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Rezension: Daten, Drohnen, Disziplin.

Am 12. November 2013 gepostet von Christian Wickert

In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Bücher aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie. Die nachstehende Rezension von Reinhard Kreissl zu „Daten, Drohnen, Disziplin. Ein Gespräch über flüchtige Überwachung“ (Bauman/ Lyon, 2013) stellt den bislang zweiten Beitrag in dieser Artikelreihe dar.

Daten-Drohnen-Disziplin Titel: Daten, Drohnen, Disziplin. Ein Gespräch über flüchtige Überwachung
Autoren: Bauman, Zygmunt; Lyon, David
Jahr:  2013
Verlag: Suhrkamp Verlag
ISBN: 978-3-518-12667-7
Diese Rezension wurde verfasst von Reinhard Kreissl, Wien.

In der Popmusik gab es früher die Kategorie der „wouldn’t it be great if…“ Alben. Zwei große Interpreten, jeder für sich ein Meister seines Fachs, zusammen ins Studio gebracht – das müsste doch funktionieren. Tat es aber nicht immer, oft war das Ergebnis enttäuschend. Die Situation mit Bauman und Lyon ist ähnlich gelagert: zwei Top-Stars der dystopischen Zeitdiagnose im Gespräch über den Zustand moderner Gesellschaften – wenn das nicht rockt! In dem kleinen bei Suhrkamp erschienen Band ist der editierte E-Mail Verkehr zwischen den beiden Autoren über zwei Monate hinweg auf knapp 200 Seiten dokumentiert, gegliedert nach Themen in sieben Kapiteln. Vorangestellt ist eine von Lyon geschriebene Einleitung (S.11-30), die Rahmen und Ziel des Unternehmens vorgibt.  Dann beginnt das „Gespräch“, das über weite Strecken hinweg eher ein ausführliches Fragen Lyons an Bauman ist. Man muss hinzufügen, dass das Buch gemäß der neuen Zeitenmarkierung „vor Snowdon“ erschienen ist. Die aktuellen Enthüllungen über das Ausmaß der großflächigen Verwendung von Überwachung durch die amerikanischen Staatsbehörden dürften einen weiten Absatz garantieren. (Ähnlich erging es Ulrich Beck, dessen Buch „Risikogesellschaft“ kurz vor der Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 auf den Markt kam.)

Insgesamt hinterlässt das kleine Büchlein beim Leser den Eindruck, dass Bauman, aus einer europäischen Tradition kritischer Gesellschaftstheorie argumentierend, den infrage stehenden Entwicklungen und Phänomenen mit größerer Tiefenschärfe begegnet als Lyon. Es macht eben einen Unterschied, ob man eine Gesellschaftstheorie hat, mit deren Hilfe man ein Phänomen analysiert oder ob man, wie die Surveillance Studies, deren Pate Lyon ist, aus einer empirischen Beobachtung eine allgemeine Theorie der Gesellschaft basteln möchte. Man kann den Text aber auch lesen als Dokument einer Differenz zwischen einer (alt)europäischen und einer angelsächsischen Perspektive, zwischen dem literarisch und biographisch in der kontinentaleuropäischen Tradition behafteten Bauman und dem angelsächsisch-anglikanischen Lyon.

Bauman bindet seine Argumente immer wieder zurück an Fragen der Ökonomie sowie an die traditionsgewachsenen Formen des Sozialen, unterscheidet zwischen Netzwerk und Gemeinschaft, verweist auf die Grenzen der menschlichen Informationsverarbeitungskapazität im Angesicht der überbordenden Datenflut, analysiert den Übergang vom festen zum flüchtigen Kapitalismus. Ironischerweise nimmt die Cyberkultur diese Art von Kritik bereits auf und bietet bei Veranstaltungen mit so treffenden Namen wie „Wisdom 2.0“ entsprechende „Apps“ für das mentale Abschalten im Zeitalter der elektronischen Überflutung an.

Der herrschaftskritische Mehrwert der Debatte blitzt immer dann auf, wenn Bauman die verlockenden Angebote der Cyberwelt als nötigende Zumutungen interpretiert und sie in die Dialektik von Distanz und Nähe, Autonomie und Bindung einordnet. Das Bedürfnis nach sozialer Einbindung und Anerkennung wird im Zeitalter der flüssigen Moderne für die atomisierten Einzelnen durch soziale Medien befriedigt – aber nur scheinbar. Der freiwillige Cyberexhibitionismus bildet die Basis für umfassende Disziplinierungs- und Überwachungsmaßnahmen. Statt auf Zwang, setzt man auf „Verlockung und Verführung … statt auf polizeiliche Maßnahmen auf ‚’reizvolle Angebote’’’  (S.76). Allerdings bleibt das alte Regime der Disziplinierung weiterhin in Betrieb. Die schöne neue samtene Welt des Konsums braucht nach wie vor die eiserne Faust der Ausgrenzung zur Regulierung des „menschlichen Mülls“ (S.87). Es ist Baumans Verdienst in diesem Gespräch, nicht auf falsche Dichotomien hereinzufallen, die Lyon ihm anbietet. Es geht letztlich nicht darum, dass Surveillance auch ihr Gutes haben, fürsorglich gemeint sein kann – so argumentiert, wer das diffuse Phänomen ohne Begriff betrachtet. Diesen Vorwurf könnte man Lyon nach der Lektüre durchaus machen. Überwachung, ob durch Drohnen oder Kundenbindungsprogramme, ist ein Effekt  gesellschaftlicher Entwicklungen und die werden immer noch – it’s the economy Stupid! – durch die Dynamik des Kapitalismus hervorgetrieben. Und über die hat Bauman schlicht mehr zu sagen, als die Surveillance Studies. Wäre das Buch eines der oben erwähnten Alben, der alte Zyggi hätte, nicht zuletzt dank gelegentlich eingebauter ironischer Seitenhiebe in jedem Fall alle Tracks dominiert.

Reinhard Kreissl
IRKS Research GmbH
Wien

 

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Kategorie: Kontrolle und Sanktionen, Kriminologie allg., Rezension, Überwachung Stichworte: David Lyon, Disziplinargesellschaft, Zygmunt Bauman

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