Um die Mittagszeit eines sonnigen Mai-Tages ließ in seinem Mainzer Kriminologie-Seminar Prof. Michael Bock eine echte Bombe platzen: Menschen seien weder Hackbraten noch Gemüsebratlinge!
Im Kontext des Prognostizierens von Rückfälligkeit einsitzender Straftäter hatte der für seine umstrittene MIVEA berühmt gewordene Bock wirklich alle Hände voll zu tun, den Mainzer Jura-Studenten mit Schwerpunkt Strafrechtspflege klar zu machen, dass das mit der statistischen Vorhersage alles nicht so einfach sei. Nehme man nämlich an, von 100 Personen aus unschönem Elternhaus würden durchschnittlich 70 straffällig werden, so sei es aufgrund des Individualisierungsprinzips jedoch nicht zulässig, einer unter schlechten familiären Verhältnissen aufgewachsenen Person einfach zukünftige Rückfälligkeit zu prognostizieren. Immerhin wisse man ja nicht, ob sie zu den genannten 70 oder doch zu den 30 anderen gehöre (Problem der false negatives). Ebenso problematisch sei es umgekehrt, wenn 70 von 100 in guten Verhältnissen aufgewachsenen Personen bei prognostizierter Nicht-Rückfälligkeit ja auch zu den 30 dennoch Rückfälligen gehören könnten (false positives).
In einem Anflug didaktischer Meisterleistung versuchte Bock nun, etwas Erhellung in die halb fragenden, halb gähnenden Gesichter der Studenten (mit Ausnahmen eines Gastes aus Hamburg *g*) zu bringen: Die 70 straffällig werdenden Menschen aus schlechtem Elternhaus seien (ungesundes) Hackfleisch, die 30 nicht straffällig werdenden mit den gleichen Problemen seien (gesunde) Brötchen. Die Psychologen und auch die Gerichte würden nun fälschlicherweise gerade so tun, als seien alle Menschen mit zerrüttetem Elternhaus eine einzige homogene (und immer rückfällige) Gruppe. Doch Menschen wären eben keine Hackbraten (Hackfleisch + Brötchen vermischt), sondern entweder die eine oder die andere Zutat. Wer aus schlechten Familienverhältnissen stamme, sei immer entweder Fleisch oder Brötchen. Genauso verhalte es sich mit den Menschen aus gutem und problemlosen Elternhaus: 70 straffreie (lasche) Brokkoli könne man nicht einfach mit 30 dennoch straffälligen (scharfen) Zwiebeln zu Gemüsebratlingen vermengen! Wem es in seiner Herkunftsfamilie gut ging, der kann immernoch entweder nicht rückfällig (Brokkoli) oder rückfällig (Zwiebeln) werden.
Alles klar? Nein?
Macht nichts… denn spätestens in ein paar Wochen wird den Mainzer Schwerpunktlern die MIVEA vorgestellt werden. Und DIE macht aus den Menschen das, was sie sind. Nämlich Fleisch, Brötchen, Brokkoli und Zwiebeln!
Manchmal verwirren Beispiele einfach nur mehr. So schwer war das auch ohne Hackbraten nciht zu verstehen!
In Hamburg bevorzugt man halt Leipziger Allerlei oder Kraut und Rüben. Wenn der Gast aus Hamburg dort klarmachen würde, dass wegen dieser Verhältnisse die Praxis der Prognose rechtswidrig ist, statt auf dämliche Weise an der MIVEA herumzukritteln, von der ich wette, dass er sie wie auch die anderen Hamburger nicht gelesen hat, würde sich dort vielleicht herumsprechen, dass das Wort „kritisch“ nicht nur ein hamburger Dialekt ist!
Lieber Herr Prof. Bock,
als geborener und gebürtiger Hamburger muss ich da vehement widersprechen: wenn Sie sich schon einer Analogie bedienen wollen, dann doch bitte in diesem Fall Labskaus!
warum nicht Matjes? Egal, auf jeden Fall muss viel essen, wer sich in kritischer Dauerreflexion befindet!
achso, was ich fast vergessen hätte: beste Grüße an Herrn Kollegen Scheerer!
Warum nicht Matjes? Ganz einfach: Matjes ist niederländischen Ursprungs und würde zudem in Ihrer Analogie nicht funktionieren.
Aber was rede ich. Es ist schließlich ihr verhackstückter Vergleich und es lohnt sich wahrlich nicht über alles und jeden zu reflektieren.
Die Grüße richte ich gerne aus.
Nein, mit Matjes geht das wirklich nicht… Aber ob nun Hackbraten oder Labskaus:
Ich möchte immerhin noch darauf aufmerksam machen, dass ich an keiner Stelle die MIVEA schlecht gemacht habe.
