Tagungsbericht von Lilli Gaus, Eva Groß, Johannes Häfele, Hanna Klimpe
„Hate Crime – Hate Speech – gruppenbezogene menschenfeindliche Einstellungen in Deutschland im Fokus von kriminologischen/soziologischen Analysen“ virtueller kriminologischer Fachtag am 15.5.2024
I Einführung
Der Fachtag wurde im Rahmen der Projektwoche der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (Department Soziale Arbeit) von Prof. Dr. Carmen Gransee organisiert und finanziell von der Lieselotte-Pongratz-Stiftung unterstützt. Die Zielgruppe bestand aus Fachleuten der Sozialen Arbeit, der Polizei, der Justiz und der Kriminologie.
Ziel der Veranstaltung war es, die Herausforderungen im Umgang mit Hasskriminalität zu beleuchten und die Bedeutung kriminologischer und soziologischer Analysen hervorzuheben. Die Veranstaltung war relevant, weil sie ein tieferes Verständnis für die Auswirkungen von Hasskriminalität schaffen und effektive Maßnahmen zur Strafverfolgung und Prävention entwickeln wollte.
Der Fachtag bestand aus zwei Vorträgen zu den Themenfeldern “Hate Crime, Hate Speech im Fokus gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit” und einem Vortrag und anschließendem Workshop mit Studierenden der Sozialen Arbeit zum Thema “Destruktive Dynamiken und Hate Speech in Social Media – Wie gehen wir in der Hochschule damit um?” und umfasste eine Vielzahl an Themen, darunter die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit und die spezifischen Herausforderungen, denen sich Fachleute der Sozialen Arbeit stellen müssen. Besonders hervorgehoben wurden die Notwendigkeit praxisnaher Lösungsansätze sowie die Stärkung der Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen. Im Workshop und den Diskussionsrunden wurden praxisorientierte Strategien entwickelt, um die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Institutionen zu verbessern, was letztlich die Effizienz und Effektivität der Sozialen Arbeit steigern soll.
Die NSU-Mordserie zwischen 2000 und 2006, der antisemitische Anschlag auf eine Synagoge in Halle 2019 oder der Anschlag in Hanau 2020 zählen zu den bekanntesten und schwersten Fällen von Vorurteilskriminalität in Deutschland. In den vergangenen Jahren sind die offiziell registrierten Fälle vorurteilsgeleiteter Straftaten deutlich gestiegen. Aktuell muss aufgrund der Auswirkungen des Nahost – Konfliktes mit einer weiteren deutlichen Zunahme von vorurteilsbezogenen Handlungen, insbesondere gegen Jüdinnen und Juden, gerechnet werden.
Ein aktuelles und wichtiges Thema, das im Kontext sozialer Arbeit und interdisziplinärer Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die Bewältigung vorurteilsgeleiteter strafbarer Handlungen.
Diese zielen auf die zugeschriebene Gruppenidentität der Opfer ab und orientieren sich an geschützten Merkmalen wie Hautfarbe, religiösem Glauben oder sexueller Orientierung. Neben der direkten Mikroebene entfalten sie auch eine symbolische Wirkung auf die Gesamtheit der Gruppe. Dabei sollen die Mitglieder der Gruppe durch diese Taten verängstigt bzw. eingeschüchtert werden (Mesoebene) (vgl. Groß, Häfele & Peter 2024, S. 1, 2)[1].
Die beabsichtigte symbolische Wirkung solcher Taten geht oft mit einer sehr hohen Gewaltintensität einher, um maximalen Schaden und eine starke symbolische Wirkung zu erzielen. Besonders problematisch ist dabei, dass das betroffene Individuum unfähig ist, das Merkmal zu verändern, welches es zur Zielscheibe gemacht hat. Dies führt zu einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Das Spektrum der vorurteilsmotivierten Kriminalität (VK) reicht von Vandalismus bis hin zu Mord. Solche Taten haben daher besonders schwerwiegende und langfristige Folgen auf individueller, gemeinschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene (vgl. ebd., S. 1).
