Nach langjähriger Debatte soll heute der Bundestag über mehrere Vorschläge zur Regelung von Patientenverfügungen entscheiden. Zur Abstimmung stehen drei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe sowie ein Antrag des Abgeordneten Hüppe (CDU), auf eine gesetzliche Regelung ganz zu verzichten.
Heute entscheidet der Bundestag über ein Patientenverfügungsgesetz und versucht auf diese Weise, ein Problem mit juristischen Mitteln zu lösen, das mit solchen jedoch nur schwer lösbar ist. Im Zentrum steht die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass mit einem Menschen, der selbst nicht mehr einwilligungsfähig ist, an seinem Lebensende das geschieht, was er getan oder unterlassen haben möchte? Im Patientenverfügungsgesetz soll deshalb festgelegt werden, dass das getan und unterlassen werden muss, was dieser Mensch irgendwann zuvor in Form einer Patientenverfügung niedergelegt hat. Einerseits ist es gut, wenn ein Gesetz das eigentlich Selbstverständliche festschreibt: Dass der Wille des Patienten, den er in der Patientenverfügung autonom äußert, unbedingt geachtet werden muss. Denn es gibt ein Recht zum Leben, aber keine Pflicht und schon gar nicht gibt es eine Pflicht des Schwerstkranken, noch alle möglichen Eingriffe zu dulden. Andererseits kann niemand mit 100-prozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass das auch das ist, was der Patient wünschen würde, wenn er sich noch äußern könnte. Patientenverfügungen legen einen Menschen auf eine prospektiv verfasste Willensbekundung fest. Aber der Patientenwille kann sich wandeln. Gerade deshalb erscheint mir das in den vorliegenden Gesetzentwürfen dargestellte Verständnis von „Selbstbestimmung“ ein wenig defizitär. Denn es setzt voraus, dass sich Selbstbestimmung in einer einmal getroffenen Entscheidung widerspiegelt. Dies ist jedoch nicht der Fall, da eine getroffene Entscheidung stets einen bestimmten Zustand sowie ein bestimmtes Wissen voraussetzt und sich beides laufend verändert. Deshalb ändern sich in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen genauso wie der medizinische Kenntnisstand, auf dem diese Entscheidungen oftmals beruhen.
Patientenverfügungen (auch ohne gesetzliche Grundlage gibt es schon rund neun Millionen) an sich sind meiner Meinung nach sinnvoll und wichtig, sie sollten jedoch nur ein Element von vielen im Prozess der achtsamen Sterbebegleitung sein. Denn um den Willen des sterbenden Menschen zu erkunden und umzusetzen, bedarf es einer einfühlsamen Wahrnehmung der Äußerungsmöglichkeiten, die auch Menschen im Zustand der so genannten Nichteinwilligungsfähigkeit noch haben. Hierbei spielen Aufmerksamkeit und Zugewandtheit eine wichtige Rolle, welche jedoch gerade dadurch gefährdet werden würden, wenn ein Patientenverfügungsgesetz in den Sterbeprozess eingreift und auf diese Weise vorschreibt, auf Grund einer alten Verfügung „kurzen Prozess“ zu machen.
Als ein solches Element von vielen, bestehen und wirken Patientenverfügungen schon seit geraumer Zeit. Aber sobald sie durch ein Gesetz zu dem rechtlich verbindlichen Kriterium gemacht werden, das im Sterbeprozess anzuwenden und umzusetzen ist, gerät die Menschlichkeit des Sterbens wie der Sterbebegleitung in große Gefahr. Es droht im Namen einer in Wahrheit nicht erreichbaren „Rechtssicherheit“ eine Verdinglichung des Sterbens, die niemand wollen kann.
Gegen die Angst vieler Menschen vor einem als sinnlos empfundenen Sterbeprozess und vor einer Medizin, die vermeintlich nicht loslassen kann, hilft kein Patientenverfügungsgesetz, sondern nur ein achtsamer Umgang mit Sterbenden. Dazu können Patientenverfügungen eine Hilfe sein – ein Patientenverfügungsgesetz entbindet den behandelnden Arzt aber nicht von der Pflicht zu prüfen, ob der bekundete Patientenwille auf die aktuelle Situation zutrifft oder sich gewandelt hat.