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Verbrechen lohnt sich (für Softwareentwickler)

Am 10. Februar 2011 gepostet von Christian Wickert

Für Programmierer der  Berliner Softwarefirma BerliTec erweist sich Verbrechen derzeit als eine finanziell sehr lukrative Angelegenheit.

Das gleichnamige Programm für das iPhone, den iPod touch und das iPad hat innerhalb nur weniger Tage die Verkaufscharts von Apple iTunes Store erobert und wurde zeitweise als das am zweithäufigsten verkaufte Programm ausgewiesen. Bei einem Verkaufspreis von 1,59 Euro dürfte es sich hierbei für die Berliner Programmentwickler um ein finanziell lohnenswertes Unternehmung handeln.

Funktionsweise

Bei Verbrechen handelt es sich um eine Crimemapping-Software, die bekannt gewordene Straftaten und Vergehen mit Geodaten (wahlweise der gegenwärtige Standort des Nutzers oder aber eine beliebige deutsche Adresse) abgleicht.

Auf einer Straßenkarte werden für den gewählten Standort Tötungs-, Raub-, Diebstahls- und Drogendelikte, Körperverletzungen, Brandstiftungen, Sachbeschädigungen aber auch Autounfälle angezeigt. Die Applikation generiert dabei keine eigenen Daten, sondern verknüpft lediglich durch lokale Polizeidienstellen veröffentlichte Vorkommnisse mit den Ortsinformationen.
Unterschiedliche Tageszeitungen bieten Informationsangebote dieser Art bereits seit längerer Zeit an (siehe z.B. hier: Polizeimeldungen aus der Metropolregion Hamburg im Onlineauftritt des Hamburger Abendblatts oder der Blaulicht-Kurier des Onlineangebots des Berliner Kuriers).

Allerdings ist Verbrechen das erste und bislang einzige Crimemapping-Programm für Mobiltelefone, das auf den deutschen Markt zugeschnitten ist. Bereits vor über einem Jahr fanden sich iTunes-Store dagegen etliche Programme dieser Art für den amerikanischen Markt (das Ergebnis meiner damaligen ausführlichen Recherche lässt sich in diesem Artikel nachlesen).

Nutzen und Erfolg

Landkarten bieten Objektivität und Verlässlichkeit. Ob als Schiffskapitän auf hoher See, als LKW-Fahrer auf der Autobahn oder als Bergwanderer im Gebirge kann ich mich in aller Regel darauf verlassen, dass Entfernungs- und Höhenangaben stimmen und ich mich auch in fremden Gefilden problemlos zurechtfinde. Der Straßenverlauf einer Autobahn, die Position einer Ortschaft und das Höhenprofil eines Berges sind mehr oder weniger unveränderliche, objektive, messbare Größen.

Aber wie schaut es mit der Objektivität der Angaben zur Kriminalitätsbelastung eines Wohnbezirkes aus?

Die Programmentwickler von Verbrechen versprechen den Nutzern, Erkenntnis über die Sicherheitslage einer Wohngegend zu erlangen. Aus zweierlei Gründen scheint dieses Versprechen jedoch nur schwer einlösbar:

  1. Im Gegensatz zu den objektivierbaren Angaben zur geographischen Lage einer Ortschaft oder der Entfernungsangabe auf einer Landkarte sind statistische Werte zur Kriminalitätsverteilung etlichen Restriktionen unterworfen. Es können ausschließlich jene Delikte in das System einfließen, die der Polizei bekannt werden. Alle Vergehen, die im sog. statistischen Dunkelfeld verbleiben, bleiben unberücksichtigt. Das sog. statistische Hellfeld (also die Summe jener Delikte, die der Polizei bekannt werden) unterliegt wiederum weiteren Einflussgrößen wie dem Anzeigeverhalten und der Kontrollintensität.
    Es ist plausibel anzunehmen, dass die informelle, soziale Kontrolle ebenso wie das Anzeigeverhalten aber auch die polizeiliche Kontrollintensität stadtteilbezogenen Unterschieden unterliegt (z.B. wird ein polizeibekannter Drogenumschlagsplatz einer höheren Kontrollintensität unterliegen und dementsprechend mehr Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz registriert werden. Andere Vergehen – wie z.B. Verstöße gegen das Urheberrecht, Steuerhinterziehung aber auch der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen   – finden üblicherweise nicht an exponierten Orten statt und werden dementsprechend seltener entdeckt, angezeigt und strafrechtlich verfolgt.)
  2. Die Datenbasis, die zur Erstellung der Crimemaps des vorliegenden iPhone-Programmes dient, unterliegt einer weiteren entscheidenden Beschränkung der Objektivität: aus rein logistischen aber sicher auch ermittlungstaktischen Gründen wird nicht die Gesamtheit der den lokalen Polizeidienststelle bekannt gewordenen Straftaten in die entsprechenden Systeme eingepflegt werden. Neben den oben skizzierten grundsätzlichen Einschränkungen, die bei der Erstellung von Kriminalitätsstatistiken zu beachten sind, liegt also hier ein weiterer Faktor vor, der eine Beurteilung  der tatsächlichen Kriminalitätsbelastung nahezu unmöglich erscheinen lässt.

