Morgen startet die Fußball Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine – Anlass, einen kleinen Ausflug in die Welt der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik zu unternehmen und zu klären, wer Europameister 2012 wird, ob es sinnvoll ist, sein schwer erarbeitetes Geld zu verwetten und was Sportwetten mit Kriminologie zu tun haben.
Warum Spanien Europameister wird
Der prophetisch anmutenden Aussage Spanien würde Europameister werden, liegt knallhartes rechnerisches Kalkül zu Grunde. In ihrem aktuellen Newsletter (3/12 vom 6. Juni 2012) berechnet die Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenhein auf Basis der Wettquoten von 20 international tätigen Sportwettanbietern die Gewinnwahrscheinlichkeiten der 16 teilnehmenden Ländern. Die staatliche Sportwette Oddset bietet beispielsweise auf den Sieg Spaniens eine Wettquote von 3,2 an. Setzte man also einen Euro auf den Sieg Spaniens bei der EM, erhielte man bei Ereigniseintritt 3,20 Euro. Würde man hingegen einen Euro auf den Sieg der EM durch Außenseiter Irland setzen, erhielte man bei Ereigniseintritt und einer Wettquote von 75 ebenso viele Euros ausgezahlt (und vermutlich Guinness satt aufs Haus in jedem Irish Pub weltweit).
Ich erspare mir die Wiedergabe der statistischen Formel zur Berechnung der Gewinnwahrscheinlichkeit und verweise alle interessierten Rechenfüchse auf den oben verlinkten Newsletter. Die impliziten Gewinnwahrscheinlichkeiten der 16 EM-Teilnehmer sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen.
Durchschnittliche implizite Gewinnwahrscheinlichkeiten der 16 EM-Teilnehmer (zitiert nach: Newsletter 3/12 Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenhein, Seite 4)
Land | implizite Gewinnwahrscheinlichkeiten |
Spanien | 24,1% |
Deutschland | 22,5% |
Niederlande | 11,5% |
Frankreich | 7,9% |
England | 7,2% |
Italien | 6,3% |
Portugal | 4,8% |
Russland | 3,9% |
Polen | 2,2% |
Kroatien | 2,0% |
Ukraine | 1,9% |
Schweden | 1,4% |
Tschechien | 1,2% |
Griechenland | 1,1% |
Dänemark | 1,0% |
Irland | 1,0% |
Total | 100% |
Warum Sie keine Sportwetten abschließen sollten
Wer sich jetzt durch diese Aussagen in seinem Expertenwissen rund um das Thema Fußball bestärkt fühlt und sein hart erarbeitetes Geld in Sportwetten anlegen will, dem kann ich nur abraten.
Die Berechnung der impliziten Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Siegwette ist die eine, die Vorhersage der Einzelergebnisse aller Einzelspiele jedoch eine andere Frage. Auch hier kann ich alle Interessierten auf einen Newsletter verweisen. Im dgs-info-Brief, Ausgabe 63, Juni 2012 der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin findet die Studie Effects of expertise on football betting (Yasser Khazaal, Anne Chatton, Joël Billieux et al., Substance Abuse Treatment, Prevention, and Policy 2012, 7:18) Erwähnung. Gegenstand dieser Untersuchung ist der Einfluss von Expertenwissen auf die Vorhersagegenauigkeit von Fußball-Ergebnissen. Zu diesem Zweck ließen die Forscher 258 Personen die Ergebnisse der ersten zehn Begegnungen bei der Fußball EM 2008 vorhersagen. Die Probanden wurden je nach Beruf und ihrem Interesse für den Fußballsport den Gruppen Experten (Profispieler, Trainer, Sportjournalisten), Amateure (Amateur Fußballspieler und/oder -Schiedsrichter) oder Laien (weder professionelle Verbindung zum Fußballsport noch als Amateur aktiv) zugewiesen. Mittels einer Regressionsanalyse wurde schließlich der Zusammenhang zwischen Expertenstatus und der Genauigkeit der Ergebnisvorhersage ermittelt. Hierüber hinaus wurden die Variablen Alter und Geschlecht statistisch kontrolliert.
Im Ergebnis stellen die Autoren fest, dass weder Expertenstatus noch Alter oder Geschlecht in einem Zusammenhang mit der Genauigkeit der Tippergebnisse stehen (und zwar sowohl bezogen auf die Vorhersage des konkreten Spielergebnisses als auch auf die Vorhersage des Gewinners einer Partie).
Conclusions
Expertise, age, and gender did not appear to have an impact on the accuracy of the football match prognoses. Therefore, the belief that football expertise improves betting skills is no more than a cognitive distortion called the „illusion of control.“ Gamblers may benefit from psychological interventions that target the illusion of control related to their believed links between betting skills and football expertise. Public health policies may need to consider the phenomenon in order to prevent problem gambling related to football betting.
