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Rezension: The Global Police State

Am 26. Februar 2021 gepostet von Christian Wickert

In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Büchern aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie. Weitere Rezensionen finden sich hier.

Die Rezension wurde verfasst von Nils Zurawski, Hamburg
Cover: The Global Police State Titel: The Global Police State
Autor: William I Robinson
Jahr: 2020
Verlag: Pluto Press
ISBN: 978 0 7453 4164 4

Wer ein Buch über die Polizei erwartet, wie ich es zumindest vom Titel her tat, der wird enttäuscht werden. William Robinsons entwirft in dem Buch eine Analyse, die sich mit den politökonomischen Bedingungen und Strukturen beschäftigt, welche die Welt im 21. Jahrhundert prägen. Und aus seiner Sicht ist das eine sehr düstere Perspektive. Als Einstieg wählt er als Referenz den Roman „Everything is known“ von Liza Elliott, in dem es u.a. heißt: „George Orwell got it wrong. Big Brother did not come from a totalitarian state, but from a totalitarian non-state.“ Er verweist damit auch die totale Kontrolle und Überwachung der Welt durch Big Data und die diese kontrollierenden Unternehmen, die zunehmend, so sein Argument, die eigentliche Kontrolle in globaler Perspektive ausüben. Der globale Polizeistaat ist das von ihm entworfene (oder gewählte) Konzept um die gegenwärtigen Strukturen von globalen Herrschaftsverhältnissen, Reichtumsverteilung sowie den damit verbundenen technologischen Entwicklungen zu beschreiben – jenseits nationalstaatlicher Rahmungen.

Drei Entwicklungen identifiziert er in diesem Zusammenhang als entscheidend: Erstens ein allgegenwärtiges System der Kontrolle und Überwachung; zweitens etwas, das er als militarized accumulation bzw. accumulation by repression bezeichnet; und drittens eine Entwicklung von politischen Systemen, in denen er einen 21-Jahrhundert-Faschismus erkennt. Es wird recht schnell klar – wir sind auf Seite 3 des Buches – dass seine Analyse düster ist, eine stark politökonomische, marxistische Gewichtung besitzt und dabei ohne viel Verzierungen auskommen wird – sie ist direkt und auf den Punkt. Ob man diesem Punkt angesichts der präsentierten Zahlen und Zusammenhänge so immer auch immer folgen will, liegt dann im Auge der Leser:innen. Das gemachte Angebot jedenfalls lässt wenig alternative Sichtweisen zu – was zum einen heißen kann, dass es sie nicht gibt, oder dass die Analyse diese nur nicht zulässt. Das Problem wird sich nicht im Buch klären. Die Analyse ist auf jeden Fall die (kurze) Lektüre von 140 Seiten wert.