Die besondere gesellschaftspolitische Bedeutung vorurteilsmotivierter Handlungen unterstreicht die Notwendigkeit einer soliden Datenbasis, um die Perspektive der Betroffenen zu untersuchen, einschließlich ihrer Wahrnehmung der Polizei. Während das Konzept der Hasskriminalität in den USA seit den frühen 1990er Jahren intensiv aus der Opferperspektive erforscht wird, gibt es für Deutschland bisher nur wenige repräsentative Studien (vgl. ebd., S. 1).
II „HateTown“: Einblicke in Hasskriminalität und der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit
Der Vortrag „HateTown“ an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, präsentiert von Prof. Dr. Eva Groß und Prof. Dr. Joachim Häfele, bot einen Einblick in die Konzepte von Hasskriminalität und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF). Von der Analyse vorurteilsgeleiteter Taten in urbanen Räumen bis hin zu den Herausforderungen im Umgang mit Hate Speech in sozialen Medien – das Spektrum der Themen war breit und facettenreich.
Das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF), wie es im Vortrag von Joachim Häfele dargelegt wurde, ist ein zentraler Ansatz zur Erfassung und Analyse von Vorurteilen und Diskriminierungen innerhalb der Gesellschaft. Es basiert auf der Annahme, dass sich menschenfeindliche Einstellungen nicht nur gegen einzelne Individuen, sondern gegen ganze Gruppen richten, die aufgrund bestimmter Merkmale als „anders“ oder „fremd“ wahrgenommen werden. Diese Merkmale können Hautfarbe, religiöser Glaube, sexuelle Orientierung, nationale oder ethnische Herkunft sein.
Die GMF orientiert sich an identitätsstiftenden Merkmalen und manifestiert sich in vorurteilsgeleiteten Handlungen, die gezielt gegen Personen aufgrund ihrer sozialen Gruppenzugehörigkeit gerichtet sind. Diese Handlungen sind nicht persönlich gemeint, sondern tragen einen Botschaftscharakter; sie sollen die betroffene Gruppe insgesamt treffen und marginalisieren. Dieser Botschaftscharakter unterstreicht die soziale und politische Dimension von Vorurteilskriminalität, da solche Handlungen nicht nur individuelle Schäden verursachen, sondern auch zur Verfestigung von Machtverhältnissen und zur Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheit beitragen.
Die Forschung zu GMF, wie sie von Wissenschaftlern wie Heitmeyer und Zick durchgeführt wurde, zeigt, dass GMF ein komplexes Phänomen ist, das verschiedene Formen der Feindseligkeit umfasst, darunter Rassismus, Sexismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und andere. Diese Formen der Feindseligkeit sind oft miteinander verbunden und verstärken sich gegenseitig, was die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes zur Bekämpfung von GMF unterstreicht.
Ein wichtiger Aspekt des GMF-Konzepts ist die Erkenntnis, dass diese Einstellungen und Handlungen nicht nur am Rande, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft verankert sind.
Sie werden durch bestimmte Diskurse, politische Entscheidungen und soziale Praktiken normalisiert und legitimiert. Dies macht deutlich, dass der Kampf gegen GMF nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf struktureller und institutioneller Ebene geführt werden muss. Joachim Häfele betonte die globale Relevanz von Hasskriminalität und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF). Durch die Übersetzung der Erhebungsinstrumente in mehrere Sprachen und die Einbeziehung betroffener Gruppen in die Methodik wurde die internationale Anwendbarkeit und kulturelle Sensibilität sichergestellt. Kooperationen mit internationalen Partnern und der Vergleich mit europäischen Dunkelfeldstudien verdeutlichen die europaweite Herausforderung. Die Einordnung der Studienergebnisse von „HateTown“ in den Kontext internationaler Rechtsnormen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention unterstrich die Bedeutung einer globalen Perspektive.
Im Mittelpunkt der Präsentation von Prof. Dr. Eva Groß standen die Erfahrungen von Opfern von Vorurteilskriminalität, unterstützt durch umfassende empirische Daten aus dem Projekt „HateTown“. Die Zahlen zeigen deutlich: Von den 3.456 befragten Personen berichteten 2.737 (79,2 %) von mindestens einer Viktimisierungserfahrung, was die alarmierende Prävalenz von Vorurteilskriminalität verdeutlicht. Die Ergebnisse des Vortrags sind besonders relevant für die Soziale Arbeit im Sozialraum. Minderheitengruppen sind stark von Diskriminierung und Vorurteilsdelikten betroffen. Höhere Raten von Diskriminierungserfahrungen und eine größere Wahrscheinlichkeit, Opfer von Vorurteilsdelikten zu werden, zeichnen ein klares Bild der gefährdeten Position dieser Gruppen. Soziale Arbeit muss hier gezielt ansetzen, um diese vulnerablen Gruppen zu unterstützen und ihre Integration im Sozialraum zu fördern.
