer Ebene vorantreiben.“ (S. 41)
„Wenn der Einsatz von Algorithmen, zum Beispiel bei der Personalrekrutierung, über das Leben oder die Chancen von Menschen mitentscheidet, dürfen sie niemals diskriminieren. Wir wollen verantwortungsvolle Künstliche Intelligenzen (KI) und Algorithmen, die vorurteilsfrei programmiert sind und auf diskriminierungsfreien Datenlagen basieren. Dies soll regelmäßig geprüft und zertifiziert werden.“ (S. 41)
„Dass jeden dritten Tag eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners stirbt, ist erschütternd. Jede siebte Frau erlebt Belästigung oder Gewalt am Arbeitsplatz. Um Gewalt gegen Frauen wirksam zu bekämpfen, werden wir die rechtlichen Grundlagen für eine wirksame Strafverfolgung und die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen verbessern. Entsprechend unserer Verpflichtungen aus der „Istanbul-Konvention“ werden wir das Hilfesystem aus Beratungsstellen, Frauenhäusern und anderen Schutzeinrichtungen weiterentwickeln und die internationalen Vereinbarungen zum Schutz vor Gewalt am Arbeitsplatz (ILO Konvention 190) umsetzen. Für von Gewalt betroffene Frauen führen wir einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz ein. Wir werden Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Femizide einrichten – also zur Verfolgung von Morden an Frauen, die begangen wurden, weil sie Frauen sind und setzen uns gesellschaftlich dafür ein, dass Femizide auch als solche benannt werden und nicht als „Verbrechen aus Leidenschaft“ oder „Familientragödie“. (S. 43)
„Wir erkennen die Verantwortung und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen an und wollen auch deshalb den Paragraphen 219a abschaffen. Zudem stellen wir in Hinblick auf die Paragraphen 218 ff. fest: Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafrecht.“ (s. 43)
„Kein Gericht sollte künftig mehr über die Anpassung des Personenstandes entscheiden. Psychologische Gutachten zur Feststellung der Geschlechtsidentität werden wir abschaffen. Jeder Mensch sollte selbst über sein Leben bestimmen können. Wir wollen, dass trans-, inter- und nicht binäre Menschen im Recht gleich behandelt werden, deshalb werden wir das Transsexuellengesetz reformieren. Das Diskriminierungsverbot wegen der geschlechtlichen und sexuellen Identität werden wir in Art. 3 Abs. 3 GG aufnehmen. Die gleichberechtigte Teilhabe aller Geschlechter und Identitäten ist ein Gewinn für die ganze Gesellschaft. So können alte Rollen- und Denkmuster aufgebrochen werden. Wir setzen uns für die Anerkennung und Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans-, Inter- und queeren Menschen (LSBTIQ*) ein. Wir setzen uns die rechtliche Absicherung von LSBTIQ*-Familien und Trans* und Inter*Personen zum Ziel. Wir stellen uns konsequent gegen Diskriminierung und Gewalt. Wir werden einen nationalen Aktionsplan gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interphobie und Gewalt gegen LSBTIQ* einführen und uns auf europäischer Ebene für die Ächtung solcher Diskriminierung einsetzen. Wir fördern den Kampf gegen Gewalt und Diskriminierung, die sich gegen queere Menschen richtet – in Deutschland und der Europäischen Union. Wir werden darauf hinwirken, dass die diskriminierende Richtlinie der Bundesärztekammer zur Blutspende abgeschafft wird.“ (S. 44)
Anti-Diskriminierung
„Es geht darum, allen Bürger*innen zu garantieren, dass sie dieselben Chancen und Möglichkeiten haben – frei von Diskriminierung. Dafür werden wir die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz modernisieren. Gleichzeitig werden wir nachdrücklich gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit, Antifeminismus, Sexismus und LSBTIQ*-Feindlichkeit vorgehen. Ein besserer Austausch und ein abgestimmtes Vorgehen, zum Beispiel durch die Schaffung einer Bund-LänderKommission, ist ein wichtiger Schritt. Zudem müssen Straftaten in diesem Bereich konsequenter erfasst und geahndet werden.“ (S. 45)
Integration
„Auch die Integration klappt am besten mit der Familie. Die Regelungen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wollen wir daher wieder an die für Flüchtlinge angleichen. Dabei werden wir auch Regelungen für den Geschwisternachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen schaffen. Jeder, der bei uns lebt, soll das Recht haben, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Arbeitsverbote werden wir daher abschaffen.
