Nach dem schrecklichen und tragischen Geschehen am Samstag in München steht zu befürchten, dass das Thema Jugendgewalt den restlichen Wahlkampf beherrschen und je nach Wahlausgang zu symbolischen Maßnahmen mit fragwürdigen Auswirkungen führen wird.
Zwei Jugendliche hatten an einer Münchener S-Bahnstation einen 50-jährigen so zusammengeschlagen, dass er an den Folgen noch am selben Tag starb. Er hatte Jugendliche verteidigen wollen, von denen die Täter Geld erpressen wollten. Die Einzelheiten sind, soweit bisher bekannt, hier dokumentiert:
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/123/487527/text/
Erwartbar war die bei solchen Gelegenheiten regelmäßig erhobene Forderung der CSU nach höherer Jugendstrafe (15 Jahre) und die Regel einer Bestrafung nach Erwachsenenstrafrecht ab 18. Auch flächendeckende Videoüberwachung (in der S-Bahn gab es das bisher nicht ) und mehr Polizeipräsenz wurden verlangt. Das Übliche also. Für Trauer und Besinnung bzw. eine Denkpause blieb da offenbar keine Zeit – stattdessen wurden die altbekannten „Lösungen“ hervorgezerrt, deren Unsinnigkeit ich hier nicht weiter betonen muss.
Gestern im den Tagesthemen hat ein Polizeipsychologe im Hinblick auf den „Bystandereffekt“ mehr Öffentlichkeit, also das Eingreifen der übrigen Fahrgäste verlangt. Da wäre aber erst mal eine Diskussion vonnöten, wieso eigentlich „Privatheit“ so verbreitet ist. Jessica Benjamin, eine feministische Psychoanalytikerin, vertritt etwa die These, dass die Trennung von öffentlich und privat geradezu ein Grundelement der bürgerlichen Kultur und ihrer Familienstruktur sei und ich finde diese These sehr bedenkenswert. Den Enklaven der bürgerlichen Familie, die Sicherheit bieten sollen, steht ein abstrakter öffentlicher Raum – die Freiheit am Markt – gegenüber, indem man leicht verloren gehen kann. Solche Gewaltexzesse wie der in München ergeben sich doch nicht einfach so aus heiterem Himmel. Da steckt doch eine offenbar defizitäre Entwicklung dahinter, für die man nicht nur die Täter verantwortlich machen kann. Und die kalte Reaktion der Vertreter konservativer Politik mag hier eher andeuten, wo die gesellschaftlichen Ursachen zu suchen sind.
Wesentlich differenzierter hatte gestern der Münchener Grünenabgeordnete Montag geäußert, der auch davon sprach, die Hilflosigkeit angesichts solcher Geschehnisse erst einmal zuzulassen. Er hielt auch die bestehenden gesetzlichen Vorschriften für ausreichend.
Ein allgemeiner Konsens, auch in der gestrigen Diskussion der am Sonntag ausgeschlossenen drei Parteiführer besteht in der Erhöhung von Polizeipräsenz. Da scheint mir aber ein irrationales Verlangen nach absoluter Sicherheit dahinterzustehen. Die Polizeipräsenz ist schon sehr hoch und – wie kürzlich in Berlin zu sehen – nicht immer segensreich.
Cymaphore schreibt
Was, dabei ist es doch gemeinhin bekannt das es heute mit der Jugend so schlimm ist wie nie zuvor! Keine Moral mehr, keine Werte mehr! Die armen unschuldigen Politiker werden dann im Wahlkampf mit sowas konfrontiert, obwohl sie überhaupt und sehr garnichts dafür können… ts ts ts 😉 😉
http://cymaphore.net/journal/entry/27/200909151109/Die_Jugend_zerst%C3%B6rt_die_Gesellschaft
Andreas P. schreibt
Herr Pfeiffer hat sich übrigens gestern im DLF für mehr Videoüberwachung ausgesprochen. Er glaubt, deren Präsenz würde den gewaltbereiten Jugendlichen zu rationalen Überlegungen – über seine Identifizierbarkeit etwa – veranlassen. Muss man nicht kommentieren.
Henning Ernst Müller schreibt
Teilweis bezieht man sich jetzt auf eine Zahl aus der PKS 2008. Angeblich seien schw. und gef. Körperverletzungen auf Straßen, Wegen und Plätzen um fast 10 % im Vergleich zu 2007 angestiegen. Die Zahl beruht aber auf einer unzuverlässigen, ja „chaotischen“ Erhebung. Siehe hier:
Mit besten Grüßen
Henning Ernst Müller
Henning Ernst Müller schreibt
Nachtrag: der oben schief gegangene Link:
http://blog.beck.de/2009/09/20/zur-gewalt-auf-deutschen-strassen-fehlerhafte-bka-kriminalstatistik-beeinflusst-politische-debatte
Andreas P. schreibt
Mit Statistiken ist das ohnehin immer so eine Sache. Die konkrete Dynamik eines Konflikts bleibt ausgeblendet und auch das, was Galtung als strukturelle Gewalt bezeichnet hat.
Ich frage mich, ob die jetzt oft zu hörenden Aufrufe zu mehr Einmischung bei gewalthaltigen Situationen nicht letztlich dazu führen, dass Menschen in Problemsituationen noch mehr in die Enge getrieben werden und die innere „ich-oder-die“ Situation noch mehr eskalieren kann. Das Strafrecht macht es schließlich vor: die Ultima Ratio ist immer Gewalt.