Im Zentrum des zweiten Teils des Kriminalpolitischen Parteien-Checks zur Bundestagswahl 2021 steht das Wahlprogramm von CDU/ CSU: Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam für ein modernes Deutschland.
Wahlprogramm CDU/CSU – kriminologisch bedeutsame Aspekte
Das CDU/CSU-Wahlprogramm steht unter dem Motto „Das Programm für Stabilität und Erneuerung – gemeinsam für ein modernes Deutschland“.
Der Staat soll sich danach im zivilen Bereich weniger regulierend eingreifen (insbesondere auf die Corona-Einschränkungen bezogen), sich dafür aber im Bereich der Sicherheitspolitik stärker engagieren. Wirtschaftliche Stärke, Klimaschutz und soziale Sicherheit sollen gleichermaßen gewährleistet werden. Zugleich grenzt sich das Programm gegen so verstandene linke und rechte Identitäts- sowie linke Verbots- und Umverteilungspolitik ab. Dagegen wird die Einheit einer individualisierten Gesellschaft betont:
„Der Staat muss sich nach der Pandemie wieder deutlich zurückziehen und den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen mehr Freiraum lassen. Wir müssen aufhören, jedes Problem bis ins Detail zu regeln oder mit mehr Geld lösen zu wollen.“ (S. 4)
„Wir wollen ein modernes Deutschland, das an morgen denkt, heute handelt und gemeinsam ganz Großes weiterwachsen lässt: wirtschaftliche Stärke, konsequenten Klimaschutz und soziale Sicherheit. Deshalb soll Deutschland deutlich vor Mitte des Jahrhunderts eine klimaneutrale Industrienation werden.“ (S. 5)
„Wir haben für diese Aufgabe die richtigen Werte und Prinzipien: Vernunft statt Ideologie, Innovationen statt Verbote, Soziale Marktwirtschaft statt sozialistischer Umverteilung, Chancen statt Ängste, Respekt statt Bevormundung für Familien, christliches Menschenbild und gesellschaftliche Vielfalt statt vorgefertigter Lebensentwürfe für jeden Einzelnen. Wir spielen vermeintliche Gegensätze und unterschiedliche Gruppen nicht gegeneinander aus. Wir verbinden sie. Weil wir wissen: Gerade in einer individualisierten Gesellschaft ist es wichtig, dass wir bei den großen Fragen in eine gemeinsame Richtung gehen, dass jeder die Gewissheit hat, Teil eines Ganzen zu sein – ob jung oder alt, ob auf dem Land oder in der Stadt, ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber.“ (S. 5)
Sicherheitspolitik
Zur Sicherheitspolitik im Einzelnen:
Neue Stärke für mehr Sicherheit – aus Verantwortung für unsere Freiheit (S. 106)
Die CDU/CSU plädiert für einen starken Staat, der stärker auf Sicherheit ausgerichtet ist. Freiheit wird dabei als gegeben vorausgesetzt:
Wir stehen dabei fest an der Seite derjenigen, die täglich alle Anstrengungen unternehmen, um Sicherheit in Freiheit zu verteidigen.
Die zentralen Sicherheitsthemen sind: Einbrecher, kriminelle Clans, gewaltbereite Extremisten, internationale Terroristen und (sonstige) Angriffe auf den Cyberraum, also etwa Wirtschaftsspionage. Daher soll die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates weiter gestärkt werden. Daneben wird auch (sexuelle) Gewalt gegen Frauen und Kinder thematisiert, fehlt aber bei der Aufzählung zu Beginn des sicherheitsrelevanten Abschnitts.
Das erste explizit aufgeführte kriminalpolitische Thema, dem so eine besondere Bedeutung zukommt, ist der Einbruchdiebstahl. Dabei sollen insbesondere „softwaregestützte Werkzeuge“ verstärkt zum Einsatz kommen einschließlich des entsprechenden Datenaustauschs. Brennpunkte sollen stärker polizeilich überwacht werden. (S. 106–107)
Generell will die CDU „mehr Polizeipräsenz zeigen“, vor allem „auf Straßen und Plätzen – sowohl in der Stadt als auch in den ländlichen Räumen“ wie auch „in Zügen, auf Bahnhöfen und Flughäfen“. Offenbar mit Blick auf die Broken-Windows-Theorie wird ein Eintreten gegen „Verwahrlosung“ („verschmutzte Grünanlagen“, „Fassadenschmierereien“) und für „saubere Ortschaften und gepflegte Stadtteile“ angekündigt. Ergänzend soll der „intelligente(.) Videoschutz“ (auf der Basis von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz) ausgebaut werden, vor allem „in Fußballstadien, an Bahnhöfen […] sowie Bussen und Bahnen“. (S. 107)
Angriffe auf „Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter und andere Einsatzkräfte“ sollen härter bestraft werden. (S. 107–108)
Schutz für Kinder und Frauen vor Gewalt und Missbrauch
Das zweite sicherheitspolitische Thema ist „Voller Schutz für Kinder und Frauen vor Gewalt und Missbrauch„. Dazu heißt es: „Wir stehen dafür, dass sich kein Täter sicher fühlen darf, und stellen Opferschutz vor Täterschutz.“ Hier wird auf bereits durchgesetzte Strafverschärfungen bei Kindesmissbrauch, sowie Mitteilungs- und -wirkungspflichten von Internetprovidern verwiesen.