Dies würde auch gar nicht funktionieren, denn tatsächlich habe ich ungenügend darüber gelesen (was ich aufrichtig bedaure).
Der vielleicht etwas veralbernde Ton meines Beitrages bezieht sich also lediglich auf die m.E. sehr lustige und – entschuldigen Sie, wenn ich dabei bleibe – seltsame Hackbraten-Metapher. Damit rechnet man einfach nicht, wenn man eine Kriminologie-Veranstaltung besucht.
Die Mainzer Schwerpunktler haben mir aber mittlerweile gesagt, dass sie Ihre Analogie als durchaus passend und verständlich empfinden. Insofern stimmt auch hier der Satz, dass man über alles streiten kann.
A propos Streiten: Der eigentliche Kritikpunkt in meinem Beitrag ist doch der, dass ein Schwerpunktler in Mainz davon ausgehen muss, dass die Kriminologie zu 70% aus der MIVEA besteht – Übersichtsvorlesungen hin oder her.
Zugleich lehrt man in Hamburg jedoch eine Kriminologie, die das Wort MIVEA höchstens im Nebensatz erwähnt. An anderen Universitäten (an denen eine eher „traditionelle Kriminologie“ gelehrt wird), erfährt man indes wenig über den labeling approach und wenig bis gar nichts über die MIVEA.
Für die heute lehrenden Kriminologen ist meine Feststellung, dass sich die Vertreter der herkömmlichen, kritischen und angewandten Kriminologie gegenseitig belächeln oder zum Teil sogar ignorieren, ein alter Hut… Die Studierenden sollten jedoch fairerweise wissen, dass sie sich durch ihre Ortswahl unbewusst für eine Ideologie mitentscheiden (und dass sie zum Beispiel in Mainz ohne Kenntnis der MIVEA wenig bis gar keine Kriminologie zu betreiben in der Lage sein werden).
Ich wollte daher mit meinem Eintrag hier augenzwinkernd (und beispielhaft anhand Prof. Bock und seinen Hackbraten) zeigen, dass es junge Kriminologen und Kriminologie-Studenten gibt, die über den in die Jahre gekommenen Schulenstreit nicht nur bescheid wissen, sondern auch darüber lachen können.
So, verehrter unbekannter Achim, kann man gut miteinander reden. Und bis auf die Prozentsätze ist auch fast (traditionelle Kriminologie?) alles so, dass ich es unterschreiben würde In Mainz gibt es im Schwerpunkt einen gemeinsamen Grundbestand und 2 Spezialisierungen. In dem Schwerpunkt mit der Spezialisierung auf Strafverteidigung und Wirtschaftsstrafrecht gibt es nur die „Kriminologischen Grundlagen“ mit 0% MIVEA (auch in der Prüfung), dafür sehr viel labeling-approach (diese Theorie wächst gerade in eine ungeahnte empirische Geltung hinein, ebenso wie die Erweiterung durch Scheerer/Hess). In der anderen Spezialisierung gibt es noch die Vorlesung „Angewandte Kriminologie“, die nicht einmal zur Hälfte aus der MIVEA besteht, insgesamt sind es also höchstens 20% – das Seminar ist optional. Übrigens: wenn man MIVEA wirklich liest und nicht die überwiegend schwachsinnige Kritik, wird man merken, dass MIVEA nicht neben der sonstigen Kriminologie steht, sondern sie zu weiten Teilen repräsentiert – nur eben in dem etwas anderen wissenschaftstheoretischen Aggregatzustand der (idiographischen) Einzelfallkriminologie. „Kritisch“ ist sie außerdem auch.
Den Überdruss am Streit der alten Männer verstehe ich gut. Auch ich fülle schon lange nur noch eine Flaschenpost ohne jede Ambition für die Gegenwart eines Faches, in dem ein „Freiburger Memorandum“ (aktuell in der NK) den mainstream repräsentiert!
In diesem Sinn viel Erfolg und freundliche Grüße
Michael Bock
(Matjes mit Äpfeln, Zwiebeln und Sahne gibt auch eine Vier-Felder-Tafel)
So, dann sag ich jetzt mal wieder leise servus nach diesem kurzen Ausflug in die Hamburger Diskussionskultur! Warum eigentlich nicht einfach Hamburger statt Hackbraten?
Es war ganz zauberhaft!
http://www.youtube.com/watch?v=XwcaP-odON4
Ui, über so ein Kompliment freue ich mich natürlich sehr, vor allem autorisierten Hamburger Blogwart!