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Fußball am Valentinstag oder: zum Zusammenhang von Fangesängen und Gewalt

Am 14. Februar 2014 gepostet von Christian Wickert

Heute am 14. Februar 2014 ist nicht nur Valentinstag, sondern auch Spieltag in der 1. Fußball Bundesliga (der 1. FSV Mainz empfängt Hannover 96).
Was aber tun hartgesottene Fußballfans, wenn sie – anstatt den Abend bei einem Candel Light Dinner mit ihrer Liebsten zu verbringen mit ihren Kumpels ins Stadion ziehen? Sie singen ihren Herzensdamen ein Ständchen und zwar: im Chor und laut.

Wie das klingen kann, zeigt das unten stehende Video aus dem Jahr 2010. Für The Hardchorus: Der europäische Hardchor Song Contest, einer Werbeaktion eines Sportartikelherstellers, wurden die besten Beiträge von Fangruppierungen aus England, Italien, Frankreich und Deutschland ausgewählt.

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Geschichte der Fußballfangesänge

Die Anfänge der Fangesänge (in Europa), wie man sie heute kennt, liegen in den 1960er Jahren (vgl. Kopiez/Brink 2010: 65 ff.; siehe auch hier). Fußballanhänger im KOP, der Stehtribüne des 1. FC Liverpool, sangen (vermutlich erstmals 1963) das Lied „You`ll never walk alone“ von der aus Liverpool stammenden Combo Gerry and the Peacemakers. Das ursprünglich 1945 von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein für das Musical Carousel geschriebene Musikstück, fand von Liverpool aus Verbreitung in andere Fußballstadien und gilt heute als DIE Fußballhymne schlechthin.

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Match commentator Kenneth Wolstenholme commends the „Liverpool signature tune“, Liverpool vs. Leeds United, 1965

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Fans des 1. FC Liverpool vor dem Champions League Halbfinalspiel 2005

Neben dieser „Urhymne“ gibt es auch einen „Urrhythmus“, den sogenannten „Soccer-Rhythmus“, der „mittlerweile als rhythmisches Symbol für Fußballkultur schlechthin [fungiert]“ (Kopiez/Brink 2010: 71). Dessen rhythmische Struktur weist Ähnlichkeiten zu rhythmischen Grundmustern auf, die in Afrika und Indien anzutreffen sind (vgl. Kopiez/Brink 2010: 72). Als Ursprung des „Soccer-Rhythmus“ gilt der 1966 erschienene Popsong Hold Tight von der Gruppe Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich. Auch dieses Lied bzw. Rhythmus wurde zunächst von englischen Fußballfans aufgegriffen und verbreitete sich von hier dank der noch im selben Jahr in England ausgetragenen Weltmeisterschaft weltweit (siehe hier).

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Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich – Hold tight 1966

Zudem gibt es eine weitere rhythmische Grundstruktur innerhalb der Fußballgesänge, die Kopiez & Brink aufgrund des Liedes, dem sie entstammt, als „Car-Wash-Rhythmus“ bezeichnen. Diese weist große Ähnlichkeiten mit typischer militärischer Marschmusik auf (vgl. Kopiez/Brink 2010: 74).

Funktion von Fußballfangesängen

Aus soziologischer Perspektive

Zu der oben genannten Urhymne des europäischen Fußballs sind über die Jahre zahllose weitere Lieder und vereins- und stadionsspezifische Fangesänge hinzugekommen. Das musikalische Repertoire ist größtenteils fest im kollektiven Gedächtnis der Gruppe verankert. Vieles davon wird durch „‘stadionimmanente‘ Tradierung, [also die] Tatsache, daß die Fans bestimmte Melodien innerhalb des Stadions an die nächste Fan-Generation weitergeben und die jungen Fans diese Lieder ausschließlich im Stadion lernen und singen, oft ohne das Originallied zu kennen“ (Kopiez/Brink 2010: 137) erhalten.

Aus soziologischer Perspektive ließen sich die Fangebräuche als eine Teilnahme an Interaktionsritualen, wie Goffman (u. a. 1986) sagen würde, beschreiben. Aus der „vorgestellten Gemeinschaft“ (Anderson 2005: passim) wird eine real erfahrbare Gemeinschaft. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, wie häufig bestimmte Rituale wieder aufgefrischt werden.