Die Folgen für die Opfer sind schwerwiegend. Viele berichten von Ängsten und Vermeidungsverhalten. Die Studie zeigt zudem, dass die Bevölkerungsdichte und der Zweitstimmenanteil der AfD in einem Stadtteil die Wahrscheinlichkeit von Hasskriminalität beeinflussen. Erschreckende 50 % der Betroffenen gaben an, ihr Verhalten aus Angst vor weiteren Angriffen angepasst zu haben.
Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, dass die Soziale Arbeit im Sozialraum aktiv wird. Sozialarbeiter*innen müssen Vertrauenspersonen für Betroffene sein und ihnen Zugang zu Hilfsangeboten erleichtern.
Diskriminierungserfahrungen untergraben das Vertrauen in Institutionen, insbesondere in die Polizei. Dies führt zu einer hohen Dunkelziffer: Etwa 80 % der Opfer zeigen die Taten nicht an, und 40,9 % suchen keine Unterstützung. Diese Zahlen weisen auf erhebliche Barrieren im Zugang zu Hilfsangeboten hin.
Ein besonders innovativer Aspekt des Projekts „HateTown“ ist die Erstellung einer belastbaren Datengrundlage, die die Vulnerabilität von Gruppen und das Ausmaß von Vorurteilskriminalität erfasst sowie räumliche Faktoren identifiziert, die solche Delikte begünstigen. Die Verwendung von multivariaten und multilevel Analysen erlaubt es, komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen und gezielte Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.
Der Vortrag war nicht nur informativ, sondern auch interaktiv gestaltet. In der Fragerunde nach dem Online-Vortrag konnten die Teilnehmenden persönliche Erfahrungen und Ansichten teilen, was zu einem vertieften Verständnis der Thematik führte. Ebenso wurde gemeinsam nach Lösungsansätzen gesucht. Die Monetarisierung der Studie „HateTown“ ist aus Sicht der Forschenden absolut notwendig, um sicherzustellen, dass alle erforderlichen Ressourcen für die Durchführung dieser spezifischen Studie verfügbar sind. Die Studie „HateTown“ und andere im Dokument erwähnte Untersuchungen liefern wichtige Einblicke, jedoch bleibt die Frage der Generalisierbarkeit der Ergebnisse offen. Unterschiedliche soziale, kulturelle und rechtliche Kontexte können die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf andere Regionen oder Länder einschränken.
Der Vortrag „HateTown“ leistete einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis von Hasskriminalität und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Durch die Kombination fundierter empirischer Daten, interaktiver Diskussionen und innovativer Ansätze wurden wertvolle Einblicke gewonnen, die sowohl für die wissenschaftliche Gemeinschaft als auch für Praktiker*innen der Sozialen Arbeit von großem Nutzen sind. Die Erkenntnisse regen zu weiterführenden Forschungen und Maßnahmen an, um effektive Strategien zur Prävention und Bekämpfung von Hasskriminalität zu entwickeln. Soziale Arbeit kann hierbei eine Schlüsselrolle spielen, indem sie im Sozialraum präventive Maßnahmen entwickelt und umsetzt sowie Betroffenen direkte Unterstützung bietet.
III „Hasskriminalität. Eine empirische Untersuchung der Strafverfolgungspraxis“, Lilli Gaus (MA Krim.)
Im Rahmen dieser Online – Fachveranstaltung präsentierte Lilli Gaus die zentralen Erkenntnisse ihrer Masterarbeit, die auf qualitativen Interviews mit Staatsanwältinnen basieren und die Strafverfolgungspraxis bei Hasskriminalität untersuchen.
