Call for Papers
Krimmigration beschreibt die Verwobenheit zweier juristisch noch immer getrennt gedachter Rechtsgebiete: Die zunehmende Verschränkung von Strafrecht und Migrationsrecht. Ihr Effekt ist der Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen von einer vollwertigen Bürgerschaft und der Gesellschaft. Krimmigration ist zugleich Ursache und Folge eines gesellschaftlichen Diskurses, in dem die Konstruktion von Migration, des Fremden und Anderen mit Konstruktionen von Kriminalität, Unsicherheit und Gefahr einhergeht. Dieser Diskurs wird auf der politischen und medialen Bühne geführt, wobei verschiedene Moralunternehmer*innen auf unterschiedlichen Feldern Gefahren konstruieren, um diese Vermengung zu rechtfertigen. Der Diskurs bestimmt aber auch die alltägliche Praxis im Feld von Migration und Strafrecht, wobei die Grenzen zwischen Management und Kontrolle von Kriminalität einerseits und Migration andererseits, die Abgrenzung von strafrechtlichen Sanktionen zu Migrationssteuerung zunehmend verwischen bzw. sich auflösen. Eine wesentliche Folge in der Rechtswirklichkeit besteht im Verlust verfahrensrechtlicher Garantien mit Blick auf die diskursiven Praxen in der weitgehenden Identifikation von Kriminellem mit Fremdem.
Krimmigration als Gegenstand kriminologischer Forschung richtete sich demnach einerseits auf Gesetzgebung, ausführende Politik sowie Praxen der Überwachung und Kontrolle z.B. durch Handhabungen der Polizei und andererseits auf den gesellschaftspolitischen Kontext, der Krimmigration verursacht bzw. möglich macht und z.B. die Frage, auf welche Weise Kriminalitäts- und Migrationsthemen gesellschaftlich gerahmt werden.
Die Tagung zielt auf die juristischen sowie die gesellschaftspolitischen Debatten und auf deren auch transnationale Verwobenheit und historische Kontextualisierung. In der internationalen Literatur werden verschiedene Säulen der crimmigration bestimmt:
1. Die Kriminalisierung von Migration
Migrationsrechtliche Umstände werden strafrechtlich gerahmt bzw. kriminalisiert. So werden z.B. illegaler Aufenthalt oder illegaler Grenzübertritt strafrechtlich verfolgt. Hiermit verbundene Polizeikontrollen folgen einem racial profiling und Grenzkontrollen unterscheiden zwischen anerkannten Bürgern und den crimmigrant others.
2. Die Auswirkung des Aufenthaltsstatus auf die Folgen eines Straftatverdachts
Strafrechtliche Verurteilungen oder Beschuldigungen haben zunehmend migrationsrechtliche Konsequenzen (z.B. im Rahmen des Ausweisungs? oder Flüchtlingsrechts). Zugleich findet kriminalpolitisch eine Fokussierung auf strafrechtliche Tatbestände statt, die als „Ausländerkriminalität“ gedacht werden (wie z.B. die jüngsten Änderungen des Sexual?strafrechts).
3. Verstrafrechtlichung des Migrationsrechts
Es lässt sich ein Trend zur Übernahme von Strategien und Praktiken aus dem System der Kriminalitätskontrolle zur Steuerung von Migration feststellen (z.B. Abschiebungshaft, Auslese von Handydaten, erkennungsdienstliche Behandlung). Das gilt in noch gesteigertem Maße für die Gruppe der „Gefährder“, denen die Bereitschaft zu terroristischen Anschlägen zugeschrieben wird (z.B. elektronische Aufenthaltsüberwachung, Aufenthalts? und Kontaktverbote). Nicht übernommen werden hingegen die im Strafrecht vorhandenen rechtsstaatlichen Garantien und Verfahrenssicherungen, vielmehr findet ein massiver Rechtsabbau statt, der über das Migrationsrecht auf das Strafrecht zurückwirkt (z.B. Abschiebung aufgrund strafprozessual gewonnenen Verdachts ohne Verteidigungsmöglichkeit im Strafverfahren).
4. Gesellschaftlicher Krimmigrationsdiskurs und dessen Wandlungen
Alle drei Säulen sind miteinander verschränkt. Sie stehen in engem Zusammenhang mit dem gesellschaftspolitischen Kontext von Krimmigration. Der gesellschaftspolitische Diskurs, der Krimmigration hervorbringt bzw. rechtfertigt und dessen Wandlungen im Zeitverlauf, bildet demnach eine vierte Säule, die das Feld von Krimmigration bestimmt (z.B. die Konstruktion des Gefährders, von Unsicherheit oder der Flüchtlingskrise).
Angefragt werden Beiträge, die sich auf empirische Studien bzw. auf kriminologische, rechtswissenschaftliche und geschichtswissenschaftliche Analysen stützen. Sie sollen eine interdisziplinäre Perspektive einnehmen.
Ein Teil der Tagung und der Arbeitsgruppen wird in englischer Sprache durchgeführt. Bitte teilen Sie bei Einreichung Ihres Abstracts mit, ob Sie bereit wären, Ihren Vortrag in Englisch zu halten und fügen Sie ggf. auch ein englischsprachiges Abstract bei.
Die Tagung wird organisiert von Martina Althoff, Christine Graebsch, Axel Groenemeyer, Birgit Menzel, Bettina Paul, Dorothea Rzepka und Klaus Weinhauer.
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