Sie wollten „Leute wegklatschen“, die Staatsanwaltschaft spricht von einem „Amoklauf ohne Waffen“: Die Schweizer Schüler, die während einer Klassenfahrt in München fünf Personen angegriffen haben, sitzen wegen versuchten Mordes in Untersuchungshaft.
Sie sind vorbestraft, auch ein Anti-Aggressions-Training hat nichts bewirkt: Die drei 16-Jährigen mussten in ihrer Heimatstadt Zürich unter anderem wegen gewalttätigen Körperverletzungen Sozialdienste leisten, einer musste sich im vergangenen Herbst einer Therapie unterziehen, so die Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
Mike B., Ivan Z. und Alex D., die sich auf Klassenfahrt in München aufhielten, hatten sich nach dem Abendessen mit Wodka eingedeckt und standen wohl auch unter dem Einfluss von Marihuana. Im Nußbaumpark prügelten die Jugendlichen dann grundlos auf drei ältere Männer ein. Anschließend zogen sie weiter zum ehemaligen ADAC-Hochhaus. Dort schlugen sie auf brutale Art und Weise einen 46-jährigen Geschäftsmann und anschließend, auf dem Weg in ihre Unterkunft, einen 27-jährigen Studenten nieder.
Die Ermittler bezeichnen die Tat als „noch alarmierender“ als den Fall der Münchner U-Bahn-Schläger vor eineinhalb Jahren. Damals hatten zwei junge Männer einen Rentner wegen dessen Hinweis auf das Rauchverbot in der U-Bahn lebensgefährlich verletzt. Sie hätten zumindest noch einen Auslöser für den Gewaltausbruch gehabt, so ein Polizeisprecher. Dieses Mal hingegen sei das einzige Motiv die „Lust am Klatschen“ gewesen.
„Das hat noch einmal eine höhere Dimension“, sagte Oberstaatsanwalt Anton Winkler. „Es gab überhaupt keinen Grund, hier werden nur aus Spaß brutale Taten begangen.“ Polizeisprecher Wenger warnt vor einer Verrohungstendenz, appelliert an die Jugend: „Wer so etwas macht, wird erwischt.“
(Quellen: sueddeutsche.de; spiegel.de)
Die Täter wurden bereits drei Stunden nach der Tat gefasst und hätten nun mit aller Härte des Gesetzes zu rechnen, so Winkler. Denn auf versuchten Mord stehen nach Jugendstrafrecht bis zu zehn Jahre Haft. Die Botschaft die dahinter steht lautet: zero tolerance! Und in diese Richtung geht auch die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung. Denn dieser neue Vorfall von Jugendgewalt hat erneut eine intensive Diskussion über die Frage hervorgebracht, wie man mit jungen Gewalttätern umgehen soll. Soll man sie härter bestrafen, in Erziehungscamps stecken, mit einem Warn-Arrest schrecken oder ausweisen, wenn sie aus einer Migrantenfamilie kommen? Aus dem Blick gerät dabei, dass Gewalt immer Gründe hat und auf viele von ihnen haben wir sehr wohl Einfluss.
