In Kooperation mit dem Surveillance Studies Blog veröffentlicht Criminologia Rezensionen von Büchern aus den Bereichen Überwachung & Kontrolle und Kriminologie.
Weitere Rezensionen finden sich hier.
Titel: | Polizeilicher Kommunitarismus: Eine Praxisforschung urbaner Kriminalprävention | |
AutorInnen: | Thomas Scheffer, Christiane Howe, Eva Kiefer, Dörte Negnal, Yannik Porsché | |
Jahr: | 2017 | |
Verlag: | Campus | |
ISBN: | 978-3593505732 |
Ich kann es auch gleich vorweg sagen: Dieses Buch habe ich begeistert und mit Gewinn für meine eigene praktische Forschung gelesen. Es bietet sowohl Anknüpfungspunkte für eine theoretische Diskussion innerhalb der Polizeiforschung, aber eben auch ganz praktische Hinweise, wenn man sich selbst im Feld befindet oder in dieses gehen will. Es ist gleichzeitig selbst eine Ethnographie, wie auch eine Reflexion darüber. Mir persönlich hat das Buch als Einstieg in eine Forschung bei der Polizei geholfen, bis hin zu Schlüsselszenen der Erkenntnis, die ich diesem Buch entnommen habe.
Das Buch ist unterteilt in 4 Abschnitte, in denen die Autoren in unterschiedlichen Konstellationen zu verschiedenen Aspekten polizeilicher Kriminalprävention schreiben. Der Fokus durch den gesamten Band sind dabei “die unzähligen Rahmen ‚’dort draußen’”, in denen sich Prävention vollzieht, wie Thomas Scheffer im Vorwort herausstellt (S. 16). Die Einteilung der Abschnitte ergibt eigentlich erst Sinn, wenn man die Kapitel selbst liest. Dabei muss man sagen, dass dieses Buch sich mehr als viele andere dazu eignet, nicht-linear von vorn nach hinten gelesen zu werden, sondern nach Bedarf und Interesse im besten Sinne “quer” gelesen werden kann (damit meine ich nicht den Text nur zu überfliegen).
Die Forschung selbst folgte einer transsequentiellen Analytik, in denen einzelne Episoden und Arbeitssituation in den Fokus genommen worden sind. Die Analyse solcher Situationen in den einzelnen Kapiteln macht den eigentlichen Lesespaß aus. Die Einteilung der Formen der Prävention, die dem Buch seine Struktur geben, sind im Vorwort kurz erklärt. Diese unterscheiden sich in Sozialraum- und Milieuarbeit; Projektarbeit; Bildungsveranstaltungen; Servicearbeit; sowie Fallarbeit. Wichtig für diese Formen sind die darüber geschlossenen Bündnisse, die die Arbeit der Polizei aus einer bloß polizeilichen Befassung herausführen.
Und bereits hier eine Anmerkung aus meiner eigenen Forschung bei und mit der Polizei: Auch wenn die Arbeit von “Stadtteilpolizisten” (in Hamburg eigentlich Besonderer Fußstreifendienst, BFS, genannt) oder die des Hamburger Jugendschutzes (früher einmal “Sitte”) bisweilen aussieht wie polizeiliche Sozialarbeit, so ist diese Charakterisierung bei vielen Beamten sehr unbeliebt oder wird schon von Ihnen selbst als unzutreffend eingestuft – oft noch bevor ich die Frage überhaupt aufgeworfen habe oder überhaupt hätte.
Die Abschnitte befassen sich also mit den Formen kriminalpräventiver Polizeiarbeit (I), den Vorformen kriminalpräventiver Polizeiarbeit (II); den Bündnissen (III “Querblicke”), sowie den Heraus- und Anforderungen kriminalpräventiver Polizeiarbeit (IV). Eine sehr anschauliche Übersichtstabelle findet sich auf S. 31, in denen auch klar wird, warum Formen und Vorformen unterschieden werden und warum letztere erst als zweites behandelt werden. Die Vorformen sind die in- und externen Voraussetzungen, auf denen eine kriminalpräventive Polizeiarbeit aufbauen kann: Infrastruktur- und Netzwerkarbeit, die nicht für sich stehen, sondern in den aufgeführten Formen für den Erfolg überhaupt erst nötig sind. Das betrifft auch und vor allem die interne Infrastrukturen, denn letztlich ist die Polizei eine sehr hierarchisch organisierte Behörde, die sowohl eine eigene Arbeit macht, aber eben auch politischen Interessen unterworfen ist, so dass nicht BeamtInnen einfach auf Eigeninitiative hin agieren können.
