Dies ist der erste Teil einer Beitragsreihe zum Thema „Darstellung der Polizei im deutschsprachigen Rap“. Die Ergebnisse der hier vorgestellten Studie werden in Kürze erscheinen in:
Wickert, Christian (im Erscheinen) „Ich hab’ Polizei“ – Die Darstellung der Polizei in deutschsprachigen Rapliedern. In: Anja Mensching & Astrid Jocobsen (Hrsg.) Empirische Polizeiforschung XXI. Frankfurt a.M.: Verlag für Polizeiwissenschaft.
NWA’s Fuck the Police (1988), Public Enemy’s 911 is a Joke (1990) oder KRS One’s Sound of da Police (1993) sind Klassiker des Rap-Genres, die dutzendfach gesampelt wurden und deren Bekanntheit weit über die Hip-Hop Kultur hinausreicht. So findet sich beispielsweise der selbstreferentielle Verweis des NWA-Gründungsmitglieds Dr. Dre „still not lovin‘ police“ (aus dem Lied Still D.R.E., 2001), auf zahllosen T-Shirts, Aufklebern, Postern und andere „Devotionalien“ der Antifa-Szene wieder.
Die genannten Beispiele stehen für eine eindeutig negative Charakterisierung der US-amerikanischen Polizei. Die afroamerikanischen Künstler werfen der Polizei eine systematische Unterdrückung der Bewohner afroamerikanischer und hispanoamerikanischer Communities vor (vgl. hierzu ausführlich: Butler, 2009; Rose, 1994; Steinmetz & Henderson, 2012).
Forschungsfrage und Methode
Wie sieht es aber mit der Darstellung der Polizei in deutschsprachigen Rap-Liedern aus? Wird die deutsche Polizei im Deutschrap thematisiert und wenn ja, wie fällt eine Charakterisierung der Polizei aus? Wie lässt sich die Darstellung der Polizei hinsichtlich ihrer Legitimität und Autorität beschreiben?
Zur Beantwortung dieser forschungsleitenden Fragen wurden alle 236 deutschsprachigen Rap-Alben, die zwischen März 2015 und Dezember 2016 in den offiziellen deutschen Hip-Hop-Charts gelistet waren, hinsichtlich ihrer Polizeibezüge untersucht. Diese Vorgehensweise stellt eine gewissen Rezeptionsbreite der untersuchten Lieder sicher, wenngleich es unmöglich ist, die genaue Zahl der Hörer eines Lieder zu bestimmen.
Grundlage der Analyse bilden 228 Alben (Instrumentalalben wurden ausgeschlossen) mit 3.363 Liedern, zu denen die Liedtexte über die Webseite Genius.com ermittelt werden konnten. Die Liedtexte wurden in einem anschließenden Arbeitsschritt auf eine Nennung der Begriffe „Polizei“ und „Polizist“ sowie hinsichtlich weiterer Synonyme und Metonyme untersucht.
Ergebnisse I (quantitativ)
In 751 Liedtexten konnten dabei 1.049 Verweise auf die Polizei identifiziert werden. Somit enthält über ein Fünftel aller Lieder des Gesamtsamples einen oder mehrere Verweise auf die Polizei (22,33%). Die genaue Verteilung auf die unterschiedlichen Begriffe ist in der nachfolgenden Tabelle abgebildet.
Begriff | Anzahl Liedtexte | Anteil Polizei-Synonyme (in Prozent) |
---|---|---|
110 | 21 | 2,0 |
Amcas | 28 | 2,67 |
Beamte | 21 | 2,0 |
Bulle/ Bullerei | 340 | 32,41 |
Cop | 173 | 16,49 |
Freund und Helfer | 2 | 0,19 |
Kripo | 96 | 9,15 |
Ordnungshüter | 1 | 0,1 |
Police | 33 | 3,15 |
Polizei | 240 | 22,88 |
Polizist | 55 | 5,24 |
SEK | 24 | 2,29 |
Soko | 15 | 1,43 |
Gesamt | 1.049 | 100 |
Besonders auffällig ist die häufige Verwendung der negativ konnotierten Bezeichnung „Bulle“, die nahezu ein Drittel aller Verweise ausmacht und somit deutlich präsenter ist, als die Bezeichnung „Polizei“ bzw. „Polizist“, die zusammengenommen ein Viertel an allen Nennungen ausmachen. Ein weiteres Fünftel entfällt auf die englischsprachigen Bezeichnungen „Cop“ und „Police“.
Exkurs: Warum werden Polizisten als Bullen bezeichnet?
Im 18. Jahrhundert wurden Gendarmen – also Vorläufer der heutigen Schutzpolizei – auch als „Landpuller“, „Landbohlwer“ oder „Bohler“ bezeichnet. Der Begriff leitet sich von dem niederländischen Wort „bol“ ab, das soviel heißt wie „kluger Kopf“.