Angekündigt werden Maßnahmen wie eine Erweiterung des Einsatzes der elektronischen Fußfessel bei Sexualstraftätern und ein lebenslanger Eintrag im erweiterten polizeilichen Führungszeugnis. Außerdem soll hier die Vorratsdatenspeicherung von Telefonnummern und IP-Adressen etc. auf europäischer Ebene ermöglicht sowie Beweisregelungen verbessert werden. Die Vorratsdatenspeicherung wird dabei als „schärfste Waffe im Kampf gegen den Kindesmissbrauch“ bezeichnet.
Zum Schutz von Kindern vor Missbrauch und Gewalt sollen
- in Kitas und Schulen „verpflichtend sexualpädagogische Schutzkonzepte“ eingeführt
- regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen durchgeführt
- im Verdachtsfall die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Jugendhilfe verbessert
- die Medienkompetenz bei Kindern verbessert und
- Telemedienanbieter zu besseren Schutzkonzepten verpflichtet
werden.
Kinderschutz soll zum Pflichtfach für alle werden, die mit Kindern arbeiten. Kinder als Zeuginnen und Zeugen sollen „so behutsam wie möglich“ behandelt werden.
Zum Schutz von Frauen vor Gewalt wird vor allem eine „rigorose“ Ahndung von Gewaltstraftaten angekündigt:
- solche Straftaten sollen eigens in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst werden
- eine gerichtsfeste Beweisaufnahme soll flächendeckend angeboten werden, ohne zwangsläufige Amtsermittlung
- der Prostituiertenschutz soll ausgebaut werden durch Strafschärfungen und mehr Kontrolle, insbesondere beim Straßenstrich (S. 108–109)
Organisierte Kriminalität
Das dritte große Thema ist die organisierte Kriminalität, und dabei insbesondere der Menschen-, Drogen-. und Waffenhandel.
Diesbezüglich wird vor allem eine bessere grenzübergreifende Zusammenarbeit angekündigt, bezogen auf EUROPOL und die Herkunftsländer der Täter („kriminelle Clans“ werden hier explizit genannt).
Dazu sollen
- Autokennzeichen im Grenzverkehr mit automatischen Lesegeräten erfasst,
- die Möglichkeit Bundespolizei zur („lagebildabhängigen“) Schleierfahndung ausgeweitet (international bedeutsame Verkehrswege, Umfeld von Bahnhöfen und Flughäfen) und
- der für die Bundespolizei geltenden Grenzkorridor ausgedehnt
werden.
Des Weiteren soll die Geldwäsche „noch konsequenter“ bekämpft werden durch
- vollständige Beweislastumkehr bei unklaren Vermögen,
- Verbieten des Privaterwerbs von Grundstücken durch Barzahlung (nur durch Banken, die die Identität des Käufers und Herkunft des Geldes zu prüfen haben, auch bei Kryptowährung),
- Ausbau polizeilicher Befugnisse von Zoll, Steuerfahndung und Finanzkontrolle,
- Frankfurt a.M. als Sitz einer neuen EU-Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (S. 110–111)
Als eigene Überschrift wird die organisierte Kriminalität von Familienclans genannt.
Es ginge darum, Parallelgesellschaften zu verhindern. Dazu müssten „kriminelle Clans systematisch gestört“ werden. Sie dürften „keine ruhige Minute mehr haben“: „Der Staat ist da und lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen!“.
Dazu aufgeführte Maßnahmen sind:
- länder- und behördenübergreifende Ermittlungen,
- Verstärkung des internationalen Austauschs bzgl. aller „relevanten Daten“,
- einfache Inhaftnahme von abgeschobenen „Schwerkriminellen[n] und Gefährder[n], soweit sie nach Deutschland zurückgekehrt sind und
- möglichst schnelle Abschiebung, soweit keine deutsche Staatsangehörigkeit vorliegt.