Auch der Zustand von jahrelanger Kettenduldungen ist ein Integrationshemmnis und muss durch Stichtagsregelung beendet werden, um Menschen eine Perspektive zu geben. Die zwangsweise Rückführung von Menschen in Länder, in denen ihnen Gefahr für Leib und Leben droht, lehnen wir ab.
Gleichwohl muss unsere Integrationsfähigkeit weit mehr als die Finanzierung von Sprach- und Integrationskursen umfassen. Und es geht auch nicht nur um neu Zugezogene. Auch die Kinder und Enkel der damals so genannten „Gastarbeiter*innen“ und Vertragsarbeiter*innen“ der 60er Jahre erfahren noch heute Diskriminierung im Alltag.“ (S. 45)
„Unsere Gesellschaft des Respekts braucht ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Nachdem wir bereits dafür gesorgt haben, dass grundsätzlich alle in Deutschland geborenen Kinder mit der Geburt auch deutsche Staatsbürger*innen sind, werden wir auch die generelle Möglichkeit von Mehrstaatigkeit gesetzlich verankern. Wir wollen bestehende Hürden bei Einbürgerungen abschaffen und hierfür auch die geltende Regelaufenthaltsdauer von bisher acht Jahren verkürzen. Für den Kampf gegen Rassismus in der deutschen Gesellschaft braucht es eine kritische Auseinandersetzung mit unserer kolonialen Vergangenheit. Es gilt verantwortungsvoll mit unserer historischen Schuld umzugehen. Wir begrüßen das Engagement in den Religionsgemeinschaften und Kirchen. Den interreligiösen Dialog und den Dialog von Religionen, Weltanschauungen und Kulturen werden wir weiter fördern und verstärken. Wir begrüßen das Engagement von säkularen Initiativen der Zivilgesellschaft. Die Religionsfreiheit ist fest im Grundgesetz verankert und wir schützen sie.“ (S. 46)
Kampf gegen Extremismus und Rolle der Sicherheitsbehörden
„Extremisten und Terroristen bedrohen unsere freie Gesellschaft. Um dieser erheblichen Gefahr wirksam begegnen zu können, muss der Verfassungsschutz die Rolle eines demokratischen Frühwarnsystems erfüllen. Verfassungsfeindliche Organisationen werden wir verbieten. Wo Religionsfreiheit missbraucht wird und in religiösen Fanatismus umschlägt, müssen staatliche Sicherheitsbehörden konsequent eingreifen. Mit aller Konsequenz und Härte werden wir weiter gegen Terror und Gewalt vorgehen. Dafür haben wir die gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden oder auch bei der Bundeswehr bekämpfen wir konsequent. Der Entstehung von rassistischen Denkmustern im Polizeialltag wirken wir durch die Ermöglichung von mehr Supervision, Fort- und Weiterbildungen sowie guten Arbeitsbedingungen entgegen. Wir unterstützen die Einrichtungen von Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Verfolgung von Antisemitismus und Rassismus.“ (S. 47)
Kulturförderung v.a. im Kontext einer Erinnerungskultur
„Angesichts der existentiellen Bedeutung von Kunst und Kultur müssen wir uns als Gesellschaft darüber verständigen, was Kulturpolitik im 21. Jahrhundert leisten muss. Dafür wollen wir die kulturpolitischen Spitzengespräche zu einem bundesweiten Kulturplenum weiterentwickeln, in dem neben Kommunen, Ländern und Bund auch Kulturproduzent*innen, ihre Verbände und die Zivilgesellschaft vertreten sind, um einen neuen Kulturkonsens über die Aufgaben und Verfahren der Kulturpolitik, ein kulturelles Bündnis der Vielfalt und Freiheit zu erarbeiten. Wir wollen Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern.“ (S. 48)
„Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus stellen uns vor neue Herausforderungen insbesondere in der Aufarbeitung der NS-Verbrechen und der Shoa. Wir werden die wissenschaftliche und geschichtsdidaktische Aufbereitung der Zeitzeugenberichte und des Quellenmaterials zur NS-Zeit besser unterstützen. Wir werden kleine Initiativen und Gedenkorte stärker unterstützen und eingedenk des Versterbens von Zeitzeugen die Entwicklung neuer Formen der Gedenkkultur fördern
Wir werden die Bundesstiftung Aufarbeitung stärken, damit auch das Engagement der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur landesweit mehr Unterstützung erhält. Wir unterstützen das Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit.