Die musikalische Unterstützung der Mannschaft wird zudem oft durch eine ausgefeilte Choreographie und aufwendig gestaltete Banner und Fahnen  begleitet. Hier spielt die Performanz auf der kollektiven Ebene eine Rolle.  Die Fangesänge und Choreographien werden häufig in Form auditiver und/oder visueller Aufnahmen festgehalten und später über soziale Netzwerke und andere Kanäle verbreitet. Es gibt einen regelrechten symbolischen Kampf um die besten und aufwendigsten Inszenierungen (vgl. Leistner 2008; vgl. Gabler 2010). Der sportliche Wettkampf zweier Mannschaften wird von den Anhängern der Teams auf der virtuellen Bühne fortgeführt.

Aus kriminologischer Perspektive

Offenkundig besteht ein thematischer Zusammenhang zwischen Fangesängen und Fußball und Ausschreitungen zwischen rivalisierenden Fangruppierungen im Umfeld von Fußballspielen. Zwei mögliche Argumente scheinen mir hier naheliegend:

  • Eine körperliche Auseinandersetzung nach Abpfiff eines Spieles ließe sich als Fortführung/ Zuspitzung der im Stadion verbal geführten Auseinandersetzung deuten. Die generische Mannschaft samt ihrer Fangemeinde wurde verhöhnt und „niedergesungen“. Der Frust und die Demütigung der unterlegenden Anhängerschaft entlädt sich in einer Schlägerei.
  • Alternativ ließe sich argumentieren, das Musizieren allgemein und Singen im Besonderen dem Abbau psychischer Spannungen dienen kann (vgl. Kopiez/Brink 2010: 158). Singen kann also eine kathartische Funktion erfüllen, die eine körperlich geführte Auseinandersetzung nach Spielende unwahrscheinlicher werden lässt.

Große Teile dieses Beitrages beziehen sich auf eine Hausarbeit zum Thema „Emotionsmanagement als Policingstrategie? Zur Bedeutung von Fangesängen für die Kriminalitätskontrolle“ (Uebele 2013). Die Autorin wirft hierbei die spannende Frage auf, ob und inwieweit ein gezielte (polizeiliche) Einflussnahme (in Anlehnung an Aktionen, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus im Fußball richten und die maßgeblich von Fangruppierungen ausgehen) auf die Fangesänge als Policingstrategie zur Vermeidung von Gewalt im Umfeld von Fußballspielen dienen könnte.


Quellen und weiterführende Informationen zum Thema Fußballfans, Fangesänge und Gewalt

  • Bensimon, Moshe / Bodner, Ehud (2011): Playing With Fire: The Impact of Football Game Chanting on Level of Aggression. In: Journal of Applied Social Psychology, Vol. 41, No. 10, pp. 2421-2433.
  • Gabler, Jonas (2010): Der DFB und die Ultras – gemeinsam gegen Rechtsextremismus im Fußball? In: Forschungsjournal (Neue) Soziale Bewegungen, Jg. 23, H. 2, S. 52-62.
  • Goffman, Erving (1986): Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  • Kopiez, Reinhard / Brink, Guido (2010): Fußball-Fangesänge. Eine FANomenologie. Würzburg: Königshausen & Neumann.
  • Leistner, Alexander (2008): Zwischen Entgrenzung und Inszenierung – Eine Fallstudie zu Formen fußballbezogener Zuschauergewalt. In: Sport und Gesellschaft, Vol. 5, No. 2, S. 111-133.
  • Uebele, Christine (2013) Emotionsmanagement als Policingstrategie? Zur Bedeutung von Fangesängen für die Kriminalitätskontrolle. Hausarbeit im Seminar „’Sound Of Da Police‘. Zeitgenössische Musik im Kontext von Kriminalität, Kriminalitätskontrolle und Strafjustiz“ am Institut für kriminologische Sozialforschung der Uni Hamburg, Sommersemester 2013, unveröffentlicht.
  • Warren, Ian und Zurawski, Nils (Hg.) (2013) Surveillance & Society, Vol 11, No 4: Surveillance and Sport.
  • Zaitch, Damián / Leeuw, Tom de (2010): Fighting with images. The production and consumption of violence among online football supporters. In: Hayward, Keith J. / Presdee, Mike: Framing Crime. Cultural Criminology and the Image. Abingdon [u.a.]: Routledge, pp. 172-188.
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Kategorie: Devianz und Kriminalität, Gewaltkriminalität, Prison Song Project Stichworte: Fangesänge, Fußball, Großbritannien, Hooligans, Inszenierung, Musik, Spiel, Sport, Werbung

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