So habe ich mich in Hamburg u.a. mit einem Stadtteilpolizisten unterhalten, der im Zuge des Flüchtlingszuzuges 2015 seine Arbeit mehr oder weniger umstrukturiert hat und der “Flüchtlingsbeauftragte” seiner Wache wurde, so seine Eigendarstellung. Er hat sich in der Folge fast ausschließlich um die in seinem Revier befindliche Erstaufnahme gekümmert, ohne das ein solches Vorgehen vorher so abgestimmt worden war. Es wurde ihm ermöglicht, war aber ein eher seltener Fall von Eigeninitiative, die gutheißen und abgesegnet worden war. Interessant dabei ist, dass er seine Erfahrungen zwar auf Vorträgen weitergeben durfte, für andere Erstaufnahmen diese Art der Polizeiarbeit aber nicht generell übernommen wurde, mögliche neue Impulse für eine Präventionsarbeit der Polizei nicht programmatisch überdacht worden sind.
Zu den Vorformen gehören aber auch andere infrastrukturelle Aspekte, wie die Dokumente, die in der Forschung der Gruppe eine besondere Beachtung fand, gerade trotz der als dominant festgestellten Mündlichkeit von Polizeiarbeit. Ähnliches gilt für die Standardisierungen von Tätigkeiten und Verfahren, die angesichts der “Behörde” Polizei nicht verwundern, auf die aber ein besonderer, analytischer, wissenschaftlich fokussierter Blick häufig fehlt.
Bei den Formen möchte ich das Kapitel zum Sozialraum exemplarisch hervorheben, da die Autorin Christiane Howe hier zum einen anschaulich die gewählte Methode „vorführt“, andererseits die präventive Arbeit von Polizei auf der Straße, im Kontakt mit den Bewohnern eines Viertels nachzeichnet, insbesondere wie in den informellen Kommunikationszusammenhängen die Verpflichtungen, Übereinkünfte, Umgangsformen, aber auch Normen wie Ehre, Tugend und Moral verhandelt und hergestellt werden (S. 91). Weitere Kapitel, die ich hier hervorheben möchte, sind zwei aus dem IV. Abschnitt. Zum einen Eva Kiefers Ausführungen zu “Reflexiver Nähe”, weil hier ein Aspekt angesprochen wird, der in der Polizeiarbeit insgesamt enorm wichtig ist: Nähe- und Distanzverhältnisse. Ein Schlüsselsatz dabei ist:
„In der polizeilichen Praxis sind nicht nur Methoden der Distanzminderung und der Distanzierung zu beobachten, sondern in die hergestellte Nähe ist Distanz eingewoben“ (S. 231).
In meiner eigenen Arbeit sind diese Nähe- und Distanzverhältnisse von zentraler Bedeutung, ihre Herstellung kein Zufall und auch das Einbinden meiner Präsenz im Feld ein Teil der Praxis, insbesondere in der Begegnung mit Bürgern während der Feldforschung, die ich dann als dritte Person begleite, aber gleichzeitig auch ein Teil der Interaktion selbst werde bzw. von den Polizisten vom “unabhängigen Beobachter” zum Teil der Handlung werde.
Das zweite hervorzuhebende Kapitel betrifft die Möglichkeiten einer kritischen Begleitung von Polizeiarbeit. Insbesondere das Unterkapitel zu “Doing being critical in der Polizei” ist hier von Relevanz, nicht zuletzt da mir fast 1-zu-1 mit den gleichen Argumenten und Fragen seitens der Polizei begegnet wurde. Hierbei geht es um die Erwartungen der BeamtInnen einer Evaluierung ihrer Arbeit durch die Feldforscher, was wiederum mit der mangelnden Fehlerkultur in der Polizei zu tun hat. Dieses Phänomen ist nicht explizit Thema des Kapitels – hier geht es eher um die Rolle der FeldforscherInnen – aber es ließe sich hier sehr gut eine generelle Debatte und möglicherweise weitere Forschung zu diesem Thema anschließen – ethnographisch,aber eben auch strukturell und den Polizeiapparat und seine Kultur insgesamt.
Mein Fazit fällt angesichts der oben gemachten Ausführungen auch relativ kurz aus. Das Buch ist für jede ethnographische Feldforschung ein enormer Gewinn und bietet eine Vielzahl an Aspekten, an die man anschließen kann, diese wiederzuerkennen und darüber erweiterbar sind. Darüber hinaus lassen sich an einzelnen Punkten andere Aspekte von Polizei auf Grundlage ethnographischer Daten theoretisch diskutieren, wie die erwähnte Fehlerkultur und ihre Konsequenzen für polizeiliches Handeln im strukturellen, politischen Sinne. Wie jede gute Ethnographie bietet es somit einen Überblick über das erforschte Geschehen selbst und eröffnet Möglichkeiten weitergehender kritischer Beschäftigung mit der Polizei – bei gleichzeitiger Würdigung polizeilicher Arbeit im Bereich ihrer präventiven Aspekte und Ausprägungen.