Mit Blick auf die von Deutschen verübten Kolonialverbrechen werden wir auch bundespolitisch die Entwicklung einer postkolonialen Erinnerungskultur fördern. Zu ihr gehören ein veränderter Umgang mit kolonial belastetem Sammlungsgut in Museen. Herausragende Orte der Demokratiegeschichte Deutschlands wollen wir auf Bundesebene fördern.“ (S. 49)
Pressefreiheit und Schutz von PressevertreterInnen
„Mit Sorge nehmen wir wahr, dass Journalist*innen und Medienunternehmen in vielen Teilen der Welt zunehmend durch staatliche Institutionen und Amtsträger angegriffen, bedroht und in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden. In bilateralen Gesprächen und zwischenstaatlichen Zusammenschlüssen werden wir daher Initiativen für den Schutz der Pressefreiheit sowie der Arbeit von Journalist*innen und Medienunternehmen verstärken.“ (S. 50)
Innere Sicherheit
Aus kriminologischer Perspektive ist der Abschnitt „Sicher leben“ (S. 51ff.) der ergiebigste. Es werden u.a. die Themen Prävention; Schutz MitarbeiterInnen von Polizei, Rettungsdiensten und Behörden; Kampf gegen Organisierte Kriminalität; Stärkung der Justiz/ Verfahrensgeschwindigkeit; Stärkung/ Festhalten an Resozialisierung; Deradikalisierungsprogramme und Fortführung des Periodischen Sicherheitsberichtes angesprochen.
„Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt. Wir werden dafür sorgen, dass dies so bleibt. Denn wer von Kriminalität bedroht ist oder sich von ihr bedroht fühlt, handelt nicht mehr frei.
Durch vorbeugende Maßnahmen wollen wir verhindern, dass Bürger*innen Opfer von Kriminalität werden. Gute Sozial-, Arbeitsmarkt-, Kinder-, Familien- und Integrationspolitik bilden die notwendige Basis einer erfolgreichen Prävention.
Für mehr Sicherheit in Deutschland kommt es auf motivierte, gut ausgebildete und gut ausgestattete Polizist*innen an. Es ist unakzeptabel, dass Polizist*innen und Rettungsdienste wie auch Behördenmitarbeiter*innen zunehmend angegriffen und beleidigt werden. Sie verdienen Anerkennung und Respekt für ihre Arbeit. Das muss sich auch in einem modernen Dienstrecht, guten Arbeitsbedingungen und in einer Angemessenen [sic!] Bezahlung für Beamt*innen und Mitarbeiter*innen der Polizei widerspiegeln. Bund und Länder müssen als attraktiver öffentlicher Dienst untereinander wieder durchlässiger werden und gleichzeitig gegenüber der Wirtschaft wettbewerbsfähig sein.
Wir bekämpfen organisierte Kriminalität, insbesondere den Menschenhandel, wie auch Drogenhandel, bandenmäßige Wohnungseinbrüche und Wirtschaftskriminalität. Wir sorgen dafür, dass die Herkunft von schmutzigem Geld einfacher nachweisbar wird. Notwendig sind kontinuierliche und flächenübergreifende Strukturermittlungen der Länderpolizeien, der Bundespolizei und des Zolls zusammen mit BKA und Europol.
Wir verbessern die Strukturen der Sicherheitsbehörden und sorgen für eine reibungslosere Verzahnung mit der Justiz. Auch hierfür ist es notwendig, dass wir den Pakt für den Rechtsstaat fortführen. Bei begangenen Straftaten müssen Verfahren unmittelbar aufgenommen werden. Die Bestrafung muss schnell im Zusammenhang mit der Tat erfolgen.
In Gefängnissen sollen Täter*innen ihre Strafe verbüßen. Sie sollen immer auch Orte der Resozialisierung sein. Mit den Bundesländern werden wir Maßnahmen zum Schutz vor Radikalisierung und zur Deradikalisierung von Straftäter*innen voranbringen. Um gezielter vorbeugen zu können, müssen wir mehr wissen über Kriminalitätsentwicklungen. Dafür werden wir den Periodischen Sicherheitsbericht wieder regelmäßig erarbeiten lassen.