Die Analyse beginnt mit einer Beschreibung einer Krise des globalen Kapitalismus, welche dem Autor nach geprägt ist von Überakkumulation, Überproduktion und der Ausbeutung von Mensch und Natur. Aus den sich so ergebenden globalen Ungleichheiten folgt logischerweise die Notwendigkeit der totalen sozialen Kontrolle der Ausgebeuteten und Unterdrückten, die sich ein Transnationaler Kapitalismus leisten muss um zu existieren. Das erinnert in Teilen an die Argumente von Loic Wacquant, die hier allerdings wesentlich harscher und konsequenter auf die globale Ebene gehoben werden. Es geht dabei, so Robinson, um die Kontrolle der Überflüssigen, die in den System erzeug werden. In Kapitel 3, dem m.E. nach interessantesten Kapitel dreht sich alles um die globale Militarisierung des Kapitalismus, um Kriege und die durch die kapitalistischen Dynamiken erzeugten Zusammenhänge zwischen Kriminalisierung, Gewalt, Überwachung und globaler Gier (mein Begriff) und Ausbeutung. Der Abschnitt ist auch deshalb so interessant, weil er zu einem großen Teil auf empirischen Daten und Zahlen basiert, mit denen die Verstrickungen von privaten Militäranbietern, Staaten und dem bereits vom US-Präsidenten Eisenhower konstatierten militärisch-industriellen Komplex auf globaler Ebene in all ihren Konsequenzen aufgezeigt werden. Robinson wählt genau für diese Verstrickungen und Zusammenhänge den Begriff der militärischen Akkumulation, wodurch bei ihm die militärisch-gewalttätige Ausgestaltung der Ausbeutung vor dem Hintergrund einer verdichteten Globalisierung in den Vordergrund gestellt wird. Das präsentierte Material, die Zahlen und Daten sind überbordend, oft mit dem Effekt, dass ich mich als Leser bisweilen überwältigt fühlte. Die Zahlen wurden zum Argument an sich. Das ist durchaus legitim, es braucht aber doch eine gewissen innere Distanz, um dabei den Blick auf die Bäume vor lauter Wald nicht zu verlieren. Da alles mit allem verknüpft ist, wird die Militarisierung zum Treiber globaler kapitalistischer Entwicklungen, vom Kampf gegen den Terror zum Kampf gegen die Migranten, die Kriminalisierung der jeweils eigenen (überschüssigen) Bevölkerung wird hier alles Teil derselben Gleichung.

Faschismus, so Robinson, ist eine spezifische Antwort auf eine Krise des Kapitalismus. In Kapitel 4 verfolgt er dieses Argument, auch und besonders unter Rückbezug auf erstarkende autoritäre System in Europa und den USA unter Trump. Es ist nicht überraschend, dass hier Gramsci hier zu einem seiner Hauptzeugen wird und er eine Internationale des Faschismus des 21. Jahrhunderts heraufziehen sieht. Es steht im gut an zu verdeutlichen, dass er die Rolle der USA in dieser Entwicklung nicht erst bei Trump einsetzt, sondern die hegemoniale Stellung und neo-liberale Politik einer militärischen Globalisierung bis zu Bill Clinton und den dann folgenden Präsidenten zurückverfolgt. Auch weitet der den Blick, wenn er konsequent von einem globalen Trend und globalen Verstrickungen des faschistischen Kapitalismus spricht und zeigt, warum der Nationalstaat nicht viel mehr als eine rhetorische Größe in diesem Bild ist. Deshalb sind seine letzten Seiten der Analyse auch der Frage nach einem globalen Klassenkampf gewidmet, dem sich eine globale (?) Linke stellen müsste.

Das Buch präsentiert eine wildes Analyse eines globalen „Kapitalismus in der Krise“, der als beständige Krisenintervention einen globalen Polizeistaat entwickelt hat um als Daueraufgabe gewissermaßen gegen die Überflüssigen anzukämpfen. Vor Ort, global, mit mächtigen Unternehmen, die vor allem mit Krieg, Überwachung und militarisierter Ausbeutung ihr Geld verdienen und ihre Macht stützen. Man kann den Duktus der Analyse nicht mögen, viele Zusammenhänge sind auf jeden Fall einen zweiten Blick wert. Es ist sozusagen die hässliche, gewalttätige Seite der Diskussion, die Shoshana Zuboff zum Daten-getriebenen Überwachungskapitalismus angestoßen hat und die in Bezug zu Facebook, Google & Co ebenfalls geführt wird. Es wäre an der Zeit beide Seiten zusammenzuführen, um ein ganzes Bild zu erhalten. Ob sich die Analyse in ihrer Rigidität so dann immer bewahrheitet ist nicht ausgemacht – wahrgenommen werden sollte sie auf jeden Fall.

ps. Zum Thema privater Militärdienstleister lohnt sich auch diese Folge des Podcasts Sicherheitshalber.

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Kategorie: Kriminologie allg., Recht und Gesetz, Rezension, Sicherheitspolitk Stichworte: Big Brother, Big Data, Globalisierung, Kapitalismus, Militarisierung, Überwachung

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