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Ladendiebe, Schwarzfahrer und Raubkopierer unter uns

Am 30. Juli 2010 gepostet von Christian Wickert

Den oben stehenden Aufkleber habe ich im Weblog des Berliner Rechtsanwaltes Carsten R. Hoenig entdeckt. Dieser hat den Sticker in einer Herrentoilette des Kriminalgerichts entdeckt, fotografiert und online gestellt.

Der Fundort ist kurios und die Aussage „Ladendiebe, Schwarzfahrer, Raubkopierer. Wir sind viele und wir werden mehr“ lässt das Kriminologenherz höher schlagen. Lobbyismus, „Othering“, Ungerechtigkeit der Justiz, modernes Prekariat, Armutskriminalität sind nur einige Assoziationen, die mir sofort in den Sinn kamen.

Nach fünf Minuten war meine spontane Euphorie verflogen und wich dem Gedanken, inwieweit der Aussage „wir werden mehr“ eigentlich zuzustimmen ist und veranlasste mich zu folgender Klugsch***erei.

Ein Blick in die Polizeilichen Kriminalstatistiken der vergangenen 5 Jahre offenbart folgendes Bild:

Straftat 2009 2008 2007 2006 2005
Erschleichen von Leistungen § 265a StGB 220.746 200.211 207.194 194.174 192.930
Ladendiebstahl 394.033 395.722 408.377 437.896 461.293
Computerkriminalität: Straftaten i.Z.m. Urheberrechtsbestimmungen 11.943 17.979 21.293 11.307(*1 10.432(*2
Summe 626.722 613.912 636.864 643.377 664.655
Veränderung i.V. zum Vorjahr (absolut) +12.810 -22.952 -6.513 -21.278
Veränderung i.V. zu 2005 (indexiert) -5,71% -7,63% -4,18% -3,2% 100%
Veränderung i.V. zu 2009 (indexiert) 100% -2,04% +1,62% +2,66% +6,05%

*1) Bundesgebiet insgesamt ohne Bayern
*2) Bundesgebiet insgesamt ohne Bayern und Niedersachsen

Eine Zustimmung kann demnach nur unter Vorbehalt erfolgen. Die Zahl der registrierten Straftaten im Zusammenhang mit der Leistungserschleichung, Ladendiebstählen und Straftaten im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen ist von 2008 auf 2009 um 12.810 erfasste Fälle angestiegen, jedoch verläuft diese Steigerung entgegen des langfristigen Trends. Die Steigerung ist alleine auf einen Anstieg um 20.535 Fälle im Bereich der Leistungserschleichung zurückzuführen. In der Polizeilichen Kriminalstatistik 2009 heißt es hierzu:

Die Zunahme im Bereich der Leistungserschleichung wurde im Wesentlichen durch ein verändertes Anzeigeverhalten der Mitarbeiter und Beauftragten der Deutschen Bahn AG bestimmt. (Bundesministerium des Innern, Polizeiliche Kriminalstatistik 2009, Seite 15)

In Bezug auf den statistischen Wahrheitsgehalt der Aussage „wir werden mehr“ lautet die Antwort also eindeutig „JEIN“. Im Hellfeld ist eine Steigerung der registrierten Straftaten von 2008 auf 2009 um 2,04% zu verzeichnen. Erweitert man aber den Betrachtungszeitraum, so muss das Fazit eindeutig lauten, dass der Aussage nicht zuzustimmen ist. Im Gegenteil ist für den Zeitraum von 2005-2009 eine Abnahme der registrierten Straftaten um 5,71% festzustellen.

Es erscheint plausibel, dass der Anstieg registrierter Straftaten im Zusammenhang mit der Leistungserschleichung auf ein verändertes Anzeigeverhalten zurückgeht; ebenso ist vorstellbar, dass ein kontinuierlich verbesserter Diebstahlschutz zu einem Rückgang der Ladendiebstähle geführt hat. Unwahrscheinlicher erscheint hingegen, dass die Zahl der Urheberrechtsverstöße im Betrachtungszeitraum um lediglich 1.511 Fälle angestiegen ist.

Doch auch dieser Umstand lässt sich durch eine statistische Zahlenspielerei stützen: Die Zahl der Deutschen mit Zugang zum Internet ist von 56.623.000 (2005) auf 65.123.800 (2009) gestiegen (Quelle: International Telecommunication Unit). Die Relation von registrierten Straftaten im Zusammenhang mit Urheberrechtsbestimmungen betrug demnach 2005 1:0,000184. Auf Grundlage dieser Relation waren für 2009 bei nunmehr 65.123.800 Internetnutzern eine Fallzahl von 11.998 erwartbar. Die Differenz zur tatsächlich registrierten Kriminalität im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Urheberrechtsbestimmung ist also minimal und damit wahrscheinlich Indiz für einen gleichbleibenden Verfolgungsdruck und ein konstantes Anzeigeverhalten.

Fazit

Die Aussage, „Ladendiebe, Schwarzfahrer, Raubkopierer. Wir sind viele und wir werden mehr“ lässt sich auf Grundlage der offiziell registrierten Straftaten nur bedingt stützen. Vermutlich kann der Aussage unter Berücksichtigung des Dunkelfeldes zugestimmt werden; zahlenmäßig untermauern lässt sich diese Entwicklung aber nicht.

Ein Kompromissvorschlag zur Güte wäre daher folgender Zusatz:

„Ladendiebe, Schwarzfahrer, Raubkopierer. Wir sind viele und wir werden mehr – lassen uns aber nicht erwischen„

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Kategorie: Devianz und Kriminalität, Spaß und Unfug, Vermögensdelikte Stichworte: Bagatelldelikte, Kriminalitätsentwicklung, Kriminalstatistik, PKS, Polizeistatistik

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Kommentare

  1. Rolf Schälike schreibt

    12. Januar 2011 um 09:40

    RA Carsten R. Hoenig ist mir aufgefallen durch sein populistisches Verhalten. Ein Nachhaken offenbarte Zweifel. Wie hoch ist seine Erfolgsrate? Oder sind die Mandanten immer Schuld und die schlechten Richter?

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