In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Bücher aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie.
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Titel: | The Securitization of Society. Crime, Risk and Social Order |
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Autor: | Marc Schuilenburg | |
Jahr: | 2015 | |
Verlag: | New York University Press | |
ISBN: | 9781479854219 |
Marc Schuilenburg liefert in seinem Buch „The Securitization of Society. Crime, Risk and Social Order“ neue, durchdachte und zeitgemäße Ideen für die Sicherheitsforschung. Im Gegensatz zu bisherigen staatszentristischen oder binär organisierten Herangehensweisen bei der Analyse von Sicherheitspraktiken, plädiert der Autor für eine dynamische Perspektive. Dies begründet er mit einer zunehmenden Vielfalt (multiplicity) von Akteuren, die miteinander an verschiedenen Stellen der Gesellschaft, für Sicherheit sorgen.
Das Buch ist in vier Teile und insgesamt elf Kapitel aufgeteilt. Die Einleitung wurde von David Garland verfasst und bietet einen hervorragenden Überblick über die theoretischen Hintergründe der gewählten Ansätze und verdeutlicht die verwendeten Methoden Schuilenburgs.
Im ersten Teil „A Politics of Fragmentation“ behandelt Schuilenburg unter historischen Gesichtspunkten die Veränderungen des Sicherheitsmanagements seit den 80er Jahren. Hier ist insbesondere die aktuelle kriminologische Theorie der „nodal governance“ von Bedeutung. Ein theoretischer und normativer Ansatz, der von Clifford Shearing sowie Les Johnston und Jennifer Wood entwickelt wurde. Schuilenburgs Ziel ist es, die neue Situation der „security governance“ zu verdeutlichen, welche die Grundlage für das restliche Buch darstellt.
Im zweiten Teil „From Panopticon to Patchwork Quilt“ entwickelt der Autor eine, wie oben schon erwähnte, dynamische Perspektive auf das Thema Sicherheit. Diese Theorie baut auf den Arbeiten der „theories of difference“ von Michel Foucault, Gilles Deleuze und Gabriel Tarde auf. In Kapitel 3 bewegt der Autor sich Richtung „security governance“ und erörtert jene anschaulich anhand der vergangenen Umgangsweise mit der Krankheit Pocken und zieht einen aktuellen, jedoch sehr verkürzten, Vergleich zu Ebola. In Kapitel 4 verknüpft er die Denkweise mit dem Gedankenstrang von Deleuze. Hierbei elaboriert er die verschiedensten Aspekte des Konzepts der „Zusammenführung“ und erörtert die lateralen Verbindungen mit dem Machtverständnis von Foucault. Diesen theoretischen Exkurs erklärt er abschließend anhand Gabriel Tardes Konzepte der Nachahmung (imitation) und Erfindung (invention) und zeigt, wie diese Formen der Interaktion sich konsistent verzweigen und multiplizieren. Daran anschließend stellt der Autor, in Anschluss an Deleuze, das konzeptuelle Duo von „molar“ und „molekular“ dar, um dies mit der vorherigen Theorie und Praxis zu verknüpfen und zu erweitern, um sich endgültig einer dynamischen Perspektive für die Betrachtung von Sicherheit anzunähern, welches wiederum die Möglichkeit eröffnet, das Verhältnis von öffentlich- und privat zu eruieren.
Im dritten Teil „Among the People“ präsentiert der Autor die Resultate seiner empirischen Forschung. Er begründet die Erforschung der Aktivitäten bestimmter Akteure und deren Effekte auf die Zusammenwirkung mit anderen Parteien, mit der nützlichen Generierung an Wissen über gegenwärtige Sicherheitssituationen. Explizit behandelt der Teil vier Fallstudien: Die Bekämpfung des Marihuana-Anbaus (Kapitel 6), die Beseitigung von Straßentransportkriminalität (Kapitel 7), urbane Interventionsteams (Kapitel 8) und das kollektive Geschäftsverbot (Kapitel 9). In jedem Kapitel behandelt der Autor die Interaktionen zwischen den Autoritäten, welche wiederum die offizielle Herangehensweise an jeweilige Aspekte einführen.
Im vierten und letzten Teil „The Era of Invisible Fissures“ diskutiert der Autor die Implikationen seiner Forschung für das soziale Verständnis vom öffentlichen Bereich (public space) und Staatsbürgerschaft (citizenship). In Kapitel 10 bringt er die Frage auf, ob das klassische Konzept von Staatsbürgerschaft immer noch geeignet ist, die Sicherheitslandschaft darzustellen. Dieses führt ihn dazu, das sogenannte Phänomen „Terroir“ zu verwenden. Er präsentiert das Konzept als nützliche Alternative in Anbetracht der „Recht auf Stadt“ Bewegung, in welchem der Verlust vom öffentlichen Raum diskutiert wird. Die Studie endet in Kapitel 11 mit einer Reflektion der Ergebnisse und kritischen Bemerkungen über die Erfolge und Misserfolge im Sicherheitsmanagement (Schuilenberg 23ff).
Die lobenden Stimmen von David Garland, Keith J. Hayward und Michael Tonry auf dem Klappentext können als Indikator für den Stellenwert dieses Buches gesehen werden. Es strotzt quasi vor Aktualität und Bedeutung. So spricht Garland in seiner Einleitung der “Securitization of Society” davon, dass die Einsichten, die Schuilenberg liefert, zukünftig zum Commonsense werden und erklärt:
„the dynamic and unstable elements of the security world, about the difficulties of inter-agency action, about the fragility of even the most powerful security assemblages – that having now been stated, will quickly become our new common sense.“ (Schuilenberg 7).
Ob das Buch wirklich diesen Stellenwert bekommt, wird abzuwarten sein. Die theoretischen Bezüge, ihre Erweiterung in Zusammenspiel mit der schlüssigen Empirie sprechen allerdings für sich. Falls man sich mit der kritischen Theorieströmung der Cultural Criminology identifizieren kann, erfreut dieses Buch mit einer kreativen Weiterentwicklung. Möglicherweise ist es aufgrund seiner inneren Konsistenz auch in der Lage Kritiker dieser Strömung zu überzeugen. Die bereits bekannten Kritikpunkte an qualitativer, ethnografischer Forschung können natürlich auch auf Schuilenbergs Empirie angewendet werden, was an dieser Stelle jedoch nicht angebracht scheint.
Schuilenberg verbindet klassische theoretische Strömungen mit gegenwärtigen Entwicklungen der Sicherheitsforschung. Er bezieht sich auf spannende soziologische Theorien und schafft es, jene nachvollziehbar miteinander zu verknüpfen und zu erweitern. Sein Buch ist ein sehr durchdachtes, gut strukturiertes Werk und öffnet neue Perspektiven für die kriminologische Betrachtung von Sicherheitsaspekten. Trotz seiner gut verständlichen Schreibweise ist es sicherlich von Vorteil, soziologisches Vorwissen in Bezug auf die gewählten theoretischen Konzepte zu besitzen, da es ansonsten schwierig sein könnte, diese nachzuvollziehen. Schuilenbergs Buch „The Securitization of Society“ ist ein sehr empfehlenswertes und anspruchsvolles Werk für interessierte Sozialwissenschaftler_innen, die ihren Blick auf die Gesellschaft erweitern wollen.
Nadine Drolshagen, Hamburg