Der „Ausstieg aus Clans“ soll unterstützt werden, insbesondere durch Herausnahme von Kindern/Jugendlichen und Frauen aus den Familien. Dazu kommen Ausstiegs- und Zeugenprogramme. (S. 111–112)
Extremismus
Das 5. große Thema ist die Bekämpfung von Extremismus. Dabei wird der Rechtsextremismus als größte Gefahr benannt (verstärkte Ermittlungsaufwendungen gegen „cold cases“); es werden aber auch Maßnahmen gegen „gewaltbereiten Linksextremismus“ sowie Islamismus angekündigt. Dazu wird der Kampf gegen den ideologieübergreifenden Antisemitismus besonders hervorgehoben; aber auch Islamfeindlichkeit, Antiziganismus etc. werden thematisiert.
Offenbar gegen die Linkspartei gerichtet, wird „jede Schwächung des Verfassungsschutzes“ abgelehnt.
Maßnahmen gegen Radikalisierung:
- durch gezielte Bildungsarbeit sollen „problematische Entwicklungen“ frühzeitig erkannt und darauf reagiert werden
- durch den Verfassungsschutz sollen soziale Netzwerke „in den Fokus“ genommen werden, „gerade mit Blick auf selbstradikalisierte Einzeltäter“.
- in den Gefängnissen soll zur Radikalisierungsvermeidung gezielt „intensive Präventionsarbeit“ durchgeführt werden
- die Ausstiegsberatung soll gestärkt werden
- Präventionsprogramme des Bundes sollen systematisch evaluiert, professionalisiert und standardisiert werden
- Einführung einer Demokratieklausel für Empfänger von Fördergeldern – klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung
Maßnahmen zur Extremismusbekämpfung
- Verbote verfassungsfeindlicher Organisationen und Vereine
- Verbot von Symbolen des Hasses und des Terrors
- Einreise- und Aufenthaltsverbote, Ausweisungen, Abschiebungen, Grundrechtsverwirkungen
- Überwachung von Gefährdern (z.B. elektronische Fußfessel)
- Sicherungsverwahrung radikalisierter Gefährder, sobald sie strafrechtlich in Erscheinung treten (Ausbildung im Ausland als Terrorist)
- Strafbarkeit von „Werbung um Sympathie für kriminelle oder terroristische Vereinigungen“
- Stärkere waffenrechtliche Kontrolle bzw. erleichterter Datenaustausch zwischen Behörden; lebenslanges Waffenverbot
- Erhöhung der Mindeststrafe für illegalen Waffenhandel (Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren)
- Stärkerer Schutz von Politikern vor Angriffen (S. 112–115)
Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden
Der 6. Hauptpunkt ist die weitere Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden – das ist aber letztlich nur eine Fortsetzung des vorigen Punktes, nämlich die Abwehr von Extremismus und Terrorismus.
Betont wird die Tätigkeit diverser Terrorismusabwehrzentren, die die Zusammenarbeit von Bund und Ländern einerseits und Verfassungsschutz und Polizei andererseits koordinieren sollen.
Das betrifft z.B. die länderübergreifende umfassende Überwachung und automatisierte ‚Übergabe‘ „politisch motivierte[r] Straftäter“. Insbesondere müssten danach die polizeilichen Befugnisse auch im digitalen Bereich ausgeweitet werden.
In diesem Zusammenhang wird auch noch einmal auf die Unterbindung der Finanzierung des Terrorismus eingegangen.
Außerdem müsse die Bundeswehr zum Schutz vor terroristischen Bedrohungen im Inland eingesetzt werden können.
Des Weiteren soll es gemeinsame „interdisziplinäre“ Übungen von Polizeien und anderen Sicherheitskräften geben. (S. 116–117).
Fazit
Es handelt sich aus kriminologischer Sicht um ein klassisches konservatives Programm, das auf Deregulierung im zivilen Bereich („Freiheit“) und starke Regulierung im Bereich Kriminalitäts-/Ordnungspolitik („Sicherheit“) setzt. Zugleich sollen wirtschaftliche Stärke, Klimaschutz und soziale Sicherheit verwirklicht werden. Verbindungen und Spannungsverhältnisse zwischen den genannten Bereichen werden dabei nicht thematisiert, auch insoweit sie unterschiedlichen Segmenten der Gesellschaft zugeordnet werden.
Weitere Weichenstellungen: Die starke sicherheitspolitische Ausrichtung geht notwendig zulasten des Datenschutzes sowie der Länderkompetenz.