Erst in den ausgehenden 1960er Jahren wurde im Zuge der Studentenproteste und sog. 68er-Bewegung aus dem ursprünglich positiv konnotierten „bol“, die beleidigende Bezeichnung „Bulle“. Wann genau diese Bedeutungsumkehr stattfand und in welchem Kontext erstmals „Bulle“ als Bezeichnung für Polizisten benutzt wurde, lässt sich heute nicht mehr sagen. Möglicherweise spielt bei der Wortwahl auch die im Englischen gebräuchliche diffamierende Bezeichnung „pig“ eine Rolle.
Unabhängig von der Genese des Begriffs, verfehlt die als Beleidigung gemeinte Bezeichnung „Bulle“ streng genommen ihre intendierte Wirkung – wird doch der so bezeichnete Polizist als kluger Mensch bezeichnet.
(siehe ausführlich: http://www.polizeihistorischesammlung-paul.de/wissenswertes/bullen.htm)
Von den 182 Künstlern und Gruppen in der Gesamtstichprobe verweisen 153 (84,1%) in mindestens einem Liedtext auf die Polizei. Die Häufigkeit mit der die Polizei in Liedtexten thematisiert wird, variiert unter den Künstlern und Gruppen jedoch stark und reicht von einem Lied bis zu 39 Liedern pro Künstler oder Gruppe.
Zudem ist die Dominanz des Gangsta-/ Straßenraps auffällig. Die Mehrzahl der Alben sind diesem Subgenre zuzuordnen, das sich thematisch mit Normabweichungen und ihren Folgen befasst. Weibliche Künstlerinnen spielen de facto keine Rolle. Unter den 182 Künstlern oder Gruppen befinden sich lediglich drei Frauen. Auffällig ist hingegen der hohe Anteil von Künstlern mit Migrationshintergrund. Auf eine statistische Berechnung des Anteils wurde jedoch aufgrund methodischer Schwierigkeit verzichtet.
Die folgende Tabelle gibt Aufschluss über die zehn Rapper mit den meisten Polizeibezügen – sowohl in absoluten Zahlen, als auch in Relation zu der Anzahl der Lieder im Gesamtsample des jeweiligen Künstlers.
Künstler | Anzahl Lieder gesamt | Anzahl Lieder mit Polizeibezug | Anteil (in Prozent) |
---|---|---|---|
Capital Bra | 20 | 16 | 80,0 |
Herzog | 30 | 18 | 60,0 |
Bushido | 33 | 19 | 57,6 |
Farid Bang | 33 | 19 | 57,6 |
Haftbefehl | 33 | 15 | 45,5 |
Kurdo | 36 | 16 | 44,4 |
Fler | 99 | 39 | 39,4 |
Hanybal | 39 | 15 | 38,5 |
Kollegah | 58 | 21 | 36,2 |
Olexesh | 77 | 16 | 20,8 |
Hierbei wird offensichtlich, dass die Rangfolge der prozentualen Anteile von der auf absolute Häufigkeiten basierenden Rangfolge abweicht. So beinhalten 39 Liedtexte des Künstlers Fler einen Verweis auf die Polizei. Mit fünf Alben und insgesamt 99 Liedern im Gesamtsample ist allerdings kein anderer Künstler mit mehr Liedern in der Liedtextsammlung vertreten als der Berliner Rapper. Der Anteil der Liedtexte mit Polizeibezug beträgt bei Fler 39,4 Prozent. Dahingegen beinhalten 16 von zwanzig Liedern des Rappers Capital Bra einen textlichen Bezug zur Polizei, was einem Anteil von achtzig Prozent entspricht. An zweiter bis vierter Stelle mit jeweils (knapp) 60 Prozent folgen die Rapper Herzog, Bushido und Farid Bang.
Die Unterschiede bei den absoluten Häufigkeiten und Anteilen bezüglich der Thematisierung der Polizei ist inhaltlich nicht zu begründen. Es mag hier lediglich ein Hinweis auf eine unterschiedlich ausgeprägte thematische Vielfalt im Liedtextkorpus der verschiedenen Künstler vorliegen. Eindeutig ist indes der Umstand, dass alle in den „Top 10“ vertretenen Künstler dem Gangsta- oder Straßen-Rap zuzuordnen sind.
Literatur
Butler, P. (2009) Let’s Get Free: A Hip-Hop Theory of Justice. New York: The New Press.
Rose, T. (1994) Black noise: Rap music and black culture in contemporary America. Middletown, Conneticut: Wesleyan University Press.
Steinmetz, K. F.; Henderson, H. (2012) Hip-Hop and Procedural Justice: Hip-Hop Artist’s Perceptions of Criminal Justice. Race and Justice 2(3), 155-178.