Und was das Ganze mit Kriminologie zu tun hat
Der Zusammenhang zwischen Sportwetten und Kriminologie mag sich nicht auf den ersten Blick erschließen, ist aber sehr einfach herzustellen. Die rechtlichen Grundlagen für die Veranstaltung von Glücksspielen und Wetten werden in Deutschland im sog. Glücksspielstaatsvertrag geregelt. Der Staatsvertrag trat am 1. Januar 2008 in Kraft. Seit Mitte April 2012 liegt der Entwurf für den sog. Glückspieländerungsstaatsvertrag vor, der am 1. Juli diesen Jahres in Kraft treten soll. Im Folgenden zitiere ich folgerichtig aus dem aktuell geltenden Glücksspielstaatsvertrag – wohl wissend, dass sich einzelne Detailregelungen mit Inkrafttreten des Glückspieländerungsstaatsvertrag ändern werden.
Als Ziele des Glücksspielstaatsvertrages – und damit wären wir inmitten des Gegenstandbereichs der Kriminologie – werden u.a. in Paragraph 1 genannt
das Glücksspielangebot zu begrenzen und den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, insbesondere ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern,
sowie
sicherzustellen, dass Glücksspiele ordnungsgemäß durchgeführt, die Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt und die mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität abgewehrt werden.
Mit der in § 1 angesprochenen Begrenzung des Glücksspielangebots ist nichts anderes als das staatliche Glücksspiel- und Wettmonopol gemeint. Sprich: der Staat befriedigt den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung, indem er z.B. die staatliche Sportwette Oddset anbietet. Alle anderen (privaten) Anbieter sind dadurch ausgeschlossen und dürfen keine Glücksspiele oder Wetten in Deutschland anbieten.
Das Veranstalten unerlaubter Glücksspiele stellt hingegen einen Verstoß nach § 284 Strafgesetzbuch dar und wird mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet (bis zu fünf Jahre bei gewerbsmäßiger Tatbegehung); die Beteiligung an unerlaubten Glücksspielen wird mit bis zu sechs Monaten Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft (§ 285 StGB).
In Bezug auf die im Glücksspielstaatsvertrag angesprochenen Kriminalitätsphänomene erscheint mit Hinblick auf Sportwetten vor allem das Manipulationsgefährdungspotential, aber u.U. auch ein Kriminalitätsgefährdungspotential (Begleitkriminalität, Beschaffungskriminalität, Geldwäsche etc.) relevant. Man denke hier beispielsweise an den Fußballwettskandal um den Schiedsrichter Robert Hoyzer. [Auf ARTE+7 ist noch einige Tage die empfehlenswerte Dokumentation Fußballwetten: Verlierer ist der Sport zu sehen.]
„Aber momentmal …Was ist denn mit Glücksspielen und Wetten, die über das Internet vermittelt werden?“ höre ich jetzt die werte Leserschaft rufen. Die oben zitierte Studie hat die Gewinnquoten von 20 international tätigen Wettanbieter analysiert, die größtenteils mit schicken Internetauftritten aufwarten, über die auch deutsche Fußballfans Wetten abschließen könnten. Stimmt! Aber bezüglich der Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen über das Internet ist der Glücksspielstaatsvertrag eindeutig. Es heißt hierzu unter § 4, Absatz 4 kurz und knapp:
Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten.
Diese regulatorische Maßnahme erscheint aus Perspektive des Spielerschutzes einleuchtend. Im Internet fehlt es an sozialer Kontrolle, die Glücksspiel- und Wettangebote sind zeitlich unbeschränkt verfügbar und eine Altersverifikation der Spieler sowie eine Implementierung des vorgeschriebenen Systems zur Selbst- und Fremdsperre von Personen mit einem problematischen oder pathologischen Spielverhalten ist nicht überall vorhanden und die effektive Umsetzung nur schwer zu kontrollieren.
Der Europäische Gerichtshof beurteilt das Internetverbot und den Ausschluss privater Anbieter jedoch nicht so klar und eindeutig wie der deutsche Gesetzgeber. In einem Urteil vom 8. September 2010 sehen die Richter des EuGH die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr privater Anbieter von Sportwetten beschränkt. Zumal offensive Werbung für Sportwetten des Monopolinhabers an der Glaubwürdigkeit des Ziels, die Glücksspieltätigkeiten in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, zweifeln ließe.
Dennoch haben in jüngerer Vergangenheit deutsche Gerichte das Wettmonopol bestätigt (für eine Übersicht siehe hier und hier). Eine abschließende Klärung ist derzeit nicht in Sicht und angesichts des milliardenschweren Marktes für Sportwetten und Steuereinnahmen in Millionenhöhe ist eine schnelle Einigung nicht wahrscheinlich.
Die Klärung aller Rechtsfragen wird sich bestimmt auch noch eine Weile hinziehen. In den letzten Wochen haben in Schleswig-Holstein auch die ersten Anbieter neue Lizenzen bekommen. Damit sollte es auch kein Problem sein, während der EM 2012 legal Sportwetten bei einem dieser Anbieter mit Lizenz abzuschließen.
Der Sonderfall Schleswig-Holstein könnte demnächst bereits wieder Geschichte sein. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und SSW heißt es hierzu:
http://ssw.de/pdf/120603Koalitionsvertrag2012-2017SPDB90GSSW.pdf