Die mangelhafte Qualität der Daten lässt eine verlässliche Beurteilung der Sicherheitslage in einem Stadtbezirk nicht zu.

Spannender als die Beurteilung der Funktionalität des Programms ist m.E. jedoch der Umstand als solcher, das eine immens große Nachfrage nach einer Applikation wie Verbrechen besteht. Es verdeutlicht die gesellschaftliche Obsession mit Abweichung und Verbrechen. Die filmische Darstellung von Gewalt oder der Zeitungsbericht über Verbrechen fasziniert: Als Zuschauer und Leser fühle ich mit den Opfern im gleichen Maße mit wie ich mich über die Kaltblütigkeit und Dreistigkeit des Verbrechers empören kann. Der Nachrichtenwert einer Erzählung über normabweichendes Verhalten (in der englischsprachigen Literatur findet sich hierfür der schöne Ausdruck „newsworthy“ – z.B. Ericson et al., 1989) ist vor allem dann gegeben, wenn die Nachricht einen Bezug zum sozialen und geographischen Nahraum des Zuschauers oder Lesers aufweist (man denke an die Berichterstattung über Kriminalität im Lokalteil von Tageszeitungen). Je unerwarteter das Ereignis ist, je größer die Abweichung vom herrschenden Verständnis von Gut und Richtig ist, desto wertvoller ist das Ereignis für Journalisten. Vor allem exeptionelle Gewalttaten erfüllen dieses Kriterium. Über den Nachrichtenwert einer Meldung entscheidet zunehmend auch das zur Verfügung stehende Bildmaterial. Filmaufnahmen einer Pressekonferenz der Polizei, Fotos der vermeintlichen Täter, der verletzten Opfer oder der trauernden Hinterbliebenen transportieren eine einfach zu verstehende Aussage und verstärken zugleich die emotionale Wirkung des Berichts.

Es ist offensichtlich, dass die iPhone App Verbrechen alle diese Kriterien von „Newsworthiness“ erfüllt: durch die Geolokalisation ist ein Ortsbezug der Nachrichten stets gewährt. Die Reduktion einer kriminellen Handlung (die als ein vorläufiger Endpunkt einer u.U. langen und komplexen Kette sozialer Interaktionen betrachtet werden kann) auf einen Markierungspunkt auf einer Landkarte, stellt die maximal möglich Reduktion von Komplexität dar und macht die Fülle der Nachrichten „konsumierbar“. Die Konzentration auf exeptionelle (Gewalt-)Verbrechen macht die „Todes-Karte fürs Handy“ (BILD Zeitung vom 07.02.2011) zu einer lukrativen „Killer-App“.

Weiterführende Links

  • Offizielle Verkaufsseite im iTunes Store
  • Übersicht über Kriterien des Nachrichtenwertes einer Pressemeldung (Chris Greer et al.: News Media, Victims and Crime, 2007, Sage Publications, S. 27)
  • Verbrechen-App, rottenneighbor.com revisited? Geodienste zu Gewalt und Kriminalität (MacNotes.de, 01.02.2011)
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Kategorie: Kontrolle und Sanktionen, Polizei/ Policing, Prävention, Recht und Gesetz, Spaß und Unfug Stichworte: Apple, Crimemapping, iPhone

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