Lilli Gaus stellte fest, dass die Herausformung einer klaren und umfassenden Definition von Hasskriminalität zentral für die Effektivität der Strafverfolgung und Prävention ist. Eine unzureichende definitorische Klarheit kann die Erfassung und Vergleichbarkeit von Daten erschweren und somit die Entwicklung effektiver Präventions- und Interventionsstrategien behindern. In ihrem Vortrag betonte sie die Notwendigkeit eine solchen Definition von Hasskriminalität, die sowohl juristische als auch soziale und psychologische Dimensionen umfasst. Eine präzise Definition ist unerlässlich, um eine einheitliche und effektive Strafverfolgung zu gewährleisten. Um ein umfassendes Verständnis der Thematik zu gewährleisten, wurden in ihrer Untersuchung sowohl kriminologische als auch juristische Definitionen von Hasskriminalität dargestellt. Ein besonderer Fokus lag auf der Analyse der Effektivität verschiedener juristischer Rahmenbedingungen. Ziel war es, Best Practices für eine harmonisierte Vorgehensweise zu identifizieren, die auf nationaler Ebene eine effektive Bekämpfung von Hasskriminalität ermöglichen.
Ein weiteres Hauptproblem, das Lilli Gaus in ihrem Vortrag hervorhob, ist die niedrige Anzeigebereitschaft von Opfern von Hasskriminalität. Viele Opfer melden diese Verbrechen aus Angst vor Repressionen oder aufgrund mangelnden Vertrauens in die Strafverfolgungsbehörden nicht. Dieses fehlende Vertrauen kann durch Erfahrungen mit Diskriminierung und Vorurteilen verstärkt werden, was die Bereitschaft, Straftaten anzuzeigen, weiter mindert. Die niedrige Anzeigebereitschaft von Opfern von Vorurteilskriminalität war ein zentrales Thema in den Ausführungen, und warf Fragen bezüglich der Validität der erfassten Daten auf. Die hohe Dunkelziffer könnte dazu führen, dass das tatsächliche Ausmaß von Hasskriminalität unterschätzt wird, was wiederum die Entwicklung zielgerichteter Maßnahmen erschwert.
Ein weiteres zentrales Thema in Lilli Gaus’ Vortrag waren die Ermittlungsschwierigkeiten, die mit Hasskriminalität einhergehen. Die Staatsanwältinnen berichteten von den Herausforderungen, ausreichende Beweise zu finden und die Motivation der Täter*innen nachzuweisen. Die Sammlung ausreichender Beweise beinhaltet sowohl die physischen Beweise am Tatort als auch digitale Spuren, die die Motivation der Täterinnen und Täter belegen können. Die Beweisführung wird dadurch erschwert, dass Hasskriminalität oft subtil und indirekt ausgeübt wird, was die Zuordnung und Interpretation von Beweisen kompliziert macht.
In ihrem Vortrag stellte Lilli Gaus mehrere Empfehlungen und Lösungsansätze vor, die aus ihrer Forschung hervorgehen und die auch für die Praxis der Sozialen Arbeit von großer Bedeutung sind. Diese Empfehlungen sind ebenso entscheidend für Strafverfolgungsbehörden:
Lilli Gaus unterstrich die Notwendigkeit, sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Gesellschaft für das Thema Hasskriminalität zu sensibilisieren. Aufklärungskampagnen und Fortbildungen können helfen, Vorurteile abzubauen und ein besseres Verständnis für die Problematik zu schaffen. Strafverfolger*innen sollten sich kontinuierlich weiterbilden, um die speziellen Bedürfnisse und Herausforderungen von Opfern besser verstehen und angemessen darauf reagieren zu können. Spezialisierte Trainingsprogramme können dabei helfen, die Kompetenzen in diesem Bereich zu erweitern. Dies gilt ebenso für Strafverfolgungsbehörden, die durch Fortbildungen und Spezialisierung ihre Effizienz bei der Bekämpfung von Hasskriminalität steigern können. Durch präventive Arbeit, wie Bildungs- und Sensibilisierungskampagnen in Schulen und Gemeinschaften, können Sozialarbeiter*innen helfen, Vorurteile abzubauen und ein Bewusstsein für die Folgen von Hasskriminalität zu schaffen. Auch Strafverfolgungsbehörden profitieren von präventiven Ansätzen und der Zusammenarbeit mit Gemeinschaften, da sie dann frühzeitig gegen Hassverbrechen vorgehen können.