Wir haben in Deutschland ein leistungsfähiges Hilfesystem für Katastrophen. Ehrenamtliche bilden gerade im ländlichen Raum das Herzstück dieser Strukturen. Wir werden dieses unverzichtbare Engagement weiter unterstützen.
Gleichzeitig zeigen sich hier neue wie bereits bekannte Herausforderungen: Cyberattacken, Desinformation und Terrorismus stellen erhebliche Bedrohungen dar, die schnell weite Teile Bevölkerung betreffen können. Wir sorgen dafür, dass Bund, Länder und Kommunen besser und schneller Hand in Hand arbeiten können.“ (S. 51)
Drogenpolitik
Die SPD spricht für die Entkriminalisierung des Besitzes kleiner Mengen von Cannabis aus. Ferner tritt sie für eine regulierte Abgabe von Cannabis im Rahmen von Modellprojekten ein.
„Wie Alkohol ist auch Cannabis eine gesellschaftliche Realität, mit der wir einen adäquaten politischen Umgang finden müssen. Verbote und Kriminalisierung haben den Konsum nicht gesenkt, sie stehen einer effektiven Suchtprävention und Jugendschutz entgegen und binden enorme Ressourcen bei Justiz und Polizei. Eine regulierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene soll in Modellprojekten von Ländern und Kommunen erprobt werden können, begleitet durch Maßnahmen der Prävention, Beratung und Behandlung im Jugendbereich. Zudem werden wir bundeseinheitlich regeln, dass der Besitz kleiner Mengen von Cannabis strafrechtlich nicht mehr verfolgt wird.“ (S. 52)
Außen-, Flüchtlings- und Sicherheitspolitik
„Mit unserer Politik in Europa wie in der Welt wollen wir die Agenda 2030 der Vereinten Nationen umsetzen, in der sich die Völker der Welt zu einer gemeinsamen nachhaltigen Zukunft in Frieden, Freiheit und gesellschaftlichem Zusammenhalt verpflichtet haben.“ (S. 55)
„Wir werden die Demokratie in Europa stärken. Dass unsere europäische Wertegemeinschaft zunehmend auf die Probe gestellt und populistische und nationalistische Regierungen die Unabhängigkeit der Justiz und grundlegende Rechte beschneiden, nehmen wir nicht hin. Der Schutz von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in Europa bildet das Fundament für eine geeinte europäische Zukunft. Dazu gehört eine Vervollständigung der Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments, inklusive eines echten Initiativrechts. Wir werden ein gemeinsames Wahlrecht zur Wahl der europäischen Volksvertretung schaffen.“ (S. 58)
„Desinformationskampagnen, Fake News und Hassreden stellen eine Bedrohung der Demokratie dar. Wir setzen uns für europäische Regelungen ein, um strafbare Online-Hassreden effektiv zu bekämpfen und werden europäische Frühwarnsysteme gegen Desinformationskampagnen ausbauen.“ (S. 58)
„Wir werden die Genfer Flüchtlingskonvention verteidigen. Pushbacks sind eine eklatante Verletzung des Völkerrechts. Seenotrettung ist eine Verpflichtung aus dem internationalen Seerecht und darf nicht kriminalisiert werden, sondern sollte auch staatlich durch die EU gewährleistet werden. Im Rahmen eines umfassenden Ansatzes sollten legale Migrationswege geschaffen und die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpft werden.“ (S. 58)
„Wir setzen uns ein für eine EU-weite Ratifizierung der Istanbul-Konvention des Europarats als verbindliche Rechtsnorm gegen Gewalt an Frauen.“ (S. 58)
„Wir setzen uns dafür ein, dass Europa eine Vorreiterrolle bei internationaler Krisenprävention, Friedens- und Demokratieförderung sowie zum Schutz von Menschenrechten einnimmt. Europas Verantwortung in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe werden wir durch eine Erhöhung der EU-Mittel stärken.
