Die HerausgeberInnen des KrimJ-Schwerpunktheftes 02/2018 rufen alle Interessierten auf Beiträge zum Thema „Auf dem Weg in die Pre-Crime Society? Analysen zur Vorfeldorientierung in Alltagskontexten“ bis zum 30.09.2017 einzureichen.
Im Call for Submissions wird das Themenfeld wie folgt umrissen:
Dass unser gegenwärtiges Zusammenleben zunehmend dem in einer ‚Sicherheitsgesellschaft‘ gleicht, da zum einen dem Gebot der Sicherheit in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen oberste Priorität zuzukommen scheint („securitization“, Buzan/Wæver/de Wilde 1998), zum anderen stets mit der Etablierung zusätzlicher Überwachungsmaßnahmen auf diese Imperative reagiert wird, kann einstweilen als festes Element des zeitgenössischen kriminologischen Kanons bezeichnet werden (z.B. Legnaro 1997; Albrecht 2010; Singelnstein/Stolle 2012; Groenemeyer 2013). Ein Kernelement einer so verstandenen Sicherheitsgesellschaft ist nicht nur die ubiquitäre Konstruktion und Thematisierung von Risiken, sondern ebenso der zunehmend frühzeitige, präventiv motivierte Eingriff, um der Entstehung potenzieller sicherheitsgefährdender Ereignisse zuvorzukommen. Insbesondere mit Bezug auf die anti-terroristischen Gesetzgebung im Nachgang von 9/11 – aber auch schon vorher (Legnaro 1997: 276f.) – wurde auf die zunehmende Vorverlagerung von Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen hingewiesen, sowie auf die damit zusammenhängende Fokussierung des strafrechtlichen Vorfelds (Albrecht 2010: 155, Singelnstein/Stolle 2012: 66ff.). Einige Kommentator_innen sehen im Zuge dessen einen ‚Hyperpräventionalismus‘ (Frankenberg 2010) am Werk, der dem Entstehen eines „Präventionsstaat(s)“ (für viele: Huster/Rudolph 2008; Brunhöber 2016) bzw. einer „präventiven Sicherheitsordnung“ (von Trotha 2010) Vorschub leiste. In deren Kontext würden vorfeldorientierte („präemptive“) Interventionslogiken dominieren, die gänzlich oder partiell von konkreten Verdachtsmomenten abstrahieren, sich auf diffuse Bedrohungslagen stützen und die auf diese Weise Ereignisse zu verhüten gewillt sind, die hinsichtlich ihres Eintrittszeitpunkts und ihrer Erscheinungsformen nahezu durchweg unbekannt sind (z. B. Anderson 2010: 789f; Krasmann 2011: 54; Opitz 2012: 287ff.). Die komplementäre gesellschaftsdiagnostische Annahme, dass Prävention „die dominante Ratio (ist), unter der zeitgenössische Gesellschaften ihr Verhältnis zur Zukunft verhandeln und organisieren“ (Bröckling 2012: 93) kann somit auch für die Kriminologie gewendet werden: wir seien geradewegs, so Lucia Zedner, auf dem Weg in eine „pre-crime society“ (2007; vgl. a. McCulloch/Wilson 2016), in der der Antizipation zukünftiger Gefahren (zunehmend) überragende Bedeutung beigemessen und auf diese Weise die eigentliche reaktive Logik des Strafrechtssystems sukzessive unterminiert werde.
Eine wichtige, bislang noch nicht hinreichend empirisch unterfütterte und ausdifferenzierte These in diesem Diskurs der Sicherheitsgesellschaft bzw. pre-crime society besagt, dass die beobachtbaren Vorverlagerungs-Prozesse bei den Institutionen der strafrechtlichen Sozialkontrolle auch in den gesellschaftlichen Alltag durchsickern und mithin auf weniger drastische Handlungen als die der Terrorismusabwehr angewendet würden (z.B. Zedner 2009: 86). Eben diese These soll im anvisierten Themenheft theoretisch reflektiert und empirisch gestützt adressiert werden.
Wir rufen daher dazu auf, Beiträge einzureichen, die anhand von empirischen Fallbeispielen die Alltäglichkeit präemptiver Maßnahmen theoretisch informiert und empirisch fundiert darlegen.
Die Beiträge sollten z. B. folgende Dimensionen bzw. Fragen behandeln:
Praktiken/Technologien:
Anhand welcher empirischer Beispiele lässt sich die zunehmende Vorfeldorientierung auch im gesellschaftlichen Alltag beobachten? An welchen Kriterien und empirischen Beobachtungen ist dies feststellbar? Welche neuen Technologien finden hierbei eine Berücksichtigung bzw. welche bestehenden Technologien werden einer neuen Nutzung zugeführt?Rationalität:
Wie werden vorfeldorientierte Maßnahmen legitimiert? Wer sind die wesentlichen beteiligten Akteur_innen und was sind deren Interessen? Was wird den vorgreifenden Maßnahmen an Sicherheitsgewinnen zugesprochen?Recht:
Welche Aushandlungen zu gesetzlichen Änderungen im Sinne der Vorfeldorientierung sind zu notieren? Welche gesellschaftlichen und/oder praktischen Implikationen bzw. Folgen gehen mit den jeweiligen Vorfeldmaßnahmen einher?Für alle Dimensionen:
Welche Unterschiede lassen sich zwischen ‚herkömmlichen‘ präventiven und vorfeldorientierten- bzw. präemptiven Maßnahmen erkennen?
Wir freuen uns über theoretisch eingebettete, an empirischen Fallbeispielen orientierte Beiträge (max. 45.000 Zeichen, inkl. Leerzeichen) bis zum 30. September 2017 per E-Mail an den geschäftsführenden Redakteur des KrimJ, Dirk Lampe (dlampe@uni-bremen.de). Bitte orientieren Sie sich bei der Erstellung der Manuskripte an den entsprechenden Richtlinien des Kriminologischen Journals.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an die Herausgeber_innen dieses Schwerpunktheftes: Bettina Paul (bettina.paul@uni-hamburg.de) und Simon Egbert (simon.egbert@wiso.uni- hamburg.de).
Der vollständige Call for Submissions ist hier als PDF-Datei verfügbar.