Sozialarbeiter*innen sollten Opfer von Vorurteilskriminalität dabei unterstützen, ihre Rechte zu kennen und sich gegen Diskriminierung und Gewalt zu wehren. Dies umfasst die Bereitstellung von Informationen, Beratungsangeboten und psychologischer Unterstützung. Die Erfahrungen von Opfern von Hasskriminalität sowie die psychosozialen Folgen für die Betroffenen und deren Umfeld werden als Bereiche angesehen, die einer tieferen Betrachtung bedürfen.
Die Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kann die Effektivität von Maßnahmen gegen Hasskriminalität erheblich steigern. NGOs bieten spezialisierte Ressourcen und Netzwerke, die für die Unterstützung der Opfer und die Aufklärung der Gesellschaft von großem Nutzen sind. Die Einbindung von Opferberichten und Fallstudien kann dabei helfen, die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betreuung zu unterstreichen und die Entwicklung zielgerichteter Unterstützungsangebote zu fördern.
Lilli Gaus’ Vortrag verdeutlichte die komplexen Herausforderungen bei der Strafverfolgung von Hasskriminalität und die wichtige Rolle der Sozialen Arbeit in diesem Kontext. Ihre Untersuchung zeigt, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und NGOs notwendig ist, um Hasskriminalität effektiv zu bekämpfen.
IV Destruktive Dynamiken und Hate Speech in Social Media – Wie gehen wir in der Hochschule damit um?, – Ein Workshop mit Studierenden, Prof. Dr. Hanna Klimpe (HAW Hamburg)
Im Rahmen eines Vortrags von Prof. Dr. Hanna Klimpe, Professorin für Social Media an der HAW Hamburg, und einer anschließenden Diskussion, moderiert von Prof. Dr. Frauke Schwarting, diskutierten die Teilnehmer*innen über destruktive Dynamiken und Hate Speech auf Social Media im Hochschulkontext. Hintergrund war eine Diskussion um eskalierende Kommunikationsdynamiken insbesondere in WhatsApp-Gruppen von Studierenden. Dies reicht von Diskussionen um Notenvergabe bis zu WhatsApp-Gruppen über den Nahostkonflikt, bis hin zur gestiegenen Bedeutung von Social Media für die politische Meinungsbildung von jungen Menschen (Henn 2021; Wunderlich 2023).
Zunächst führte Hanna Klimpe zwei in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangene Phänomene ein, die die Sichtbarkeit von Meinungspluralität auf Social Media einschränken: Echo Chambers und Filter Bubbles. Echo Chambers (auch „Epistemic Bubbles“ genannt), zu denen es keine einheitliche Theorie gibt, beschreiben hierbei ein Phänomen, dass es auch offline z.B. in Parteien oder Sportvereinen gibt: User*innen einer bestimmten Community bestätigen sich gegenseitig in ihren Meinungen und Haltungen, relevante Informationen werden dabei – absichtlich oder unabsichtlich – ausgespart. Bei Echo Chambers wird die Sichtbarkeit von Meinungspluralität also durch das Nutzerverhalten selbst eingeschränkt.
Das von Eli Pariser bekannt gemacht Phänomen der Filter Bubbles (Pariser 2012) beschreibt hingegen die Funktionsweise von Algorithmen von Social-Media-Plattformen, die User*innen solche Inhalte zum weiteren Konsum vorschlagen, die ihrem bisherigen Nutzerverhalten sehr ähnlich sind, um sie zu längeren Aufenthalten auf den Plattformen zu animieren. Dies führt aber auch dazu, dass User*innen schnell nur ein sehr eingeschränktes Inhalts- und Meinungsspektrum angezeigt wird. Während Echo Chambers Nutzerverhalten beschreiben, bezieht sich das Phänomen der Filter Bubbles auf die Funktionsweise von Algorithmen, also auf die Infrastruktur der Plattformen.