Mehr Eigenständigkeit setzt höhere Handlungsfähigkeit voraus. Grundlegend dafür ist die Einführung von Mehrheitsentscheiden in der Außenpolitik – statt des jetzigen Einstimmigkeitsprinzips. Auch das Amt des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik sollte langfristig zu einem EU-Außenminister weiterentwickelt werden. Wir wollen eine gemeinsame Ausrichtung unserer globalen Entwicklungszusammenarbeit und deswegen unsere Kräfte in Europa bündeln.“ (S. 59)
„Die NATO ist und bleibt ein tragender Pfeiler der transatlantischen Partnerschaft und für Europas Sicherheit unverzichtbar. Parallel dazu muss die EU sicherheits- und verteidigungspolitisch eigenständiger werden. Die europäische Zusammenarbeit werden wir ausbauen. Unser Ziel bleibt eine europäische Armee als Teil der Friedensmacht Europa. (…) Souverän muss Europa neue Rüstungskontroll- und Abrüstungsinitiativen für den europäischen Kontinent entwickeln, um frühzeitig auf die Risiken neuer Technologien und gefährliche Entwicklungen im Cyberbereich oder im Weltraum reagieren zu können.“ (S. 59)
„Nun wollen wir auch ein Gesetz zur Rückverfolgung auf dem Weltmarkt gehandelter Güter auf europäischer Ebene verankern, mit verbindlichen und sanktionsbewehrten Regeln, Zugang zu Gerichten in Europa und Entschädigung der Opfer. Wir unterstützen ein VN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten, um Globalisierung im Sinne der Menschenrechte zu gestalten.“ (S. 61)
„Menschen, die durch Konflikte, Epidemien oder Naturkatastrophen in Not geraten sind, bedürfen unserer Hilfe. Als reiches Industrieland werden wir unser Engagement für humanitäre Hilfe weiterhin an den steigenden humanitären Bedarfen orientieren und daran arbeiten, die Basis der internationalen Geber zu stärken und auszuweiten. Darüber hinaus gilt für uns weiterhin: Fluchtursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete. Zusammen mit Partnerländern werden wir uns deshalb dafür einsetzen, dass der Globale Pakt für Migration umfassend umgesetzt wird.“ (S. 62)
Verteidigungspolitik, Abrüstung, Menschenrechte
„Die friedenspolitischen Herausforderungen nehmen zu. Gesundheitskrise, Klimawandel und Ungerechtigkeit verschärfen bestehende Konflikte und entfachen neue. Autonome Waffensysteme senken die Schwelle für kriegerische Handlungen, Kernwaffen erleben ein Comeback, digitaler Fortschritt macht uns verwundbar für Cyberangriffe. Dafür werden wir auf parlamentarischer Ebene einen Mechanismus einrichten, durch den neue Programme, Gesetze, Vorhaben daraufhin überprüft werden, ob sie friedenspolitischen Zielen widersprechen.“ (S. 62)
„Zur Sicherung des Friedens- und der Verteidigung leistet die Bundeswehr einen verantwortungsvollen Beitrag. Wir stehen für das Primat der Politik und für das Leitbild der Inneren Führung der Soldat*innen als Staatsbürger*innen in Uniform. Für uns steht fest, dass wir nur mit einer gut ausgestatteten und modernen Bundeswehr unseren Aufgaben als zuverlässiger Partner in Europa und der NATO gerecht werden können.“ (S. 63)
„Ausrüstung statt Aufrüstung – diesem Prinzip verpflichtet, haben wir wesentliche Beschaffungsvorhaben für die Bundeswehr vorangetrieben und setzen uns kontinuierlich für die Verbesserungen der persönlichen Ausrüstung und sozialen Absicherung ein. (…) Wir stehen für den bestmöglichen Schutz unserer Soldat*innen. Dazu gehört auch der Einsatz von Drohnen. Die Entscheidung, ob diese auch bewaffnet werden sollen, kann verantwortbar erst nach einer umfassenden politischen und gesellschaftlichen Debatte und der sorgfältigen Würdigung aller Aspekte getroffen werden.“ (S. 63)