Deshalb ist es meiner Meinung nach der falsche Weg, nur nach härteren Strafen zu verlangen und dabei auszublenden, wo die Ursachen liegen. Stattdessen wird die Kampfparole „Amok“ verwendet, um die Taten der Jugendlichen – die ich hier keineswegs verharmlosen möchte – zu beschreiben und so – es handelt sich ja um einen Ausnahmezustand – eine Politik der zero-tolerance durchzusetzen. Durch die Bezeichnung Amok soll Komplexität reduziert werden, denn der eindeutige Begriff weist auf eine alarmierende Gefahr und den damit einhergehenden Ausnahmezustand hin: Konzentration der Ressourcen und hartes Vorgehen gegen die jugendlichen Täter werden dadurch legitimiert. Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts geht jedoch am Problem vorbei. Denn nicht härtere Strafen sind notwendig, sondern früheres Eingreifen. Dabei muss man vorweg eine wichtige Unterscheidung treffen: nämlich die zwischen „normalen“ kriminellen Jugendlichen und einer vergleichsweise kleinen Teilmenge der jugendlichen „Mehrfach- und Intensivtäter“. Denn nicht jeder, der ein Auto stiehlt oder einen Mitschüler zusammenschlägt, gehört sofort zur letzteren Problemgruppe. Und schließlich sind Delinquenz und auch Gewalt vor allem bei Männern ein Teil der jugendlichen Entwicklung? Dabei geht es meist darum, bewusst Normen der Erwachsenen zu brechen, sich abzugrenzen und zu emanzipieren. Jugendliche wollen erwachsen wirken, wozu auch gehören kann, ein Auto zu fahren, wenn man erst 16 ist oder durch gewalttätiges Auftreten stärker wirken zu wollen. So zeigen Umfragen, dass 90 Prozent aller männlichen Jugendlichen mindestens eine Straftat begangen haben. Die Phase beginnt im Alter von zehn bis vierzehn Jahren, erreicht den Höhepunkt bei 17- bis 18-Jährigen und nimmt ab 20 wieder ab. Dieses Phänomen ist nicht neu, wobei früher einerseits die Brutalität geringer war und andererseits – im Gegensatz zu heute – ein größerer Teil dieses Verhaltens als jugendtypisch akzeptiert wurde. Die Gesellschaft ist heute sensibilisiert, das Anzeigeverhalten gegenüber Jugendlichen ist stark gestiegen und Vorfälle, wie jener in München, werden gerne politisch missbraucht. Dehalb möchte ich genau an dieser Stelle an den Erziehungsgedanken erinnern: Das deutsche Jugendstrafrecht soll in erste Linie nicht strafen und wegsperren, es soll erziehen und so verhindern, dass ein Jugendlicher dauerhaft kriminell wird. Sein Kern ist die Überzeugung, dass Delinquenz ein mehr oder minder ausgeprägter, vor allem aber vorübergehender Teil des Heranwachsens ist, eine Phase, die fast jeder Jugendliche durchlebt und in der er Lenkung und Grenzen braucht. Sinnloses Wegsperren bewirkt jedoch eher das Gegenteil des Erwünschten: Von den Jugendlichen, die ins Gefängnis kommen, werden laut unterschiedlicher Studien mehr als 70 bis 80 Prozent rückfällig. Von denen, die Bewährungsstrafen erhalten, nur um die 50 Prozent. Das heißt nicht, dass mildere Strafen zu weniger Kriminalität führen – es bedeutet aber auch nicht, dass härtere Strafen die Kriminalität verringern. Der Einfluss der Strafhöhe auf die Zahl der Straftaten ist einfach sehr klein. Und genau dort liegt ein weiteres Problem, das in der öffentlichen Debatte ausgeblendet wird. Kaum jemand fragt nach dem „warum“ bzw. interessiert sich dafür, wer aus welchen Gründen zum Intensivtäter wird. Dabei gibt es klare Zusammenhänge. Die meisten Delinquenten dieser Gruppe sind männlich, sie gehen nicht oder nur unregelmäßig zur Schule und werden mit Schlägen erzogen. Daneben gibt es noch diverse andere Faktoren, wie der soziale Zusammenhalt der Stadtteile, in denen sie leben, wie viel Alkohol sie trinken, wie viele ihrer Freunde straffällig wurden und wie ihre Umwelt auf ihre Gewalttätigkeit reagiert. Im Kern sind es das Erleben tradierter Erziehungsmethoden und schlechter Bildungschancen, die Intensivtäter gemein haben. Das nun betrifft überproportional viele ausländische Jugendliche, aber auch junge Spätaussiedler und solche aus Ostdeutschland.
Im Kampf gegen dieses Problem härtere Strafen zu fordern ist ungefähr so sinnvoll, wie einem Schüler mit Lese-Rechtschreibschwäche nachsitzen zu lassen.