Als weiterer Punkt, der zu einer Radikalisierung von Diskursen führen kann, wurde Überforderung angeführt, sowohl in Form einer überforderten Meinungsbildung als auch eines überforderten Schweigens. Den Druck der Informationsflut und -breite in Social-Media-Timelines hat der Internet-Theoretiker Douglas Rushkoff bereits 2013 als „Present Shock“ (Rushkoff 2013) beschrieben: Die Gleichzeitigkeit von völlig unterschiedlichen Informationen überfordert das menschliche Gehirn und provoziert vorschnelle und tendenziell radikale Meinungsbildung. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass User*innen sich auf Social Media immer weniger politisch äußern (Kelm et al. 2023). Als Erklärung hierfür wird mehrfach das Modell der Schweigespirale (Noelle-Neumann 1980) herangezogen: Eine medial vermittelte vermeintliche Mehrheitsmeinung führt dazu, dass Gegenstimmen sich nicht mehr am öffentlichen Diskurs beteiligen, um sozial nicht isoliert zu werden. Hierbei muss betont werden, dass Noelle-Neumann ein sehr konservatives Bild einer Öffentlichkeit vertritt, die eigentlich der Erziehung durch eine Elite bedarf.
Hanna Klimpe differenzierte im Folgenden zwischen drei Ausprägungen einer bewussten Eskalation auf Social Media: Dem Call-Outen, dem Canceln und der Hate Speech. Call-Outing bedeutet, das (so empfundene) Fehlverhalten einer anderen Person zu benennen, sei es zum Selbstschutz oder als Ally (Verbündete*r) einer minorisierten Person oder Gruppe, mit dem Ziel, die Person, die outgecallt wurde, zu einer Verhaltensänderung zu animieren und andere davon abzuhalten, dieses Fehlverhalten zu begehen. Ein Beispiel hierfür könnte sein, eine dozierende Person darauf hinzuweisen, dass es rassistisch ist, ein*e BIPoC-Kommiliton*in zu fragen, wo ihre*seine Eltern herkommen. Beim Canceln wird das Fehlverhalten einer Person oder Personengruppe skandalisiert, um diese Person aus einer Community / einem Job / einem gesellschaftlichen Diskurs auszuschließen. Canceln bezieht sich hierbei immer auf ein konkretes (so empfundenes) Fehlverhalten der Person. Hate Speech hingegen beschreibt den rein destruktiven Impuls, eine Person oder eine Gruppe durch Beschimpfungen und Bedrohungen einzuschüchtern und „mundtot“ zu machen. Problematisch ist hierbei, dass Akteur*innen eines Diskurses die Eskalation teilweise sehr unterschiedlich einordnen: Was die einen als Call-Outing gemeint haben, kann von der Gegenseite als Canceln oder gar als Hate Speech empfunden werden.
Anschließend wurde über die Funktion und Rolle von TikTok, Instagram und WhatsApp in der studentischen Kommunikation gesprochen und folgende Fragen aufgeworfen:
- Wie können destruktive Dynamiken eingedämmt werden und gleichzeitig Safe Spaces geschützt werden?
- Wo können sich Studierende selbst organisieren, wo ist Unterstützung von Lehrenden nötig?
- Wie kann die Kommunikationskultur auf studentischen Social-Media-Kanälen verbessert werden?
Im Gespräch war es ein besonderes Anliegen, zu diskutieren, wie eine Diskussion, die auf Social Media startet bzw. eskaliert, in einen analogen Austausch übertragen werden kann, um Hate Speech einzudämmen. Hierbei wurde betont, dass Social Media nicht per se negativ ist und zahlreiche Emanzipationsbewegungen wie #MeToo oder #BlackLivesMatter ermöglicht hat (Jackson et al. 2021). Im Hinblick auf existierende studentische WhatsApp-Gruppen wurde diskutiert, Chat-Regeln einzuführen und Admins mit klar definierten Befugnissen zu benennen. Auch wurde ambivalent diskutiert, ob jeder Social-Media-Raum politisch sein müsste oder ob es Gruppen für rein organisatorischen Austausch und Gruppen für spezifische politische Diskussionen geben müsse, um durch eine größere Trennschärfe einen besseren Diskurs zu ermöglichen. Dies würde auch ermöglichen, ein analoges Format wie z.B. eine Vollversammlung besser organisieren zu können.
Der Austausch nach den Beiträgen hat erneut gezeigt, wie wichtig die wissenschaftliche Forschung zu diesem Themenfeld im Dialog mit der Praxis, aber auch im Gespräch mit Studierenden ist.