„Wir setzen uns dafür ein, dass unbemannte bewaffnete Drohnen international erfasst und in ein internationales Regelwerk einbezogen werden, um dem Trend einer zeitlichen und räumlichen Entgrenzung militärischer Gewalt ebenso entgegenzuwirken wie den Befürchtungen einer technologischen und funktionalen Autonomie. Wie notwendig ein solches Regelwerk ist, hat nicht zuletzt der massive Einsatz von bewaffneten Drohnen als Angriffswaffen im Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien und im Libyen-Konflikt gezeigt. Dieser Einsatz hat neue Fragen aufgeworfen, die in einer umfassenden Debatte zu berücksichtigen sind. Vor der Entscheidung über ein Nachfolgesystem des Kampfflugzeugs Tornado setzen wir uns für eine gewissenhafte, sachliche und sorgfältige Erörterung der technischen nuklearen Teilhabe ein.“ (S. 63)
„Der im Rahmen der Vereinten Nationen beschlossene und inzwischen in Kraft getretene Atomwaffenverbotsvertrag bringt eine weitere Dynamik in die Bemühungen für eine nuklearwaffenfreie Welt. Deutschland sollte als Beobachter bei der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags die Intentionen des Vertrages konstruktiv begleiten. Auch setzen wir uns ein für den Beginn von Verhandlungen zwischen den USA und Russland zur verifizierbaren, vollständigen Abrüstung im substrategischen Bereich mit dem Ziel, die in Europa und in Deutschland stationierten Atomwaffen endlich abzuziehen und zu vernichten. Wir werden zudem Rüstungskontrolle auch in den Bereichen Biotechnologie, Cyber und Künstliche Intelligenz etablieren. Die Ächtung autonomer tödlicher Waffensysteme bleibt unser Ziel. Bei allen Bemühungen um Abrüstung muss stärker als bisher auch China einbezogen werden.“ (S. 63)
„Für uns ist die Unteilbarkeit und universelle Geltung der Menschenrechte nicht verhandelbar. Um Menschenrechte durchzusetzen, müssen wir diejenigen schützen, die für sie eintreten. Wir werden das im EU-Rahmen unter deutscher Ratspräsidentschaft geschaffene Menschenrechts-Sanktionsregime konsequent nutzen. Dazu gehören Einreiseverbote und das Einfrieren von Konten. Auch werden wir die Möglichkeiten der weltweiten Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzern fördern und den Internationalen Strafgerichtshof stärken. Indem wir die mit Menschenrechten befassten Institutionen des Bundestags und der Bundesregierung unterstützen und weiter ausbauen, stärken wir die Menschenrechtsarchitektur.“ (S. 64)
Zusammenfassung
Zentrale Positionen werden abschließend in einem „Leitgedanken für ein neues Jahrzehnt“ (S. 65) zusammengefasst.
„In den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts entscheidet sich, welche Rolle Deutschland und Europa in der Welt spielen werden. Mit unseren Zukunftsmissionen werden wir heute die Zukunft gestalten.“ (S. 65)
„Wir wollen respektvoll zusammenleben. Unsere Gesellschaft lebt von ihrer kulturellen Vielfalt, Kreativität und Verschiedenheit. Demokratie und soziale Gerechtigkeit sind die Grundlagen für eine starke Gesellschaft, die Extremismus, politischem Hass und gesellschaftlicher Hetze den Kampf ansagt und vor Kriminalität schützt.
Wir wollen Frieden sichern. Aus einer starken europäischen Gemeinschaft ziehen wir die Kraft für eine gemeinsame Friedenspolitik, die Konflikte löst und Menschen über Grenzen zusammenbringt.
Wir wollen Verantwortung übernehmen. Wohlstand und Anstand dürfen keine Gegensätze sein. Unser Lebensstandard darf nicht auf der Ausbeutung von Mensch und Natur beruhen. Weder in Deutschland noch in Europa oder anderen Regionen der Welt.“ (S. 65)
Fazit
Der deutsche Kriminologe und Strafrechtler Franz von Liszt postulierte vor über einhundert Jahren, dass die beste Kriminalpolitik eine gute Sozialpolitik sei. Herr von Liszt hätte vermutlich seine Freude am Wahlprogramm der SPD, mit der starken Fokussierung auf die Schaffung und Sicherung einer sozialen, gerechten Gesellschaft. Die Abgrenzung zu konservativeren Parteien und ihren neoliberaleren Vorstellungen von Sozialpolitik wird offenbar. Positiv überrascht die starke Orientierung auf Cyber-, bzw. Netzsicherheit.
Ebenfalls hervorzuheben ist die starke außenpolitische Orientierung des Programms mit seinem Fokus auf „Freiheit und Rechtstaatlichkeit in Europa“.